"Platz da, jetzt sind wir da!"

Moderation: Liane von Billerbeck · 01.07.2008
Alice Schwarzer sei so alt wie ihre Oma, sagt die türkisch-deutsche Rapperin Reyhan Sahin, bekannt unter dem Namen Lady Bitch Ray. Die "Emma"-Herausgeberin habe einiges bewegt, sei aber für ihren Geschmack zu asexuell. Sahin würde gern mal im Fernsehen mit ihr diskutieren. "Wer dann die Nachfolgerschaft übernimmt, das können wir dann sehen", sagt die Rapperin, die dafür eintritt, dass Frauen ihre Sexualität ausleben.
Liane von Billerbeck: Jetzt ist wieder Zeit für unsere "Radiofeuilleton"-Besetzungscouch. Es geht um den Posten, den Jahrzehnte Alice Schwarzer ausgefüllt hat, den der Chefredakteurin von "Emma" nämlich. Wir haben Tissy Bruns, Bascha Mika und Susanne Klingner gefragt und auch Ingrid Kolb, die ehemalige Leiterin der Henri-Nannen-Journalistenschule. Und die hatte vorgeschlagen, für den Job einen Journalisten-Lieschen mit Hang zum Masochismus zu suchen. Den dürfte unsere heutige Gesprächspartnerin eher nicht haben. Reyhan Sahin, die Rapperin, die sich auch Lady Bitch Ray nennt, promoviert in Bremen derzeit über Kleidungssemiotik und hat in dem Film "Chiko" mitgespielt in der Rolle einer Hure. Ich grüße Sie!

Reyhan Sahin: Hi!

von Billerbeck: "Jeder kennt meinen Namen, ich bin ein Phänomen, ich spalte Deutschland", das haben Sie in einem Ihrer Songs gesungen.

Sahin: Ja.

von Billerbeck: Deutschland spalten, das war für Alice Schwarzer als Feministin ja so jahrzehntelang die leichteste Übung. Haben Sie schon mal überlegt, in Ihre Fußstapfen zu treten?

Sahin: Hat aber Frau Schwarzer nicht ganz geschafft, wie ich es geschafft habe, würde ich sagen. Vielleicht damals ja, aber so richtig spalten, heißt ja, wirklich auch Feinde zu haben, die dann sich zum Beispiel ins Publikum stellen und einem dem Mittelfinger zeigen, wie ich jetzt Freitag erlebt habe in Neu-Ulm.

von Billerbeck: Aber Frau Schwarzer hat das Land jahrzehntelang gespalten. Da kann ich Sie wirklich beruhigen.

Sahin: Ja, aber nicht so wie Lady Bitch Ray. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen. Ja, wir jungen Frauen sind ja alle irgendwie die Nachkommen von Frau Schwarzer. Sie ist ja so alt wie meine Oma. Und sie hat schon was bewegt. Ich werde, auch wenn ich sie sehe, zu ihr sagen, das haben Sie davon, Frau Schwarzer. So.

von Billerbeck: Und nun sind wir dran, würde der Satz dann weitergehen?

Sahin: Genau. Platz da, jetzt sind wir da! Sie hat schon dafür gesorgt, dass es auch Frauen gibt, die sich was trauen. Nur bei einigen Sachen stimme ich ihr nicht ganz zu.

von Billerbeck: Bei welchen denn?

Sahin: Ja, was zum Beispiel so Porno, PorNO und so, ihre Bewegung, was das angeht, was muslimische Frauen angeht und generell Türkinnen. Ich finde sie so ein bisschen asexuell. Man muss als Frau nicht die Sexualität den Männern überlassen, weil wir Frauen können auch gut ficken, wir können auch darüber reden. Und da brauchen wir nicht eine Tabuisierung der Sexualität.

von Billerbeck: Aber die PorNO-Kampagne von Alice Schwarzer und der "Emma", die richtete sich nicht gegen Sexualität, sondern gegen Pornografie. Das ist ja noch ein Unterschied.

Sahin: Ja, da können wir mal jetzt diskutieren, was Pornografie ist.

von Billerbeck: Na, dann legen Sie mal los, und sagen Sie's mal!

Sahin: Wenn ich mit Männern ficke, dann trenne ich das nicht und sage, ja, jetzt ist unsere romantische Phase, wo wir jetzt noch was essen und ins Kino gehen, ist jetzt Romantik und Sexualität ist der Moment, wo wir ins Bett gehen, und das ist dann nur Sexualiät. Weil wenn wir dann ins Bett gehen und wir ficken und wir machen Dirty Talk und wir sind beide pervers, das unterstelle ich jedem Paar, dann kann ich das auch als Pornografie interpretieren.

von Billerbeck: Aber Pornografie ist ja eigentlich etwas anderes, wenn ich das kurz sagen darf. Das ist ja nicht das, was zwei Leute miteinander in einem geschützten Raum tun, sondern das ist das Bild, was davon in der Öffentlichkeit verbreitet wird.

Sahin: Ja, wenn Sie unter Pornografie das verstehen, dass billige Pornos produziert werden, wo fast nur erigierte Schwänze und Frauen zu sehen sind, die den Männern einen blasen, dann bin ich auch gegen Pornografie. Aber bei Frau Schwarzer finde ich an ihrer Einstellung, das kann man auch gut beobachten, wenn es um Rap geht, geht es auch ziemlich um die Tabuisierung der Sexualität. Und gerade so Frauen wie ich sind ihr auch nicht wohlgesonnen. Und da würde ich schon sagen, dass das eine bestimmte Haltung nicht nur einfach gegen Pornografie ist, weil ich bin auch gegen die Erniedrigung der Frau. Ich bin dagegen, dass wenn Sexszenen gezeigt werden, dass halt nur die Männer am Machen sind und die Frauen irgendwie wie Opfer oder wie irgendwelche importierten Billig-Polinnen wirken, die dann irgendwie eingekauft worden sind. Dagegen bin ich auch.

von Billerbeck: Da sind Sie doch sehr nahe bei Frau Schwarzer. Was ist denn das Neue, das Sie jetzt in den Feminismus einbringen könnten?

Sahin: Ich glaube, an meinem Bitchism-Feminismus ist neu, dass Frauen vor allem reden können, wie sie wollen, und dass Frauen vor allem, wenn sie sich sexy geben und auch schminken und sich wirklich zurechtmachen, dass sie gleichzeitig was in der Birne haben können.

von Billerbeck: Das ist aber nun nicht neu. Ist das neu, weil Sie eine Deutsch-Türkin sind und aus Ihrem Hintergrund das dann eben eine viel größere Provokation ist?

Sahin: Ich würde sagen, das ist mal. Gucken Sie sich Frau Schwarzer an und gucken Sie sich mal an, wie sie in den 70ern aussah. Sie sah aus wie eine Eule. Ich würde schon sagen, dass das neu ist, und alle Frauen, die für die Frauenbewegung gekämpft haben. Es gab so eine Vorstellung bei den Frauen, dass die Frau, die was in der Birne hat und was bewegen will, eine Brille getragen hat und irgendwie asexuell war. Ich finde schon, dass das neu ist. Das andere, was neu ist, ist das, was Sie angesprochen haben. Ich bin eine Deutsch-Türkin, ich nenne mich Türkin, die hier geboren und aufgewachsen ist und die kein Opfer ist. Wir möchten nicht von Frau Schwarzer bemitleidet werden, wir möchten die Lösung haben. Ich will von Frau Schwarzer wissen, ja, was ist denn jetzt mit den Frauen, die dann unterdrückt werden. Das sind übrigens nicht nur Türkinnen. Sie stellt das immer so schön dar, ja, gegen Islamismus, gegen den Frauenzwang, gegen Zwangsehe, gegen Ehrenmord. Ja, bin ich auch und was bitte ist die Lösung, Frau Schwarzer?

von Billerbeck: Was ist Ihre Lösung?

Sahin: Meine Lösung ist, dass ich selbst eine Türkin bin und ich weiß ganz genau, was diese Frauen an Problemen haben. Und die Lösung ist auf jeden Fall nicht, dass man diese Frauen in den Medien als Opfer darstellt. Weil Frau Schwarzer ist erstens eine andere Generation, zweitens ist es eine andere Kultur. Sie ist keine Türkin oder Araberin, die diese Kultur kennt. Wir möchten nicht bloßgestellt werden in den Medien. Wir möchten mittels Institutionen in Deutschland, Bildungsinstitutionen, sozialen Einrichtungen, wir brauchen Hilfe oder diese jungen Frauen, die brauchen Hilfe.

von Billerbeck: Könnten Sie für diese jungen Frauen, die aus Migrantenfamilien kommen, ein Vorbild sein?

Sahin: Ja, ich könnte - für gewisse Leute ja. Vielleicht sind viele abgeschreckt durch meine Art. Aber ich höre immer wieder, ich habe ja sehr guten Kontakt mit jungen Frauen, Araberinnen, Türkinnen, Russinnen natürlich auch, eigentlich mit allen Frauen, die zu mir kommen und sagen, eh, weißt du was an dir geil ist? Ja, was? Du stellst es irgendwie voll modern dar, es ist nicht so immer die gleiche Leier wie früher, ach, das unterdrückte Gastarbeiterkind, das muss jetzt heiraten, und das darf ihre Sexualität nicht frei ausleben. Du fickst irgendwie beide. Du bist moderner als die Türken, du bist moderner als die Deutschen, die kommen irgendwie beide nicht klar, und das finde ich an dir geil. Ich denke, dadurch, dass ich halt mit vielen jungen Frauen in Kontakt bin, die mich wirklich auch nach Rat fragen und mich fragen, wie hast du denn das gemacht, als das und das Problem hattest, und ich denen wirklich Rat geben kann, weil ich aus dieser Kultur stamme, dass das schon eine Art von Vorbild ist. Weil ich finde, Vorbilder müssen einige Sachen selbst auch erlebt haben.

von Billerbeck: Haben Sie sich denn nun schon für die "Emma-Chefredaktion" beworben, wenn Sie Vorbild sind und möglicherweise auch die Vorreiterin eines neuen deutsch-türkischen Feminismus?

Sahin: Ich habe daran gedacht, als ich gesehen habe, dass diese Frau Lisa Ortgies oder wie heißt die ...

von Billerbeck: Ja.

Sahin: ... als klar wurde, dass die das übernimmt, da habe ich erst mal nur gedacht, oh nein, noch so eine Mutti, die kann doch Frau Schwarzer nicht modernisieren. Da muss so eine Eitle mit Pfeffer im Arsch ran, so wie ich oder so was. Das habe ich schon gedacht. Als die dann wieder draußen war, habe ich gedacht: Oh!

von Billerbeck: Jetzt ist die Stelle wieder frei!

Sahin: Ja ja, die ist wieder draußen, das meine ich ja, da habe ich gedacht, oh, Frau Schwarzer ist doch nicht so altmodisch. Vielleicht hat sie gemerkt, dass sie nichts gebracht hat, und das war auch irgendwie schon klar.

von Billerbeck: Vielleicht lag es aber auch daran, dass Frau Schwarzer den Platz doch nicht geräumt hat, und deshalb Lisa Ortgies gegangen ist.

Sahin: Ja, sie ist ja auch eine Egomanin. Wenn sie keine Feministin wäre, würde ich ihr auch vorschlagen zu rappen. Was ich auf jeden Fall möchte, ich werde mich auf jeden Fall mit Frau Schwarzer unterhalten, und zwar öffentlich. Sie hat mich eingeladen zu so einer Hip-Hop-Diskussion im Rahmen eines Festivals, das will ich nicht. Ich will mit Frau Schwarzer entweder bei Beckmann oder bei Kerner diskutieren, öffentlich. Und ich freue mich schon drauf, weil ich habe ihr einiges zu sagen. Wer dann die Nachfolgerschaft übernimmt, das können wir dann sehen. Ich habe auf jeden Fall viele Fans, sie muss sich ranhalten, die Frau Schwarzer!

von Billerbeck: Meinen Sie, dass Beckmann und Kerner das richtige Podium ist für so eine Diskussion?

Sahin: Bei Beckmann, der braucht auch mal eine Abreibung. Und ich würde das schon cool finden, wenn das neben Männern stattfinden würde, weil die sich da auch immer so schön rausreden würden.

von Billerbeck: Es gibt ja immer so eine Debatte im neuen Feminismus, die Frauen, die etwa so alt sind wie Sie haben ja Bücher geschrieben unter Titeln wie "Alphamädchen" oder "Neue deutsche Mädchen". Lesen Sie solche Bücher und fühlen Sie sich denen irgendwie nahe?

Sahin: Ich kenne die Bücher auf jeden Fall, und es gibt bestimmt Aspekte, wo ich mich denen nahe fühle, auf jeden Fall.

von Billerbeck: Welche sind das?

Sahin: Zum Beispiel bei den "Alphamädchen", das gesagt wird, Frau Schwarzer hat den Feminismus nicht erfunden und auch nicht gepachtet. Ich beschreibe das dann anders. Ich sage dann, ja, der Feminismus ist nicht aus Frau Schwarzers Möse gekrochen, sondern der Unterschied ist einfach die Art und der Mut. Ich finde, ich bin als Rapperin und einfach von Natur aus so ein Mensch. Ich kann Sachen gut rüberbringen, künstlerisch auch rüberbringen, wo Leute nicht dran vorbeigehen, sondern stehenbleiben, egal, ob sie es gut finden oder nicht. Sie müssen sich das anhören, und die gucken sich das an. Und das ist meistens der Unterschied. Und ich glaube auch, dass so meine Art, ich mache ja seit 15 Jahren Rap, ich war immer die Perverse. Ich bin von der Art diejenige gewesen, die mal offen über Sex spricht.

von Billerbeck: Aber das ist doch gar nichts Neues, offen über Sex zu sprechen?

Sahin: Ja, aber wenn das nichts Neues ist, wieso kommen alle bei mir an und klopfen bei mir? Es gibt nicht viele Frauen, die dazu stehen können.

von Billerbeck: Interessanterweise ist es ja so, dass die neuen Feministinnen, auch ein Teil dieser Autorinnen, ein ganz anderen Feminismus propagieren u.a. einen, den sie gemeinsam mit den Männern machen wollen. Können Sie als Türkin damit was anfangen?

Sahin: Ja, ich finde, einerseits, die reden ja von modernen Männern. Ich rede dann von Gentlemännern, weil Feminismus ohne Männer geht ja nicht, weil das sind ja auch die Leute, die das akzeptieren müssen im Endeffekt. Es gibt ganz viele Männer, die das akzeptieren. Das sieht man ja auch an mir. Wie viele Türken und deutsche Männer kommen zu mir und sagen zu mir: Eh, ich find es richtig geil! Natürlich sind da auch Männer, die mich nur ficken wollen. Na und? Dadurch kann man auch Punkte ergattern.

von Billerbeck: Das ist eigentlich sehr altbacken. Das haben die Frauen früher immer gemacht. Dazu gab es u.a. die "Besetzungscouch". Sie haben ihre Sexualität genutzt, um weiterzukommen. Das ist eigentlich von vorgestern.

Sahin: Nee, das ist ja was anderes. Die Sexualität nutzen, das heißt ja dann, mit den Männern ficken, um hochzukommen.

von Billerbeck: Das hat Marilyn Monroe auch gemacht.
Sahin: Ja, aber irgendwann ist sie ja dann gescheitert. Dann hat sie irgendwas falsch gemacht. Mein Feminismus, mein Bitchism-Feminismus, hat was damit zu tun, dass die Frauen zu ihrer Sexualität stehen, und das auch nutzen. Das heißt aber nicht, dass sie nur darauf gepolt sind, um jetzt mit Männern zu ficken, um weiterzukommen, das ist was völlig anderes. Um auf die Männer zurückzukommen. Ich will betonen, dass es ganz viele coole Männer gibt, junge Männer, die das verstehen und wirklich einen auch unterstützen. Und diese Männer muss man einbinden im neuen Feminismus. Mit diesem Kampf, lesbische Männerhasserin, das ist auch out, das ist nicht mehr cool.

von Billerbeck: Reyhin Sahin war es. Die Rapperin schlägt sich eigentlich selbst vor, um Chefredakteurin der "Emma" zu werden. Wir sind gespannt. Ich danke Ihnen!

Sahin: Pleace!
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