Das Medium ist erwachsen
45:27 Minuten
Mehr kritische Einordnungen, journalistische Standards und Experimentierfreunde: Unsere Gäste, Journalist Marcus Engert und Medienforscherin Nele Heise, haben viele Wünsche für das kommende Podcastjahr mitgebracht.
Das neue Jahr beginnt erst einmal mit aufregenden Neuigkeiten: Amazon Music kauft die Podcast-Produktionsfirma "Wondery". Bekannt sind die unter anderem für "Dirty John", ein erfolgreicher fiktionaler True-Crime-Podcast, der auf wahren Ereignissen basiert und mittlerweile auch als Serie verfilmt wurde.
Ein Stück vom Kuchen
Dieser Kauf erinnert an die Übernahme der Produktionsfirma Gimlet durch Spotify im Jahr 2019 und zeigt, dass auch Amazon sein Podcast-Angebot ausweiten möchte. Die Konkurrenz gegenüber den freien Podcaster*innen wächst. Journalist Marcus Engert von "Buzzfeed News" beobachtet diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen.
Auf der einen Seite ermöglichen Plattformen, wie Spotify, Audible und Co. Podcastern, mit ihren Produkten Geld zu verdienen, doch auf der anderen Seite verschwinden auch immer mehr Inhalte hinter Bezahlschranken und sind damit nicht mehr für alle Hörer*innen zugänglich: "Ich habe Sorge, dass der freie Feed über kurz oder lang vor die Hunde geht", erklärt Marcus Engert bei "Über Podcast".
Auch die Experimentierfreude der Macher*innen könnte unter dem Vorherrschaftskampf der Plattformen leiden, denn diese Anbieter verlassen sich gerne auf Zahlen und Auswertungen und entwickeln daraus Formate. So war bei Spotify zum Beispiel 2020 ein eindeutiger Trend hin zu formelhaften Gesprächs-Podcasts mit Prominenten zu erkennen.
Wohin mit den Drosten-Fans?
Dabei geht einer der eindrücklichsten Podcast-Momente im vergangenen Jahr auf Christian Drosten und seinen Podcast "Das Coronavirus-Update" beim NDR zurück. Hier hat es allerdings keine lange Planungsphase oder eine formelhafte Umsetzung gegeben, sondern der Virologe darf im Gespräch mit der Journalistin Korinna Hennig bis heute relativ frei entscheiden, wie und worüber er sprechen möchte.
Dieses Format hat viele neue Podcast-Hörer*innen generiert, vor allem unter den über 50-Jährigen. Das hat auch die freie Medienforscherin Nele Heise bemerkt. Sie ist gespannt darauf, was mit diesen Nutzer*innen in diesem neuen Jahr passiert: "Gerade bei diesen Menschen, die sich für diesen einen Podcast mal die ARD-Audiothek oder so installiert haben, denn häufig konsumieren die den Drosten-Podcast dann da, ist es interessant, ob die den Schritt rüber zu den anderen Angeboten schaffen."
Kritik als Zeichen der Anerkennung
Aufsehen erregt hat 2019 auch der Skandal um den Podcast "Caliphate" von der New York Times. Dieser preisgekrönte Podcast erzählt von einem Kanadier, der in Syrien für die Terrororganisation Islamischen Staat (IS) kämpfte. Allerdings stellte sich im vergangen Jahr heraus, dass einer der zentralen Protagonisten gelogen hat. Die Faktencheck der New York Times hat hier versagt und die Redaktion verlor unter anderem mehrere Auszeichnungen.
Diese Vorfall zeigt aber auch, welchen Stellenwert Podcasts haben: "Dieses Medium ist so erwachsen geworden mittlerweile und dann muss man natürlich anfangen, dafür ist ja auch diese journalistische Podcastkritik total wichtig, da auch noch mal mit anderen Maßstäben zu messen", erklärt Medienforscherin Nele Heise. Hier könnten journalistische Standards für die Macher*innen und Kritiker*innen helfen.
Zu diesem Schluss kommt auch Journalist Marcus Engert, der unter anderem für "Übermedien" eine Podcast-Kolumne schreibt. In seiner Arbeit ist ihm aufgefallen, dass er sich auch eine kritische Betrachtung des eigenen Schaffens von der Podcaster*innen selbst wünschen würde: "Ein Podcast ist nicht sein eigener Zweck. Da gibt es ein Publikum, also da hat sich jemand hingesetzt und hat sich für dieses und gegen ein anderes Format entschieden." Saubere Schnitte, eine Redaktion und ein Konzept könnten seiner Meinung nach vielen Formaten gut tun.