Philosoph Jens Soentgen über Staub

Alles kommt zu uns zurück

31:41 Minuten
Zu sehen ist ein Dachboden auf dem durch ein Fenster starkes Sonnenlicht einfällt, das durch den angestrahlten Staub sichtbar wird.
Er ist überall: Staub ist eine eigenwillige Materie. © unsplash / Mika Baumeister
Jens Soentgen im Gespräch mit Catherine Newmark |
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Winzig, lästig, unausweichlich: Wenn wir Staubpartikel überhaupt bemerken, dann meist als Ärgernis. Dabei bewirken die kleinen Schwebstoffe Großes, sagt der Chemiker und Philosoph Jens Soentgen. Und sie vermitteln uns ein neues Bild von uns selbst.
Ohne Staub kein blauer Himmel, kein Abendrot, kein Morgennebel: Wenn nicht kleinste Partikel und Tröpfchen das Sonnenlicht abmildern und modulieren würden, dann hätten wir auf der Erde "eine Szenerie wie auf dem Mond, wo ringsum alles schwarz ist und nur die Sonne unbarmherzig auf einen herunterbrennt", sagt Jens Soentgen, der an der Uni Augsburg das Wissenschaftszentrum Umwelt leitet.

Segensreiche Aerosole

Vieles, was unseren Planeten zu einem lebenswerten Ort macht, verdanken wir einem Phänomen, über das wir uns kaum Gedanken machen: dem Staub – wissenschaftlich ausgedrückt: den Aerosolen. Soentgen hat sich mit dieser eigenwilligen Materie als Chemiker und Philosoph intensiv befasst. In seinem Buch "Staub. Alles über fast nichts" stellt er die immense Bedeutung kleinster Teilchen an vielen Beispielen heraus.
Auf den natürlichen Blütenstaub, ohne den die meisten unserer Nahrungsmittel nicht gedeihen könnten, sind wir ebenso angewiesen wie auf diverse industriell hergestellte Aerosole, von fein zerstäubten Farbpartikeln über Treibstoffe bis hin zu Medikamenten.
Auch viele drängende Probleme unserer Zeit können wir nur verstehen, wenn wir die Bedeutung winziger Partikel erfassen, sagt Soentgen. Deshalb sei es ein großes Versäumnis, dass die Philosophie zwar immer wieder unser Verhältnis zu den Dingen in den Blick genommen habe, dabei aber "Undinge", die wie Staubpartikel zwischen Nichts und Etwas schweben, fast völlig außer Acht ließ.

Offene Körpergrenzen

In jüngster Zeit wurde uns durch die Coronapandemie bewusst, wie offen die Grenzen unseres Körper sind: Auf einmal wurde die Wolke von Tröpfchen, die uns alle umgibt, als potenzielle Gefahr für alle anderen wahrgenommen. Genauso bringt der Staub auch Abfälle oder Gifte aus der Umwelt zu uns zurück, von denen wir geglaubt hätten, sie dort ein für alle Mal loswerden zu können, sagt Soentgen.

Beim Atmen, beim Trinken und auch über die Haut kommen die Dinge zu uns. Und deswegen müssen wir uns auch kümmern, damit wir uns nicht selbst vergiften, sondern in einer Umwelt leben, in der wir aufblühen können.

Jens Soentgen, Chemiker und Philosoph

Ganz ohne Staub zu erzeugen, werden wir wohl auch in Zukunft nicht zusammenleben und wirtschaften können. Denn was wir auch produzieren, es fällt immer etwas ab, sagt Soentgen: "Indem man irgendetwas industriell herstellt, und sei es auch aus nachwachsenden Rohstoffen, entsteht notgedrungen Abwasser, Abwärme, Abfall – und ein Staubwölkchen." Kein Ding ohne Unding.

"Das Ich ist porös"

Jens Soentgens intensive Auseinandersetzung mit dem Staub fordert auch unser Selbstbild heraus. "Das Ich ist porös", sagte bereits der Philosoph Ludwig Feuerbach. Soentgen untermauert mit verblüffenden Zahlen, dass die klar konturierte Person, für die wir uns halten mögen, immer unschärfere Ränder bekommt, je genauer wir hinsehen.
Nur etwa die Hälfte unserer Zellen ist fest mit unserem Köper verbunden, der Rest verteilt sich auf das sogenannte "Mikrobiom", bestehend aus Bakterien, Pilzen und anderen Kleinstorganismen. "Wir sind eine Herberge von Mikropartikeln", sagt Soentgen.
Nicht nur nach außen sind unsere Grenzen also durchlässig und erlauben einen ständigen Austausch mit der Umwelt. "Auch in uns selbst kann man nicht sagen, dass wir alles unter Kontrolle haben, dass jede Zelle zentral gesteuert wird", betont Soentgen: "Da gibt es eine ganze Reihe von Besiedlern in uns, mit denen wir nur über eine gewisse Kooperation verbunden sind."

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