Philipp Preuss' neues Stück über den Applaus

Auf den Spuren eines faszinierenden Rituals

Der Regisseur Philipp Preuss
Für ihn ist Applaus so etwas wie eine Erlösung am Ende eines Stückes: Der Regisseur Philipp Preuss © Imago/ Drama-berlin.de
Philipp Preuss im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 05.05.2017
Es ist der Moment, in dem ein Theaterabend kulminiert: Der Applaus. Diese Sequenz ist fein orchestriert wie das ganze Stück, endlich dürfen die Zuschauer ihre Begeisterung oder ihr Missfallen ausdrücken. Philipp Preuss hat nun ein Stück darüber gemacht: "The Order of Appearance" beginnt dort, wo andere enden.
Liane von Billerbeck: Es ist der Moment, auf den alles zuläuft letztlich im Theater. Wenn das Stück vorbei ist, der Vorhang sich senkt - wenn es denn einen gibt - und die Schauspieler in wohlvollendeter Reihenfolge, denn natürlich ist auch das inszeniert, vor das Publikum treten, um den Beifall zu empfangen, den Applaus.
Das ist außerdem der Moment an dem sich bestenfalls die Gefühle des zum Stillhalten und Schweigen verdonnerten Publikums entladen durch Klatschen, Buhen, Pfeifen, Trampeln oder eben Applaus. Bei politischen Parteien wird an der Länge des Beifalls auf Parteitagen die Zustimmung regelrecht mit der Stoppuhr gemessen, und auch im Theater hört man sofort, wer die Herzen des Publikums gewinnen konnte. Die Applausordnung ist strikt festgelegt und wird ebenfalls geprobt. Eigentlich kein Wunder, dass es jetzt ein Stück genau darüber gibt. "The Order of Appearance" wird morgen, am 6. Mai, am Schauspiel Leipzig Premiere haben. Inszeniert hat dieses Stück der Österreicher Philipp Preuss, der sich schon an Romane wie Camus "Der Fremde" an der Berliner Schaubühne gemacht hat, und derzeit ist er Hausregisseur in Leipzig. "The Order of Appearance" ist sein Stück und seine Inszenierung. Schönen guten Tag, Herr Preuss!
Philipp Preuss: Guten Tag!
Billerbeck: Ich hab da gleich noch mal einen Applaus eingespielt, Herr Preuss, einfach um zu wissen, um zu erfahren, was Sie empfinden, wenn Sie so einen Beifall hören, der jetzt mal so trocken über den Äther kommt.
Preuss: Der Applaus ist halt so immer diese Art von Erlösung für alle Spieler und alle, die an der Produktion dran waren. Und erstmal hört sich das ja ganz gut an, wenn da viel Applaus ist. Es gibt auch Applaus, wo man auch froh ist, wenn sich das mit Buh mischt, also wenn das nicht zu eindeutig ist, wenn die Meinungen divergieren.

"Ein Lohn für die Arbeit"

Billerbeck: Ihr Stück beginnt ja, wenn der Vorhang gefallen ist, mit dem Applaus, also mit dem Ende eigentlich. Ist dieses Klatschen eigentlich das, wofür man spielt, wofür man inszeniert, also der wahre Lohn des Schauspielers und auch des Regisseurs?
Preuss: Ja, auf eine Art sicher. Dass man natürlich erstmal in einen schwarzen, dunklen Raum hineinspielt und immer probt für einen Adressaten sozusagen, wie der große Andere, wo sich dann am Schluss herausstellt, ist das überhaupt angekommen bei dem Adressaten. Klar, ich glaube, das ist so der Lohn auch für die Arbeit, dass man das überhaupt so hingestellt hat.
Billerbeck: Alles schön der Reihe nach, so läuft das ja im Theater, und das gilt auch für den Empfang des Beifalls. Es gibt die sogenannte Applausordnung, und die steigert sich ja meist. Jeder Theatergänger kennt das, von den kleineren Nebenrollen zum theatralischen Mittelbau bis hin zu den Stars, also bis zu den Hauptrollen. Ich habe mir vorige Woche "Glückliche Tage" nach Beckett am Deutschen Theater mit Dagmar Manzel angesehen, und es gab da, deshalb sage ich, mit Dagmar Manzel, es gab auch eine männliche Nebenrolle, größtenteils nur hörbar, kaum sichtbar. Am Ende durfte der Herr mal kurz über die Bühne krauchen. Am Ende hat sie aber zum Applaus immer wieder diesen Kollegen geholt, genauso gleichberechtigt neben sich gestellt. Wie wichtig ist diese Großzügigkeit der Hauptdarstellerin oder des Hauptdarstellers gegenüber den Nebenrollen und den Komparsen, auch beim Applaus?
Preuss: Zunächst ist es mal tatsächlich auch oder war es früher noch viel stärker ein Abbild von Hierarchie oder von Status. Es ist nicht nur die Rolle, sondern tatsächlich von der Schauspielerperson, was die für einen Status hat. Und dann ist es natürlich wichtig, wenn man gemeinsam eine Arbeit macht, dass man sich auch gemeinsam im Kollektiv verbeugen will dafür, wenn das eine Gemeinschaftsarbeit ist. Sondern das wäre es ja eher, nicht so, dass man jetzt quasi für die eigenen Eitelkeit das nur macht. Man will den Zuschauern auch zeigen, dass man tatsächlich gemeinsam an so einer Produktion dran war.

"Manche Zuschauer geraten in einen leicht schizophrenen Zustand"

Billerbeck: Bei der Premiere kommt ja auch der Regisseur auf die Bühne, meistens jedenfalls. Wie wichtig ist Ihnen das, dass Sie dann auch mal zu sehen sind, nicht bloß die Darsteller?
Preuss: Es ist ja so, dass sich der Applaus dann oft so teilt. Ich habe auch schon Zuschauer erlebt, die in einem leicht schizophrenen Zustand waren, die gleichzeitig applaudiert haben und Buh gebrüllt haben. Meistens kriegen die Schauspieler den Applaus und die Buhs kriegen dann die Regisseure. Ja, es ist, glaube ich, auch so für das eigene Arbeiten genauso wichtig wie für die Schauspieler, dass man weiß, ob so was ankommt oder nicht ankommt, und warum es dann auch nicht ankommt. Was hat die Leute da vielleicht so provoziert? Die Applausordnung ist ein Ritual, auch weil sie den Abend abschließt. Und das war für mich auch immer so das Faszinierende. Was ist das eigentlich? Ob das jetzt konservative Abende sind oder die wildesten Abende, es gibt diese Verabredung und dieses Ritual dieser Choreografie, dieses Gemeinsam-auch-sich-von-dem-Abend-Verabschieden.
Billerbeck: Wenn man so ein Stück über Wochen geprobt hat, dann muss man am Ende auch noch die Applausordnung proben, oder läuft das irgendwie automatisch, dass ganz klar ist, wer als Erster und wer als Letzter den Beifall in Empfang nimmt?
Preuss: Nein, das ist auch unterschiedlich, wie die Arbeitsweise ist. Man kann das auch so machen, dass man sich einigt, wir kommen jetzt alle raus, und es wird sich von selbst mit einer Form von Schwarmintelligenz organisieren. Klar, wenn da auch Chor dabei ist und wenn es ein größeres Stück mit viel Aufwand ist, dann muss man das natürlich ein bisschen eben ordnen, diesen Applaus. Das ist aber unterschiedlich.
Billerbeck: Kann man eigentlich mehr Applaus auch provozieren, also nicht nur, indem man einen Star auf die Bühne stellt, sondern gibt es dafür irgendwelche Tricks?
Preuss: Ich glaube, es gibt so ältere Intendanten, die da, glaube ich, sehr gut waren darin, da noch mal einen Vorhang, heißt es ja im Theater, noch einen Vorhang zu ziehen, also zu holen. Das hängt, glaube ich, auch damit zusammen, wann denn dann die Hauptdarsteller wirklich am Schluss kommen und wie lange auch die Zuschauer auch darauf warten, auch bis ja dieses ganze Regieteam kommt. Wenn also dann quasi das abebbt und man diese Welle, die letzte Welle des Applauses, da noch mal drauf reitet und dann noch mal rauskommt. Ich glaube, da gibt es schon so verschiedene Versuche, sich den Applaus noch ein bisschen zu verlängern.
Billerbeck: Ohne zu viel zu verraten, denn "The Order of Appearance", Ihr Stück, Ihre Inszenierung, hat ja erst morgen Abend Premiere am Schauspiel Leipzig, wie fassen Sie die Applausordnung in Ihrem Stück? Denn da geht es ja mächtig durcheinander. Da erscheinen, so habe ich es gelesen, Hamlet, Maria Stuart, Onkel Wanja, alle kommen bei Ihnen zusammen. Das ist ja schwierig, lauter Stars, lauter Heldinnen und Helden – wer ist denn der Hauptheld, der dann da den meisten Applaus bekommt?

"Etwas schön Absurdes"

Preuss: Das weiß ich nicht. Das wird sich zeigen. Das Stück beginnt ja da, wo das Drama beendet ist. Und dieser Zwischenbereich, was so eine Applausordnung ist, dass man teilweise noch in den Figuren ist, aber auch schon als Privatperson, als Schauspieler auf der Bühne steht, also genau in diesem Augenblick total diese Mischung, und jetzt, wenn so Applausordnungen hintereinander kommen, entsteht auch immer so ein Schlussbild, was man da sieht von dem Abend, von der Erzählung, von dem Stück, wie diese Figuren dann am Ende aussehen. Und was man so erlebt, ist dann auch eine Art Zeitreise, nicht nur theaterhistorische Reise, sondern natürlich auch eine Zeitreise, weil man immer wieder – es hört auf, und es kommt schon der nächste Applaus und die nächste Applausordnung. Das hat auch was schön Absurdes.
Billerbeck: Und auf diese Zeitreise kann sich begeben, wer morgen Abend ins Theater geht, ins Schauspiel Leipzig nämlich. Da läuft das Stück und die Inszenierung von Philipp Preuss, "The Order of Appearance", die Applausordnung. Wir wünschen toi-toi-toi und ganz viel Applaus natürlich.
Preuss: Bis dann!
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