Pläne des Verfassungsschutzes

Massenhafte Überwachung sozialer Netzwerke

Auf dem Display eines Smartphones sind die App-Logos verschiedener Social Media Plattformen zu sehen Derweil der Anbieter Facebook seit einiger Zeit Nutzer verliert, werden Dienste wie Snapchat, Tumblr, Twitter und Vine immer beliebter.
Die Kommunikation in sozialen Netzwerken ist im Visier des Verfassungsschutzes. © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Von Manfred Kloiber · 10.08.2015
Der Wirbel ist groß, die Ermittlungen wegen Landesverrats sind inzwischen eingestellt: Doch was steht eigentlich in den bei Netzpolitik.org publizierten Papieren? Manfred Kloiber hat sich die Unterlagen des Bundesamts für Verfassungsschutz genauer angesehen.
"Das schadet zwar der Umwelt – ich mach es aber trotzdem."
Über 40 Blatt Papier spuckt mein Drucker aus. Die beiden Artikel von netzpolitik.org, um die es so viel Wirbel gab – ich will sie schwarz auf weiß.
Vor allem die Stellenpläne und die komplizierten Erläuterungen aus den geheimen Unterlagen des Bundesamtes für Verfassungsschutz – sie sind einfach besser zu überblicken, wenn sie vor einem ausgebreitet auf dem Tisch liegen. Ich habe Professor Hartmut Pohl gefragt, ob er mit mir einen Blick auf die veröffentlichten Dokumente des Kölner Amtes mit dem Kürzel BfV wirft.
Der IT-Sicherheitsspezialist aus Sankt Augustin bei Köln beschäftigt sich immer wieder auch mit Geheimdiensten.
Zuerst diskutieren Hartmut Pohl und ich über den Blog-Eintrag vom 25. Februar überschrieben mit "Geheimer Geldregen". In diesem Blog zitiert André Meister von netzpolitik.org Teile des geheimen Haushaltsplanes für das Jahr 2013.
Facebook, Twitter, Instagram oder Xing im Visier
Der Erläuterungsteil macht in kryptischem Behördendeutsch klar, dass der Verfassungsschutz seine Überwachungsstrategie massiv ausweiten will. Bislang hat das Amt potentielle Gefährder immer nur ganz gezielt überwacht. In Zukunft aber sollen Informationen über Terroristen und Extremisten aus dem großen Datenmeer des Internets gefischt werden. Wir lesen:
Um große Datenmengen automatisiert aufbereiten und systematisch analysieren zu können, soll in Kooperation mit externen Stellen aus Forschung und Entwicklung ein System zur Gewinnung, Verarbeitung und Auswertung von großen Datenmengen aus dem Internet entwickelt werden.
Hartmut Pohl erklärt, was also genau überwacht werden soll:
"Die Kommunikation mit sozialen Medien. Davon gibt es ja eine ganze Reihe, in denen man sich wie auch immer tummeln kann, chatten kann, Bilder austauschen, Videos austauschen kann. Dazu gehören auch berufliche Plattformen. Und diese Massendaten müssen auch massiv gefiltert werden, damit die Auswertung ein brauchbares Ergebnis erzielt."
Alles, was in Facebook, Twitter, Instagram, Xing oder wo auch immer erscheint, soll vom Verfassungsschutz abgegriffen und dann auf Zusammenhänge untersucht werden. Dazu nutzt man Analyse-Software, die quasi in einem Heuhaufen Stecknadeln findet. Big Data nennt sich diese Technologie.
Aber wie funktioniert das, wenn es um ganz konkrete Personen geht? Sylvia Johnigk vom "Forum Informatikerinnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung" FIFF kennt sich mit diesen Analysetools aus. Sie erklärt, mit welchen Fragen dafür der Computer der Geheimdienstler gefüttert wird:
"Wie hat sich jetzt eine überwachte Person verhalten, welche Foren hat sie angesurft, mit wem hat sie Kontakt gehabt? Und darüber lassen sich natürlich dann halt auch Strukturen erkennen, die man anwendet, um weitere Zielpersonen auch auszuwählen, die sich halt in bestimmten Foren aufgehalten haben, die bestimmte Informationen abgerufen haben. Und wenn sich das dann irgendwie ähnelt mit jemand, der straftätig geworden ist, kann man natürlich dann sagen: 'Okay, der wird zukünftig möglicherweise das auch tun'."
"Daten technisch kopieren und filtern"
Also: Jeder kann ins Fadenkreuz geraten, wenn er ähnliche Foren wie ein Straftäter besucht, in vergleichbarer Gruppen bei Facebook steckt oder dieselben Twitter-Follower hat.
An dieser Stelle frage ich mich, wie denn der Verfassungsschutz überhaupt an die Daten aus den sozialen Netzwerken herankommen will. Das hat sich auch IT-Sicherheitsspezialist Hartmut Pohl gefragt:
"Da sagt das Amt deutlich, dass die ausländischen Provider nicht kooperativ sind - und Sozial-Media sitzen zu 90 Prozent im Ausland – dass sie an diese Daten nicht herankommen. Das sind Daten Deutscher. Und da scheint nur der Weg zu helfen, das ist zumindest die Meinung des BFV, erst mal alle Daten technisch zu kopieren und dann zu filtern."
Wo im Netz ist der beste Punkt, um möglichst alles mitzuschneiden, will ich von Pohl wissen? Er druckst rum, nicht weil er es nicht sagen will, sondern weil es viele Möglichkeiten gibt. Vom NSA, dem technischen Geheimdienst der USA, weiß man, dass der es zum Beispiel am internationalen Austauschknoten DeCIX in Frankfurt am Main macht. Und dann stelle ich die Gretchenfrage: Darf der Verfassungsschutz diese Daten überhaupt abgreifen?
"Dazu kann ich nichts sagen, da müssen Sie einen Juristen zu fragen."
Am Telefon erwische ich Peter Schaar, den ehemaligen Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Er ist Jurist und kennt sich natürlich qua Ex-Amt bestens aus. Er meint, dass der Verfassungsschutz mit seinem Ansatz, wirklich Massendaten zu überwachen, in eine Grauzone vorstößt:
"Das Bundesverfassungsgericht hat sich ja mit solchen – sag ich mal – anlasslosen Überwachungen immer wieder beschäftigt und hat gesagt, wenn man befürchten muss, dass alltägliches Verhalten, die Wahrnehmung von Rechten aufgezeichnet wird, dann wird man sich überlegen, ob man sich noch frei äußert oder man zum Beispiel demonstriert. Und diese Frage stellt sich bei der Internet-Überwachung natürlich ganz genau so."
Anlasslose Überwachungen und das Bundesverfassungsgericht
Also, zwischen den Sätzen höre ich heraus: Probieren können Sie es ja mit der Massenüberwachung der sozialen Netzwerke, aber das Bundesverfassungsgericht wird die Maßnahme – wie so oft vermutlich wieder einkassieren, weil sie gegen den Datenschutz verstößt. Was Peter Schaar aber richtig ärgert, ist etwas anderes:
"Das ist nicht mehr zeitgemäß, so etwas grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu machen. In anderen Staaten, zum Beispiel in den USA, ist der Geheimdienstetat sehr viel transparenter, auch nach außen hin. Und da würde man jede Einschränkung durchaus als Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit sehen. Und bei uns ist die Geheimhaltung die Regel."
Professor Hartmut Pohl aus Sankt Augustin und ich werfen noch einen Blick auf den Stellenplan, der im Blog-Artikel "Geheime Referatsgruppe" am 15. April, also zwei Monate später, auch von Andre Meister ins Netz gestellt wurde. Pohl findet nichts Aufregendes in den langen Listen. "Erweiterte Fachunterstützung Internet" – so seltsam heißt die neue Gruppe und sechs Referate soll sie bekommen. Insgesamt 75 neue Planstellen führt das Amt in dem zwei Jahre alten Plan auf. Das sei sehr bescheiden, meint der IT-Sicherheitsspezialist:

"75 Personen – Ich halte das unter dem Aspekt des Vergleichs mit USA, mit England und Frankreich für ausgesprochen wenig."

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