Philosophie der frommen Wünsche
Religiös motivierte Terroranschläge, Hysterie bei der Papstwahl, ein Präsident, der sich auf Gottes Wort beruft – Religion spielt wieder eine Rolle in der Weltpolitik. Die beiden Philosophen Richard Rorty und Gianni Vattimo untersuchen in „Die Zukunft der Religion“ diese neue Rolle und fordern gleichzeitig, diese aufs Private zu beschränken.
Philosophie ist ihre Zeit in Gedanken gefasst, so hat einst Hegel die Aufgabe seiner Profession definiert. „Die Zukunft der Religion“ von Richard Rorty und Gianni Vattimo liefert reichlich Anschauungsmaterial für diesen Anspruch. Das schmale Bändchen, das aus zwei kurzen Essays und einem Gespräch der zwei einflussreichsten Vertreter der philosophischen Postmoderne besteht, ist eine bemerkenswerte Mischung aus scharfsinnigen Analysen und kaum kaschierter Hilflosigkeit – ein echtes Zeitdokument im Sinne Hegels.
Der islamische Fundamentalismus und seine terroristischen Konsequenzen haben erneut die Frage nach der Bedeutung religiöser Überzeugungen aufgeworfen. Rorty und Vattimo reagieren darauf, indem sie zunächst die religiöse Situation des Westens in groben Zügen skizzieren. Denn auch das Christentum liefert Beispiele genug für einen Glauben, der sich ins Destruktive wendet, indem er sich kritischer Korrektur zu entziehen versucht.
Vor allem die kirchlichen Institutionen sind für das ameriko-italienische Gespann Ausdruck der machtpolitischen Erstarrung religiöser Inhalte. Der päpstliche Unfehlbarkeitsanspruch liefert das prägnanteste Beispiel. Doch geht es hier weniger um Kritik am Katholizismus als um ein strukturelles Problem von Glauben überhaupt: Fundamentalismus beginnt für Rorty immer schon dort, wo dem Wort Wahrheit Herrschaft über Denken und Handeln eingeräumt wird. Denn vom Glauben führt in aufgeklärten Zeiten kein Weg mehr zum Wissen. Wir misstrauen zu Recht den Gottesbeweisen ebenso wie dem platten Atheismus, der einst die Nichtexistenz Gottes mit naturwissenschaftlicher Attitüde beweisen wollte.
Dabei waren postmoderne Autoren wie Rorty und Vattimo schon immer der Ansicht, dass wir nicht viel verlieren, wenn das Wort Wahrheit aus dem Verkehr gezogen würde. Im Gegenteil, erst wenn wir uns nicht mehr mit Streitigkeiten über die wahre Philosophie oder den wahren Glauben verzetteln, können wir uns pragmatisch um eine bessere Welt bemühen.
Für das Bild der Religion hat das weitreichende Folgen:
„Unserer Auffassung nach ist nichts gegen die Religion einzuwenden, solange sie privatisiert ist – solange kirchliche Institutionen nicht versuchen, die Gläubigen für politische Forderungen zu mobilisieren, und solange Gläubige und Nichtgläubige darin übereinkommen, miteinander nach dem Motto ‚leben und leben lassen‘ umzugehen.“
Im 451. Jahr des Augsburger Religionsfriedens gerät Rortys Argumentation damit aber in einen Widerspruch, der sich nur schwer auflösen lässt. Auf der einen Seite soll sich die Tendenz zum Dogmatismus nur zähmen lassen, wenn Glaubensinhalte ganz in den Bereich des Privaten zurückgenommen werden. Auf der anderen kann man sich dann aber kaum vorstellen, wie eine solche privatisierte Religion in der Lage sein soll, am Projekt von Toleranz und Nächstenliebe öffentlich mitzuwirken.
Die heikelste Frage stellt am Ende Gianni Vattimo selbst:
„Was aber kann man tun, wenn man nicht auf diese spontane Präferenz für eine menschlichere und demokratischere Gesellschaft trifft?“
Rortys Antwort fällt betont nüchtern aus:
„Mit etwas Glück wird die gebildete Mittelklasse in den islamischen Ländern eine islamische Aufklärung herbeiführen, aber diese Aufklärung wird kaum nennenswert mit einem ‚Dialog mit dem Islam‘ zu tun haben“. "
Gegen ein dialogisches Prinzip, das auch im Hinblick auf religiöse Toleranz der rationalen Kraft guter Argumente vertraut, setzt Rorty die selbsterklärende Attraktivität der westlichen Lebensform.
„"Wir können dem Rest der Welt immer noch sagen: Schickt eure Leute auf unsere Universitäten, macht euch mit unseren Traditionen vertraut und ihr werdet schließlich die Vorteile einer demokratischen Lebensweise erkennen“
So steht am Ende dieses religionskritischen Versuchs doch noch der fromme Wunsch.
Richard Rorty und Gianni Vattimo: Die Zukunft der Religion
Hrsg. von Santiago Zabala
Übersetzt von Michael Adrian und Nora Fröhder
Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2006
113 Seiten
Der islamische Fundamentalismus und seine terroristischen Konsequenzen haben erneut die Frage nach der Bedeutung religiöser Überzeugungen aufgeworfen. Rorty und Vattimo reagieren darauf, indem sie zunächst die religiöse Situation des Westens in groben Zügen skizzieren. Denn auch das Christentum liefert Beispiele genug für einen Glauben, der sich ins Destruktive wendet, indem er sich kritischer Korrektur zu entziehen versucht.
Vor allem die kirchlichen Institutionen sind für das ameriko-italienische Gespann Ausdruck der machtpolitischen Erstarrung religiöser Inhalte. Der päpstliche Unfehlbarkeitsanspruch liefert das prägnanteste Beispiel. Doch geht es hier weniger um Kritik am Katholizismus als um ein strukturelles Problem von Glauben überhaupt: Fundamentalismus beginnt für Rorty immer schon dort, wo dem Wort Wahrheit Herrschaft über Denken und Handeln eingeräumt wird. Denn vom Glauben führt in aufgeklärten Zeiten kein Weg mehr zum Wissen. Wir misstrauen zu Recht den Gottesbeweisen ebenso wie dem platten Atheismus, der einst die Nichtexistenz Gottes mit naturwissenschaftlicher Attitüde beweisen wollte.
Dabei waren postmoderne Autoren wie Rorty und Vattimo schon immer der Ansicht, dass wir nicht viel verlieren, wenn das Wort Wahrheit aus dem Verkehr gezogen würde. Im Gegenteil, erst wenn wir uns nicht mehr mit Streitigkeiten über die wahre Philosophie oder den wahren Glauben verzetteln, können wir uns pragmatisch um eine bessere Welt bemühen.
Für das Bild der Religion hat das weitreichende Folgen:
„Unserer Auffassung nach ist nichts gegen die Religion einzuwenden, solange sie privatisiert ist – solange kirchliche Institutionen nicht versuchen, die Gläubigen für politische Forderungen zu mobilisieren, und solange Gläubige und Nichtgläubige darin übereinkommen, miteinander nach dem Motto ‚leben und leben lassen‘ umzugehen.“
Im 451. Jahr des Augsburger Religionsfriedens gerät Rortys Argumentation damit aber in einen Widerspruch, der sich nur schwer auflösen lässt. Auf der einen Seite soll sich die Tendenz zum Dogmatismus nur zähmen lassen, wenn Glaubensinhalte ganz in den Bereich des Privaten zurückgenommen werden. Auf der anderen kann man sich dann aber kaum vorstellen, wie eine solche privatisierte Religion in der Lage sein soll, am Projekt von Toleranz und Nächstenliebe öffentlich mitzuwirken.
Die heikelste Frage stellt am Ende Gianni Vattimo selbst:
„Was aber kann man tun, wenn man nicht auf diese spontane Präferenz für eine menschlichere und demokratischere Gesellschaft trifft?“
Rortys Antwort fällt betont nüchtern aus:
„Mit etwas Glück wird die gebildete Mittelklasse in den islamischen Ländern eine islamische Aufklärung herbeiführen, aber diese Aufklärung wird kaum nennenswert mit einem ‚Dialog mit dem Islam‘ zu tun haben“. "
Gegen ein dialogisches Prinzip, das auch im Hinblick auf religiöse Toleranz der rationalen Kraft guter Argumente vertraut, setzt Rorty die selbsterklärende Attraktivität der westlichen Lebensform.
„"Wir können dem Rest der Welt immer noch sagen: Schickt eure Leute auf unsere Universitäten, macht euch mit unseren Traditionen vertraut und ihr werdet schließlich die Vorteile einer demokratischen Lebensweise erkennen“
So steht am Ende dieses religionskritischen Versuchs doch noch der fromme Wunsch.
Richard Rorty und Gianni Vattimo: Die Zukunft der Religion
Hrsg. von Santiago Zabala
Übersetzt von Michael Adrian und Nora Fröhder
Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2006
113 Seiten