Philosophische Flaschenpost

Dekolonisierungs-Theoretiker Frantz Fanon und die Last der Sprache

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Historisches Porträt von Frantz Fanon.
Frantz Fanon setzte Maßstäbe beim Nachdeneken über Dekolonialisierung. Er thematisierte unsere Sprache als Herrschaftsinstrument. © akg images / TT News Agency
Von Onur Erdur · 19.07.2020
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Frantz Fanon ist einer der bedeutendsten Vordenker der Dekolonialisierung. Sein Werk prägt auch das aktuelle Nachdenken über Rassismus und Kolonialismus. Etwa zur Rolle der Sprache. Diese Machstruktur wirke bis heute, sagt Kulturwissenschaftler Onur Erdur.
Durch die "Black Lives Matter"-Bewegung wird auch hierzulande seit einigen Wochen verstärkt über den Umgang mit Kolonialdenkmälern oder die Umbenennung von Straßen diskutiert. In der Debatte werden immer wieder Theorien über Rassismus und Kolonialgewalt zitiert, die von Vordenkern des Antikolonialismus stammen. Einer dieser wichtigen Theoretiker ist Frantz Fanon - und ein Zitat von ihm lautet: "Eine Sprache sprechen, heißt eine Welt, eine Kultur auf sich nehmen". Mit diesem Zitat weise Fanon darauf hin, dass die Sprache in kolonialen Kontexten ein zentrales Mittel der Macht war, erklärt der Berliner Kulturwissenschaftler Onur Erdur.
Frantz Fanon ist einer der bedeutendsten Theoretiker der Dekolonialisierung. Er wurde 1925 auf der Karibikinsel Martinique geboren, später war er als Arzt und Psychiater in Frankreich und Algerien tätig. Ab den 50er-Jahren trat er als antikolonialer Intellektueller in die Öffentlichkeit und wurde mit seinem Werk "Schwarze Haut, weiße Masken" (1952) einem größeren Publikum bekannt.

Manifest des Antikolonialismus

Fanons Hauptwerk "Die Verdammten dieser Erde" (1961) sollte zu einem der wichtigsten Manifeste des Antikolonialismus werden. Obwohl er bereits 1961 verstarb, prägt sein Werk auch das aktuelle Nachdenken über Rassismus und (Post-)Kolonialismus.
Porträt von Onur Erdur
Auch heute noch manifestierten sich in unserer Sprache postkoloniale und rassistische Kontinuitäten, sagt der Kulturwissenschaftler Onur Erdur© Christoph Bombart Photography
Fanon beschrieb, dass in den Kolonien die Muttersprache der Europäer das kulturelle Bezugssystem war, an dem sich die Kolonisierten zwangsläufig orientieren mussten. Mit dieser Sprache – hier Französisch – nahmen sie also die Last einer kolonialen Matrix auf sich. Um Anerkennung finden zu können, waren sie gezwungen, sich im metaphorischen Sinne "weiße Masken" aufzusetzen und sich von ihrer eigenen Kultur und Sprache zu entfremden.

Damit alle frei sein können: unsere Sprache überholen

Auch heute noch manifestierten sich in unserer Sprache postkoloniale und rassistische Kontinuitäten, sagt Onur Erdur. In den aktuellen Auseinandersetzungen um Rassismus – etwa in der Diskussion um Polizeigewalt, Straßennamen oder Buchausgaben – sei die Frage zentral, "wie Sprache unser Denken prägt, unseren Blick formt und unsere Politik bestimmt".
Fanon erinnere uns daran, dass es in den hitzigen Diskussionen um politisch korrekte Sprache nicht um bloßes Schattenfechten ginge, sondern um einen Schauplatz der Macht und Gewalt. Wenn wir einander ohne Herabwürdigungen begegnen wollen, müssen wir deshalb auch unsere Sprache verändern, so Erdur.
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