Plädoyer für eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte

Rezensiert von Gustav Horn · 12.07.2009
Der Chef des Münchner ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, hat mit seinem Band "Kasino-Kapitalismus" eine überzeugende Analyse der jüngsten Finanzmarktkrise vorgelegt. Der Ökonom führt die weltweiten Verwerfungen auf einen Mangel an Regulierung zurück.
Hans-Werner Sinn hat mit "Kasino-Kapitalismus" ein lehrreiches Buch zur Krise geschrieben. Eigentlich ist es sein zweites Krisenbuch. Denn schon vor sechs Jahren fragte Sinn skeptisch "Ist Deutschland noch zu retten?" und gab die radikale Antwort, für die er berühmt und berüchtigt wurde. Nur durch Reformen am Arbeitsmarkt, mit denen Arbeitslose nicht zuletzt materiell stark unter Druck gesetzt werden und dem Zurückdrängen gewerkschaftlichen Einflusses, sei dies möglich. Die damalige Regierung setzte mit der Agenda 2010 vieles hiervon um.

Wenn aber Deutschland seinerzeit durch Arbeitsmarktreformen gerettet wurde, wieso gibt es dann schon wieder eine Krise? Und dieses Mal ist sie sogar erheblich schlimmer als die vorige. Die vor diesem Hintergrund erstaunliche Botschaft in seinem neuen Buch lautet: Das unverantwortliche Verhalten insbesondere auf den globalen Finanzmärkten infolge mangelhafter Regulierung insbesondere in den USA hat zur gegenwärtigen dramatischen Wirtschaftslage geführt. Deutschland wurde vor allem wegen seiner Kapitalexporte betroffen, die nicht zuletzt für unsichere Anlagen in den USA genutzt wurden. Wo bleibt der angeblich zu rigide Arbeitsmarkt? Hat Hans-Werner Sinn vor sechs Jahren vielleicht die falsche Antwort gegeben?

Liest man Sinns neues Buch, verstärkt sich dieser Eindruck. Denn seine Analyse zu den jüngsten Verwerfungen auf den Finanzmärkten ist trotz der komplexen Materie nicht nur glänzend geschrieben und informativ, sondern auch schlichtweg überzeugend. Der Kern des Problems ist nach Sinn die sogenannte Bloos Regel, eine Verballhornung des englischen "You cannot get blood out of a stone", auf deutsch "Wo nichts ist, kann man nichts holen”. Diese besagt, dass riskante Investitionsstrategien, die im gesamtwirtschaftlichen Mittel keine höhere Rendite abwerfen als sichere, rentieren sie sich dennoch für Finanzinvestoren, weil sie die Ausschläge nach oben bei den Gewinnen für sich privatisieren, während sie die Verluste aufgrund von Haftungsbeschränkungen sozialisieren können. Da bei riskanten Anlagen die Ausschläge größer ausfallen als bei weniger riskanten, lohnt sich für den einzelnen Investor im Gegensatz zur Gesamtwirtschaft immer die riskante Strategie.

"Alle Banken machen ihr Geschäft mit dem Risiko. Und dabei erwirtschaften sie nicht nur normale Risikoprämien wie sie der Markt für riskante Anlagen im Vergleich zu weniger riskanten liefert, sondern beziehen ihre Rendite immer auch aus der Möglichkeit, das Katastrophenrisiko angesichts der minimalen Eigenkapitalquoten, mit denen sie arbeiten, auf andere Schultern zu verlagern. Die Verluste, die die Gläubiger der Banken und die Steuerzahler im Katastrophenfall tragen, tauchen im normalen Geschäftsgang als Sondergewinne auf, die man zur Freude der Aktionäre stolz in der Bilanz ausweisen kann."

Überlässt man Finanzinvestoren also ein von Regulierungen weitgehend unbeschränktes Spielfeld, ist geradezu zwangsläufig mit dem Aufbau immer höherer Risiken und den entsprechenden Folgeschäden für die Volkswirtschaften zu rechnen. Diesem glänzenden Plädoyer für eine effektive Regulierung der Finanzmärkte ist nichts hinzuzufügen.
Wenig überzeugend wird Sinn allerdings dort, wo er sich den Ursachen der Krise, die jenseits der Finanzmärkte liegen, widmet. Denn die Anreize der Finanzmarktingenieure, riskante Produkte anzubieten, wäre im Sande verlaufen, hätte es nicht einen kräftig wachsenden Kapitalstrom gegeben, der ihrer scheinbar bedurfte. Zu Recht führt Sinn als einen Grund die globalen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte an, die einen gewaltigen Kapitaltransfer von Ländern mit Handelsüberschüssen wie China, Japan und Deutschland zu Ländern mit Defiziten insbesondere den USA erforderten. Deren Entstehen erklärt er mit kreditfinanzierten Überkonsumption in den USA und der Standortschwäche in Deutschland, die sich in mangelnder Rentabilität binnenwirtschaftlicher Investitionen zeige, weil die Löhne zu hoch seien.

"Dass gerade Amerika so viel Sparkapital erhielt, liegt weniger an der Standortstärke als an der Innovationsfreudigkeit seines Finanzsystems, um nicht zu sagen, an den Tricks, mit Hilfe derer die amerikanischen Banker den Sparern der Welt das Geld aus der Tasche zogen."

Während dies grundsätzlich zutrifft, ist das Argument zu hoher Löhne in Deutschland an den Haaren herbeigezogen.

"Der pathologische Exportboom resultiert aus dem Umstand, dass hohe und rigide Löhne für einfache Arbeit die arbeitsintensiven Binnensektoren vernichten und eine erdrutschartige Fluchtbewegung des Kapitals und der qualifizierten Arbeit von den Binnensektoren in kapital- und wissensintensiven Exportsektoren hervorrufen."

Ein Land mit zu hohen Löhnen leidet an Exportdefiziten und Inflationstendenzen und nicht am Gegenteil, Überschüssen und Deflationstendenzen. Die Wahrheit ist denn auch, dass die Löhne im europäischen Mittelfeld liegen und in den vergangenen Jahren schwächer gestiegen sind als in allen anderen größeren Industrieländern. Sinn übersieht denn auch eine weitere wesentliche Wurzel der Krise: die weltweit zunehmende Ungleichheit. Sie führte zum Beispiel in den USA und Deutschland zur Erosion der konsumstarken Mittelschichten und zur Expansion der finanziellen Oberschicht mit Anlage suchendem Kapital. Während dies in den USA durch höhere Schulden kompensiert wurde, glitt Deutschland in eine tiefe Konsumschwäche, während die niedrigen Löhne zugleich den Export stimulierten. Die Folgen waren riskante Überschuldung und hohe Außenhandelsdefizite in den USA und hohe Ersparnis und Handelsüberschüsse in Deutschland. Der Humus für die Krise. Denn die schwachen Lohnzuwächse und ihre Konsequenz, das Außenhandelsungleichgewicht sind auch das Ergebnis eben jener Arbeitsmarktreformen, für die Sinn erneut wie auch schon in seinem ersten Buch plädiert. Insofern ist Sinns "Kasino-Kapitalismus" auch logische Folge seines eigenen Irrtums. Er hat es nur noch nicht bemerkt.

Hans-Werner Sinn: Kasino-Kapitalismus
Econ Verlag
Hans-Werner Sinn: "Kasino-Kapitalismus"
Hans-Werner Sinn: "Kasino-Kapitalismus"© Econ Verlag