Philosophie

Quantenkosmologie und Geschlechtsverkehr

Eine Frau wartet am 25.9.2014 auf ihre U-Bahn in einer Subway-Haltestelle von New York.
Sein Buch sei wie eine U-Bahn-Fahrt, meint Autor Žižek. © AFP Photo / Jewel Samad
Von Ingo Arend · 30.10.2014
Spielerisch und intellektuell nähert sich der Philosoph Slavoj Žižeks dem Phänomen des "Ereignisses" an und betrachtet es philosophisch, religiös und psychoanalytisch. Er beweist in diesem Buch wieder einmal, warum er als Enfant Terrible der europäischen Philosophie gilt.
"Das überraschende Auftreten von etwas Neuem, das jegliches stabile Schema unterläuft".
Übermäßig originell klingt Slavoj Žižeks Antwort auf die Frage "Was ist ein Ereignis?" nicht. Wer die ultimative Antwort auf die Frage nach einem schwer fassbaren Phänomen erhofft, dürfte von dem neuesten Buch des slowenischen Philosophen enttäuscht sein.
Žižek, Jahrgang 1949, der in Ljubljana und London Philosophie lehrt, ist in den letzten Jahren zu dem Kultphilosophen der westeuropäischen Intelligenz aufgestiegen. In "Was ist ein Ereignis?" legt er keine systematische Philosophie des Ereignisses vor. Er vergleicht sein Buch selbst mit einer U-Bahnfahrt mit sechs Stationen. Wo er Halt macht, schreitet er das Gelände der Dimensionen des Begriffs ab – seien sie nun philosophisch, religiös oder psychoanalytisch.
Paradox von der Bibel bis Youtube
Žižek spannt seine Beweisführung zwischen die Pole Martin Heidegger und Stephen Hawkins – Gewährsmann für das transzendentale Ereignis der eine, Garant des Ereignisses als Realität der andere. In weiten Abschweifungen streift er dabei alle Gebiete der menschlichen Existenz: Vom Sündenfall bis zum Urknall, von der Quantenkosmologie bis zum Geschlechtsverkehr.
Glänzend demonstriert er natürlich auch in diesem Buch seine charakteristische Argumentationstechnik: Žižek erhellt seine Grundfrage an scheinbar paradoxen Referenzen aus der Kulturgeschichte von der Bibel bis Youtube.
Der plötzliche Mord in einem Eisenbahnabteil in Agatha Christies Kriminalstück "16 Uhr 50 ab Paddington" zieht er genauso als Exempel für das Geheimnis des Ereignisses heran wie das "Gagnam Style"-Video des südkoreanischen Sängers Psy oder Hans-Christian Andersens Märchen "Die roten Schuhe". In Psys millionenfach geklicktem Video sieht er die postmoderne Variante der kollektiven Erfahrung mit der versengenden Kraft des Heiligen. Andersens tanzende Schuhe verkörpern den Trieb in Reinform. Und natürlich greift der Marxist Žižek auch in diesem Buch auf Wladimir Iljitsch Lenin zurück.
Stets wiederkehrende Referenzen an den Kommunismus
Der sowjetische Revolutionär muss diesmal herhalten, um die moralischen Unterschiede zwischen Ehebruch und Ehe ohne Liebe zu diskutieren. Wegen solcher, in Žižeks Büchern stets wiederkehrender Referenzen an den Kommunismus als politische Utopie und als philosophisches Gedankengebäude gilt der Philosoph als Enfant Terrible der europäischen Philosophie.
So spielerisch sich Žižek in "Was ist ein Ereignis?" gibt, so wenig ist dieses Buch nur ein intellektuelles Glasperlenspiel. Die unmittelbare Gegenwart erreicht der Philosoph, wenn er erklärt, warum sich der Buddhismus und der entfesselte Kapitalismus gut vertragen. Oder in seiner Schlussfolgerung:
"Im Kapitalismus, wo sich die Dinge ständig ändern, um gleich zu bleiben, würde das wahre Ereignis darin bestehen, das Prinzip der Veränderung selbst zu verändern."
Es ist diese unnachahmliche Mischung aus analytischer Kraft und dialektischem Denken, die Žižeks selbst immer wieder zum Ereignis macht.

Slavoj Žižek: Was ist ein Ereignis?
S. Fischer Verlag
207 Seiten, 16,99