Philosophische Flaschenpost

Simone de Beauvoir über das Frauwerden

04:00 Minuten
Porträt von Simone de Beauvoir im Jahr 1967 mit Kopfhörern in Stockholm.
Traditionelle Geschlechterrollen legen uns fest, aber wir können ihnen neue entgegensetzen, so die ermutigende Botschaft von Simone de Beauvoir. © picture-alliance / Leemage / Mario Dondero
Von Antje Schrupp · 20.06.2021
Audio herunterladen
Mädchen oder Junge? Spätestens mit der Geburt wird den meisten Menschen ein Geschlecht zugeordnet. Simone de Beauvoir aber wusste schon vor über 70 Jahren: "Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es." Was sagt uns das heute?
"Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es", schrieb Simone de Beauvoir vor über 70 Jahren im zweiten Teil ihres Werks "Das andere Geschlecht". Die Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp hält es noch immer für hochaktuell. Denn die französische Philosophin habe damit darauf hingewiesen, "dass Frausein eben nicht einfach eine biologische Tatsache ist, die sich aufgrund der Genitalien bei der Geburt klar feststellen lässt, sondern dass Frausein eine kulturelle Kategorie ist, die die Menschen selber hervorbringen, durch das, was sie tun."

Die Abwertung von Frauen ist kulturell verwurzelt

Die Veröffentlichung des Buches 1949 erfolgte nur wenige Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts in Frankreich. Die "Nachrangigkeit des Frauseins hinter dem Mannsein in unserer Kultur" sei aber damit noch lange nicht überwunden gewesen – vor diesem Hintergrund habe Beauvoir darauf aufmerksam machen wollen, "dass sich das Problem der Abwertung und Diskriminierung von Frauen nicht einfach dadurch lösen lässt, dass man ihnen formale Rechte zugesteht, weil die Geschlechterbilder einfach so tief in der Kultur verwurzelt sind".
Für die Überwindung dieser kulturell verankerten Nachrangigkeit nahm Beauvoir ausdrücklich auch die Frauen selbst in die Pflicht: Ihr sei wichtig gewesen, "dass die Frauen selber an dieser Konstruktion beteiligt sind, indem sie diese alten kulturellen Bilder immer wieder reproduzieren". Stattdessen müssten sie laut Beauvoir "von sich und ihresgleichen ein neues Bild entwerfen".

Care-Arbeit auch für Männer

Für diese Haltung sei sie zum Teil von anderen Feministinnen auch stark kritisiert worden – letzten Endes aber habe sie die Frauenbewegung der 1970er-Jahre massiv beeinflusst und spiele auch heute noch eine wichtige Rolle in feministischen Debatten. Auch wenn manche ihrer Positionen heute überholt seien, etwa was die Lösungsvorschläge angeht.
Während Beauvoir davon überzeugt gewesen sei, Frauen müssten es den Männern gleichmachen und mütterliche Tätigkeiten stark abgewertet habe, habe sich heute die Einsicht durchgesetzt, "dass Care-Tätigkeiten – die mütterliche Sicht auf die Welt, sage ich mal – vielleicht verdient hätten, sich zu verallgemeinern, dass die also über die Frauen hinaus auch den Männern angetragen werden könnten."
Aktuell aber bleibe die Erkenntnis, "dass das Problem der Geschlechterhierarchie vor allem ein symbolisches ist – also seine Wurzel darin hat, wie wir über Frausein und Weiblichkeit denken. Und da können wir heute im Feminismus noch sehr dran anknüpfen", sagt Schrupp.
Mehr zum Thema