Plus minus drei Meter

06.11.2013
Der Statistiker Nate Silver machte mit exakten Vorhersagen bei US-Wahlen auf sich aufmerksam. Auch wenn ihm keine systematische Darstellung der Industrie rund um Wetterberichte, Klimamodelle oder Wirtschaftsgutachten gelungen ist, zeigt er die Schwachstellen und Möglichkeiten von Prognosen realistisch auf.
Statistik ist in - zumindest seit Nate Silver sie macht. Seine Webseite "FiveThirtyEight" sagte den Gewinner der letzten amerikanischen Präsidentenwahl in allen 50 Bundesstaaten korrekt vorher - und schlug damit alle Konkurrenten. Vorher hatte Silver schon mit Programmen zur Bewertung von Baseballspielern und Erfolgen beim Online-Pokern von sich reden gemacht. In seinem Buch "Die Berechnung der Zukunft" gibt er Einblick hinter die Kulissen der Vorhersageindustrie - von Wahlprognosen über Klimamodelle bis hin zu Wirtschaftsgutachten – allerdings ohne sein eigenes Erfolgsrezept wirklich zu verraten.

Die 656 Seiten seines Buches lassen sich dabei fast auf eine wichtige Einsicht reduzieren. Die da lautet: Vorhersagen sind nie exakt. Sie beschreiben einen Raum von Möglichkeiten. Wer sich der Zukunft annähern will, der muss in Wahrscheinlichkeiten denken, sich von Fehlern nicht schrecken lassen und seine Prognosen ständig kritisch überprüfen. Das Ganze erläutert er am Beispiel Wettervorhersage: Die Meteorologen verstehen nicht nur die Vorgänge in der Atmosphäre mittlerweile ziemlich genau, sie haben auch viele Daten, um ihre Wettermodelle zu korrigieren. Wetter gibt es zudem jeden Tag. Große Erdbeben hingegen sind selten. Deshalb funktionieren auch Erdbebenprognosen nicht so gut.

Und so liest sich vieles ernüchternd: Etwa, dass er hohe Pokergewinne nur deshalb erzielte, weil gerade viele Anfänger das Online-Spiel für sich entdeckten. Sitzen Profis an den virtuellen Tischen, verliert auch Silver große Summen. Spannend sind seine Fehleranalysen bei Wahlexperten, Ratingagenturen und Wirtschaftsweisen. Dabei wird klar, eine Prognose ohne Unsicherheitsfaktor ist schlicht unseriös. 1997 sagte der "National Weather Service" für die Stadt Grand Forks eine Flutwelle von 14,9 Metern voraus. Kein Problem, dachte die Verwaltung, die Dämme sind 15,5 Meter hoch. Am Ende stand die Stadt unter Wasser und 50.000 Einwohner mussten evakuiert werden. Vielleicht wäre alles anders gelaufen, wenn die Statistiker den Fehlerbereich von plus minus drei Metern erwähnt hätten.

Entscheidend ist, so Nate Silver, in den Daten das Signal vom zufälligen Rauschen zu trennen. Leider steckt auch in seinem Buch viel Rauschen. Es ist keine systematische Abhandlung, sondern eher eine Folge von lockeren Betrachtungen zu verschiedenen Themen: Wetter Basketball, Poker, Wahlen. Oft fehlt daher eine klare Struktur und auch die Übersetzung ist gelegentlich holprig. Schade. Davon abgesehen schärft Nate Silver trotz allem den Blick für die Schwachstellen von Prognosen und ermöglicht eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen von Klimamodellen, Börsenvorhersagen und auch des oft zu Unrecht gescholtenen Wetterberichts.

Besprochen von Volkart Wildermuth

Nate Silver: Die Berechnung der Zukunft, Warum die meisten Prognosen falsch sind manche trotzdem zutreffen
Übersetzt von Lotta Rüegger und Holger Wolandt
Wilhelm Heyne Verlag, München 2013
656 Seiten, 22,99 Euro
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