Pilotin ohne Uniform

Rezensiert von Mandy Schielke |
In seiner Biographie erzählt Thomas Medicus die Geschichte einer eigensinnigen Frau während der Nazi-Zeit und die Geschichte einer Anpassung. Dabei beschreibt der Autor das Leben der Pilotin verblüffend detailreich.
Am Anfang steht ein Sommerabend in Berlin. Thomas Medicus diskutiert bei einem Essen mit Freunden über den 20. Juli 1944, das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler und den Attentäter Claus von Stauffenberg. Der Streit veranlasst ihn, die Claus-Stauffenberg-Biographie von Peter Hoffmann zu lesen. So entdeckt er Stauffenbergs Schwägerin Melitta und macht sich auf die Suche nach diesem Leben.

"Melitta von Stauffenberg war eine Ausnahmegestalt. Bis heute sind Frauen im Cockpit eine Seltenheit – der erste weibliche Flugkapitän in der Geschichte der deutschen Lufthansa wurde im Jahr 2000 ernannt. Ehrenhalber hatte Melitta, die auch nach ihrer Heirat mit Alexander von Stauffenberg ihren Mädchennamen Schiller bevorzugte, den Titel Flugkapitän schon 1937 erhalten. Sie durfte sich so bezeichnen, weil sie die Flugzeugführerscheine aller Qualifikationsklassen erworben hatte und in der Lage war, sämtliche damals verfügbare Flugzeugtypen zu fliegen. Dass sie als eine von wenigen Frauen ihrer Zeit Technische Physik studiert hatte und anschließend Karriere als Diplomingenieurin in der Luftfahrtforschung der späten Weimarer Republik wie des Dritten Reiches machte, war ebenfalls singulär."

Melitta von Stauffenberg testete als Ingenieurin Sturzkampfflieger und optimierte sie. Bis 1944 absolvierte sie über 2000 Testflüge –Abstürze in Sekundenschnelle, die unglaubliche Fitness und technische Beherrschung erforderten.

Allein schon deshalb ist dies die Biographie einer außergewöhnlichen Frau. Hinzu kommt ihre Ambivalenz. Sie hatte einen Vater, der vom Judentum zum Christentum konvertiert war, und einen Schwager, Claus von Stauffenberg, der als Mitglied des militärischen Widerstandes am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Hitler durchführte.

Beides beendete ihre Karriere nicht. Melitta von Stauffenberg starb, 42 Jahre alt, im April 1945 im Cockpit – abgeschossen in den Wirren des Kriegsendes auf der waghalsigen Suche nach ihrem Ehemann.

"Dem Anmeldebogen der Technischen Hochschule München, den sie im November 1922 ausfüllte, legte sie ein Passfoto bei, auf dem die Neunzehnjährige einem aus dem Nest gefallenen Vogel gleicht."

"Betonen möchte ich, dass für mich eine sehr wichtige Quelle die Fotografien sind. Es sind nicht nur die schriftlichen Dokumente von Bedeutung. Ich verwende die Fotografien nicht als Illustrationsmaterial, sondern das sind auch Quellendokumente, die man interpretieren kann und für mich gleichrangig neben den schriftlichen Dokumenten stehen."

"Ihrer altmodischen Hochsteckfrisur wie ihrer folkloristischen Aufmachung wegen empfanden sie ihre überwiegend männlichen Kommilitonen als landpomeranzenhaft, das ungewisse Lächeln so ins Leere brachte ihr den Spitznamen Mona Lisa ein."

Drei Jahre lang recherchierte sich der Berliner Publizist hierzulande und in Polen durch Archive und wertete zum Teil neues Material aus. Die Nachlässe von Melitta von Stauffenbergs Schwestern beispielsweise. Insgesamt muss sich er allerdings auf eine sehr dünne Quellenlage stützten. Doch das schreckte ihn keineswegs ab.

Genau schildert er den zeitgeschichtlichen Hintergrund dieser, wie er sagt, "Pilotin ohne Uniform", rekonstruiert, kombiniert und entwirft ein großes Panorama, bei dem einem diese unnahbare Melitta von Stauffenberg gelegentlich noch weiter abhanden kommt.

"Ungefähr im Mai muss sie angekommen sein. Wer sich damals in Hamburg in den Zug setzte, traf in Berlin am Lehrter Bahnhof ein, dort wo heute der neue Hauptbahnhof steht. Trat man durch das Südportal hinaus, gelangte man auf einen Platz am Spreeufer, wo die Droschken warteten. Für eine Droschke reichte vermutlich Melittas Geld nicht, also nahm sie den nördlichen Ausgang und stieg in die S-Bahn."

Melitta von Stauffenberg war eine disziplinierte Frau. Im Berlin der goldenen Zwanziger lebte sie, weit ab vom Geschehen im Stadtzentrum, in einer Siedlung in Johannisthal. 35 Quadratmeter für ein Leben in Funktionalität ohne Bequemlichkeit.

Sie klettert die Karriereleiter weiter hinauf und auch die Machtübernahme der Nazis beendet ihre Laufbahn nicht. Als die Fliegerin 1937 Alexander von Stauffenberg heiratet, kann das Paar die jüdische Herkunft der Braut verschleiern. 1940 fliegt Melitta auf, kann aber erreichen, dass sie so genannten "Deutschblütigen" offiziell gleichgestellt wird, und zwar zu einer Zeit, als sich der Rassenwahnsinn verschärft und nur ein paar S-Bahnstationen weiter auf der Wannseekonferenz über die Zwangssterilisierung von jüdischen Mischlingen und das Verbot von Mischehen beraten wird.

Eine atemberaubende, unheimliche Gleichzeitigkeit schildert Thomas Medicus da. 1943 wird Melitta von Stauffenberg dann auch noch das Eiserne Kreuz zweiter Klasse von Hermann Göring persönlich überreicht - eines der wenigen Ereignisse, über die es schriftlich niedergelegte persönliche Bemerkungen der Ingenieurin gibt.

"Melitta wurde zunächst …(Melitta von Stauffenberg)… in einen Riesensalon mit Gobelins und alten Bildern geführt, allmählich versammeln sich einige Damen, die Schwester und Nichte von Frau Göring ... Schließlich gibt sich auch die von einer Kiefervereiterung leicht behinderte Emmy Göring die Ehre und der korpulente Reichsmarschall selbst. Erst um vier Uhr nachmittags löst sich die heitere Runde auf, zuvor gibt es noch … einen erstklassigen Kaffee mit Rahm und Likeur oder Kognak. Es war urgemütlich, der Ton vergnügt und humorvoll und man hatte das Gefühl von einer aufrichtigen und rührenden Herzlichkeit."

Die existenzielle Gefahr, der sie als Halbjüdin und Testpilotin für die Nazis ausgesetzt war, hat Melitta von Stauffenberg durch eine nahezu perfekte Assimilation kompensiert. Sie wusste wohl auch nichts vom Attentat auf Hitler, wie es noch in der Claus-Stauffenberg-Biografie des Historikers Peter Hoffmann nachzulesen ist.

"Ich bin auch auf diese 20.-Juli-Geschichte erst einmal reingefallen. Die hat mich auch erst einmal gepackt. Eine Frau, die fliegt im militärischen Kontext, ist natürlich interessant und dann sich noch am 20. Juli beteiligt haben soll, das war der Kick für mich."

Nun belegt er, dass Melitta von Stauffenberg gar nicht eingeweiht sein konnte. Viele Seiten verwendet er darauf nicht.

Während seiner Recherchen ist er schließlich auf ein Leben gestoßen, das über dieses Detail hinaus verblüfft. Die Biographie erzählt die Geschichte einer eigensinnigen Frau und eine Geschichte über Anpassung in der Diktatur, die die Kategorien von Gut und Böse durcheinander wirbelt. Der Untertitel der Biographie "Ein deutsches Leben" gerät dabei fast zur Provokation.

Thomas Medicus: Melitta von Stauffenberg. Ein deutsches Leben
Verlag Rowohlt Berlin 2012
Cover: "Melitta von Stauffenberg, Ein deutsches Leben" von Thomas Medicus:
Cover: "Melitta von Stauffenberg, Ein deutsches Leben" von Thomas Medicus:© Rowohlt Berlin
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