Plakatkunst

"Und macht euch die Erde untertan"

Klaus Staeck steht am 07.08.2014 vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin neben einer Litfaßsäule mit seinen Plakaten. Auf einer Pressekonferenz wurde das Projekt von Klaus Staeck "Die Kunst findet nicht im Saale statt" vorgestellt. Es wird für einen Zeitraum von drei Wochen eine Auswahl von 10 Motiven seiner politischen Plakate seit den 1970er-Jahren bis heute auf über 300 Litfaßsäulen in der ganzen Stadt verteilt.
Klaus Staeck steht vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin neben einer Litfaßsäule mit seinen Plakaten © dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm
Von Kemal Hür · 08.08.2014
"Die Kunst findet nicht im Saale statt" - dieses Zitat stammt von dem Künstler und Verleger Klaus Staeck, der auch Präsident der Berliner Akademie der Künste ist. Zehn seiner Motive aus den letzten 40 Jahren sind bis zum 31. August auf Litfaßsäulen in Berlin zu sehen – verteilt auf die gesamte Innenstadt.
Auf der Plattform vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Touristengruppen werden in die gläserne Halle mit dem Stahldach geführt. Rechts vom Eingang ist eine Litfaßsäule zu sehen, die dort normalerweise nicht steht. Ein Radfahrer mit viel Gepäck fährt auf die Litfaßsäule zu und hält an. Darauf sind keine Werbe-, sondern Kunstplakate zu sehen. Der Radfahrer schaut sie sich an und lächelt. Er geht langsam um die Litfaßsäule herum und grüßt den Künstler, der die Plakate geschaffen hat: Klaus Staeck, der dort gerade ein Interview mit einem Fernsehteam beendet.
Radfahrer: "Schöll, ich bin ein alter Fan von Ihnen. Ich hab Sie schon in Ihren früheren Zeiten aus Willy-Wählen-Kampagnen kennengelernt und fand Ihre Plakate immer schön."
Staeck: "Ja, ist doch gut. Das ist der Sinn einer Plakataktion, dass selbst der Radfahrer vom Rad absteigt und sich der Litfaßsäule widmet."
Auf der Litfaßsäule kleben 10 Plakate. Das erste stammt aus dem Jahr 1972: In altdeutscher Schrift steht darauf "Deutsche Arbeiter!" Darunter in Druckbuchstaben: „Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen". Der Radfahrer kennt dieses Plakat aus seiner Jugend:
"Ja, das war damals so das Plakat; ich stand auf der röteren Seite. Ich hab das als Unterstützung gesehen – im Wahlkampf für Willy Brandt. Vielleicht habe ich auch eins gekauft. Ich weiß es nicht mehr."
Während Klaus Staeck und der grauhaarige Radfahrer sich verabschieden, bleibt ein Ehepaar an der Litfaßsäule stehen.
Münchener Ehepaar:
"Und das sieht schon von weitem aus wie Staeck."
"Er hat was Provozierendes im Leitspruch und eine ganz klare Optik."
Plakate aus den 70-ern und 80-ern auf Litfaßsäulen – hat das im digitalen Zeitalter noch eine Wirkung?
Münchener Ehepaar:
"Ich find das immer noch zeitgemäß, solche Sachen. Passt immer noch. Und vielleicht mehr denn je."
"Ja, absolut. Und sie stechen raus unter der Masse von anderen Plakaten."
Die nächste Litfaßsäule mit Staeck-Plakaten – eine von insgesamt 300 in der Stadt - steht am Potsdamer Platz, nur ein Katzensprung entfernt. Inmitten der Glitzerwelt der Einkaufstempel, der Cafés und Restaurants steht sie wie aus der Welt gefallen unter zwei Linden. Touristen mit Einkaufstaschen und Geschäftsleute in Anzügen laufen vorbei. Niemand wirft einen Blick auf die Litfaßsäule. Das DIN-A-2-Plakat von Klaus Staeck wirkt verloren zwischen den großformatigen Kinowerbungen.
"Ausländer raus!"
Am Fernsehturm auf dem Alexanderplatz unterhalten zwei junge Jongleure die Passanten. Hinter der Menge, zwischen Fernsehturm und Rotem Rathaus steht die nächste, etwa vier Meter hohe Litfaßsäule. Riesige Filmplakate kleben darauf. Ein kleineres aber sticht deutlich heraus: Vor einem blauen Hintergrund sieht man eine rote Zitronenpresse. Doch statt einer Zitrone wird die Erde ausgepresst. Es dauert lange, bis jemand das Plakat wahrnimmt. Ein Mann, Mitte Zwanzig, nähert sich ihm schließlich und liest die Überschrift laut vor:
"'Und macht euch die Erde untertan'. Ich fände es schön, wenn man sie mehr wahrnimmt. Also ich würde jetzt nicht zu einer Litfaßsäule gehen, um mich zu informieren. Da greife ich zum iPad . Aber ich find's gut, dass es noch Litfaßsäulen gibt und dass sowas plakatiert wird."
Berlin-Kreuzberg. In den Straßen und Bars hört man Englisch, Spanisch,Türkisch. In diesem Mikrokosmos fühlt sich niemand als Ausländer. Die Litfaßsäule steht vor einem Fahrradladen, auf einem Plakat liest man in blutroter Handschrift auf eine Mauer gesprüht "Ausländer raus!". Dieser Spruch ruft bei einem kolumbianischen Studenten schlechte Erinnerungen hervor. Doch er erkennt die Ironie darin.
"Die Leute gucken ab und zu nicht auf deine Leistung, sondern woher du kommst. Ich fühle mich nicht gut deswegen. Aber ich hoffe mal, dass durch diese Plakate Leute zum Nachdenken gebracht werden. Und vielleicht es bewirkt was."
Zwei junge gebürtige Kreuzberger, die Klaus Staeck nicht kennen, erinnert das Plakat an die jüngsten Flüchtlingsproteste. Dass sie nicht in eine Galerie gehen müssen, um solche Plakate zu sehen, gefällt ihnen besonders gut.
"Es ist Teil der Ausstellung, dass dieses Plakat hier auf der Litfaßsäule klebt."
"Finde ich richtig gut, ja. Aber wenn's draußen ist, finde ich's viel besser."
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