Philipp Manow: "Die zentralen Nebensächlichkeiten..."

"Wie Politiker Currywurst essen"

13.07.2000, Berlin/ Mitte: Die SPD und ihre 150 Gäste bekamen kalte Füße: Denn das Sommerfest der Abgeordneten-Fraktion im Hof der Galerie "Kunst-Werke" (Augustatraße 69) litt unter fast herbstlichen Temperaturen. Die Stimmung erwärmte sich erst, als Kanzler Gerhard Schröder gegen 21 Uhr kam und SPD-Chef Peter Strieder Rückendeckung für den Wahlsonnabend gab. Foto: Walter Momper mit Currywurst. | Verwendung weltweit
SPD-Politiker Walter Momper beim Verzehren einer Curry-Wurst. © picture alliance/dpa/Kaufhold Reinhard
Philipp Manow im Gespräch mit Christian Rabhansl · 05.08.2017
Auf einer Skurrilitäten-Liste der Politik dürfte vermutlich die Merkel-Raute nicht fehlen, ihre Blazer und deren Farbsymbolik. Dies und was es bedeutet, wenn Politiker eine Vorliebe für Flechtslippers haben, hat Philipp Manow in seinem neuen Buch analysiert.
"Zentrale Nebensächlichkeiten" sind für den Autor Philipp Manow nur ein scheinbarer Widerspruch. Manow hat sich in seinem gleichnamigen Buch mit den skurrilen Dingen der Politik und der Demokratie beschäftigt: Was verrät die Blazer-Farbe der Bundeskanzlerin über den Fortschritt der EU-Verhandlungen? Haben Politiker eine typische Art zu gehen – und was sagt der über sie aus?
Zum Beispiel:
"Was sehen wir eigentlich, wenn wir in der ‚Tagesschau‘ die Leute zum Interview gehen sehen, die dann Statements abgeben? Oder wenn wir Limousinen vorfahren sehen oder manchmal auch Nicht-Limousinen, der griechische Finanzminister kam in seinem Toyota-Bus, das war ja dann auch ein wichtiges Zeichen."
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Hände zur Raute aneinandergelegt
Auch die berühmte Merkel-Raute darf in Philipp Manows Buch nicht fehlen.© picture alliance /dpa /Michael Kappeler
Über die Inszenierung von Politikern sagt Manow:
"Nicht der Politiker inszeniert sich, sondern wir ihn. Wir entkommen gar nicht dem Darstellungszwang, Politik muss sich ja irgendwie plausibel machen, Macht muss sich irgendwie plausibel machen, muss sich irgendwie zeigen."

Kurt Beck um Entschuldigung bitten

Und manchmal seien Häme und Ironie die Reaktion des Wählervolkes - weil wir Politiker spießig, provinziell, täppisch fänden. Doch die seien von Fall zu Fall auch etwas fehl am Platz:
"Vielleicht müssen wir uns auch bei Kurt Beck entschuldigen, dass wir ihn so übergossen haben als Provinzpolitiker, mit Ironie, der sich auf Flechtslippern auf den Weg von Mainz nach Berlin macht und nie so richtig ankommt. Wie gesagt, es gibt den Impuls, erst mal zu lachen, aber vielleicht müssen wir uns ein bisschen entschuldigen bei diesen Akteuren."

Philipp Manow, "Die zentralen Nebensächlichkeiten der Demokratie"
Rowohlt, 2017, 318 Seiten, 14,99 Euro


Das Interview im Wortlaut:

Christian Rabhansl: Was wird von Merkels Kanzlerschaft wohl übrig bleiben? Der Atomausstieg, die Flüchtlingspolitik oder die widerwillige Öffnung der Ehe – einerseits? Oder bleiben vielleicht eher zurück ihre Fingerraute oder die Schweißflecken in Bayreuth damals oder diese unglaublich vielen Blazer in wirklich jeder erdenklichen Farbabstufung? Es sind diese Nebensächlichkeiten der Politik und die Rituale und die Applausminuten, die Philip Manow ins Zentrum rückt in seinem ziemlich ungewöhnlichen politischen Wörterbuch: Er betrachtet nämlich Föhnfrisuren und Flechtslipper, Sommerreisen und Zehn-Punkte-Pläne. Guten Tag, Herr Manow!
Philip Manow: Tag, Herr Rabhansl!
Rabhansl: Sie sind immerhin Professor für Politikwissenschaften an der Universität Bremen, aber Sie sezieren hier, wie Politiker sprechen, wie sie gehen, wie sie sich kleiden, was sie essen. Warum interessieren Sie sich für diese Nebensächlichkeiten?
Manow: Also, der Titel ist ja "Die zentralen Nebensächlichkeiten", also, das deutet schon irgendwie an: Es geht nicht um extreme Randnotizen und total skurrile Dinge, sondern vielleicht – das wäre zumindest die These dieses Buches – lernen wir etwas Zentrales über die Demokratie, etwas Essenzielles, indem wir vielleicht nicht die übliche Einflugschneise benutzen und über Demokratietheorie einfliegen, quasi von sehr, sehr hoher Flughöhe, sondern indem wir uns tatsächlich den Kleinigkeiten, den Nebensächlichkeiten zuwenden und erst mal aus der Hinwendung zu diesen Dingen lernen, wie der politische Betrieb ist, unter welchem Druck, unter welcher Beobachtungsintensität die Akteure sich bewegen, und wir dann eben auch vielleicht etwas lernen darüber, wie die repräsentative Demokratie sich eigentlich zu repräsentieren hat.
Rabhansl: Und das ist sehr unterhaltsam zu lesen. Sie untersuchen da zum Beispiel, ob es eine typische Art und Weise gibt, in der Politiker gehen. Und ich lerne: Ja, die gibt es. Sie untersuchen, ob wir an der Blazerfarbe der Kanzlerin, von der ich schon gesprochen habe, eigentlich den Fortschritt von EU-Verhandlungen ablesen können. Nein, lerne ich, können wir nicht. Bei Applausminuten, die schon im Titel stehen, worauf es da ankommt, nämlich nicht auf die Intensität, sondern auf die Länge. Wonach haben Sie sich denn diese vielen Beispiele eigentlich ausgesucht?
US-Präsident Donald J. Trump während eines Treffens mit Vertretern von US-Firmen, bei dem die Stärkung von US-Produkten das Thema ist (19. Juli 2017).
Selbstinszenierer par excellence: Will US-Präsident Donald J. Trump hier für Produkte "made in U.S." werben?© dpa / Pool via CNP
Manow: Ja, das ist eine gute Frage.
Rabhansl: Ist das mehr so passiert?
Manow: Das ist teilweise wirklich mehr so passiert. Ich bin ja berufsmäßig dazu verpflichtet, der Politik sehr, sehr intensiv zu folgen. Und wenn man das macht die ganze Zeit, dann tauchen einfach so Fragen auf wie: Warum sind alle politischen Pläne eigentlich Zehn-Punkte-Pläne? Was sehen wir eigentlich, wenn wir in der "Tagesschau" die Leute zum Interview gehen sehen, die dann Statements abgeben, oder wenn wir Limousinen vorfahren sehen oder manchmal auch Nicht-Limousinen, der griechische Finanzminister kam in seinem Toyota-Bus, das war ja dann auch ein wichtiges Zeichen …
Rabhansl: Ja, oder das Motorrad, das war auch ganz toll!
Manow: Absolut, Varoufakis, der noch am besten den Helm aufbehalten wollte und nur das Visier hochklappen, klar, mit Rockerjacke … Also, was sehen wir dann eigentlich? Klar, es gibt das Herausstechende, Varoufakis ist selbst so ein Beispiel, aber selbst wenn wir einfach nur den Alltagsbetrieb sehen, also das Unspektakuläre, auch vielleicht die nicht exzentrischen Politikgesten, selbst dann ist ja die Frage: Okay, was genau wird uns da eigentlich dargestellt? Also, das soll jetzt nicht unbedingt die These sein, es gebe eine Oberfläche und dahinter würde die wahre Politik, sondern es gibt eigentlich eher die These: Politik muss dargestellt werden. Und da sind viele Akteure dran beteiligt, unter anderem ja auch Sie, also die Medien, die Journalisten. Und ja, das zu nehmen und zu versuchen zu dechiffrieren, zu fragen, welcher Art von Beruhigungswirkung hat das dann eigentlich, das war so der Hauptimpetus. Und man stolpert über bestimmte Dinge und die Themen kommen dann zu einem und nicht man selbst zu den Themen.
Rabhansl: Ja, und da stolpert man dann zum Beispiel darüber, wie Politiker Currywurst essen oder wie sie sich die Haare föhnen, oder auch diese Homestorys aus den doch recht spießigen Backsteinhäusern von Bundespräsidenten. Sie haben jetzt auch gerade schon gesagt, daran sind wir Medien beteiligt. Und das ist die Frage: Inszenieren sich hier Politiker oder werden sie durch unsere Beobachtung inszeniert?
Manow: Na ja, das ist ja eine der Hauptthesen des Buches: Nicht der Politiker inszeniert sich, sondern wir ihn. Wir entkommen gar nicht dem Darstellungszwang, Politik muss sich ja irgendwie plausibel machen, Macht muss sich irgendwie plausibel machen, muss sich irgendwie zeigen. Und darüber würde ich dann eben sagen: Alle Beteiligten, das heißt, sowohl die Politiker oder die Politikerinnen als auch die Medien als auch die Rezipienten, also wir letztendlich, sind daran beteiligt, diese Sinnzusammenhänge herzustellen. Zum Beispiel, also, Merkel ist ja schon eingangs genannt worden, die sich ja anfangs relativ stark ihrer Präsentation der Person eigentlich eher verweigert hat, weil sie aus einer anderen politischen Sozialisation kommt, …
Rabhansl: Und dafür auch viel Spott ertragen musste für ihre Frisur!
Manow: Unheimliche Häme, absolut! Also, selbst wenn man sich dem verweigert, man aus diesem Sinnzusammenhang eigentlich nicht rauskommt, weil man dann ganz genau unheimlich beobachtet, und dann wird es eben halt lächerlich gemacht, ironisiert oder wie auch immer.
Rabhansl: Diese Verweigerer gibt es ja aber eigentlich kaum noch. Nehmen wir mal ein konkretes Beispiel: Da analysieren Sie gerade bei linksliberalen Politikern, wie die überlegen: Wie verkaufe ich denn am besten Toleranz und Weltoffenheit? Und dann landen die bei einem Wort, das lautet da: "bunt". Und das muss dann immer benutzt werden, alles ist bunt. Und Sie sagen, die politische Wortwahl will, dass wir in Wirklichkeit gar keine Wahl mehr haben!
Manow: Ja, das ist eine der vielleicht eher kontroversen Thesen des Buches. Es schaut sich ja in mehreren Kapiteln den politischen Sprachgebrauch an. Also, was ist das Politiker-Interview, welche Formeln werden in die Welt gesetzt, "Scheitert der Euro, scheitert Europa", "Wir schaffen das" et cetera. Und unser gängiges Verständnis von Politik ist eigentlich der des Streites, des Konfliktes, der Auseinandersetzung. Aber ein ganz großer Teil dessen, was wir sehen ist eigentlich der beständige Versuch, den Konflikt zu vermeiden. Und je perfekter das gelingt, würde ich fast vermuten, desto mehr Frustration ist da, weil die Dispute gar nicht mehr ausgetragen werden, weil man eben mit bestimmten Begriffen … Also, wer ist gegen sozialen Frieden? Wer ist gegen Gerechtigkeit? Wer wäre gegen Toleranz? Also, das sind alles Begriffe, wo man eigentlich den Gegenbegriff gar nicht ernsthaft vertreten kann.
Rabhansl: Und da habe ich den Eindruck, Sie leiden sehr … oder Sie kritisieren sehr eine zunehmende Moralisierung der Politik. Ist das so?
Manow: Absolut.
Rabhansl: Woran machen Sie die fest?
Manow: Ja, das ist … Die Antwort selbst darauf, woher die Moralisierung der Politik genau kommt, habe ich letztlich noch nicht. Aber das war sicherlich ein starkes Motiv, zu fragen: Woher kommen diese enormen Erregungszustände, die ja dem jeweils anderen Lager auch ganz fundamental Ernsthaftigkeit absprechen, oder echte Besorgnis oder wie auch immer. Und dass ich das insgesamt für den Diskurs absolut verheerend halte, das sollte nicht plakativ rauskommen, aber es kommt vielleicht an der einen oder anderen Stelle raus. Das wäre natürlich sehr schön. Aber das ist genau die Frage: Ist auch vielleicht tatsächlich die Art und Weise, wie wir mittlerweile die Darstellung von bestimmten ideologischen Positionen perfektioniert haben, trägt das mit dazu bei, dass die Lager eigentlich nicht mehr miteinander reden?
Rabhansl: Und liegt das an den Ritualen, die Sie hier als sogenannte zentrale Nebensächlichkeiten beschreiben?
Manow: Na ja, das ist jetzt eher auf der Ebene der Rhetorik. Also, die Rituale selbst oder tatsächlich die Praktiken des politischen Alltagsbetriebes, glaube ich, bearbeiten eine permanente … ja, ich würde nicht sagen: Sollbruchstelle, sondern eben eine Kannbruchstelle in der repräsentativen Demokratie. Also, es ist einfach automatisch so: Wenn wir eine Art von politischer Arbeitsteilung haben, dann ist natürlich immer strukturell-systematisch angelegt der Verdacht, dass sich dort eine Klasse quasi absondert, und es muss eigentlich die ganze Zeit gezeigt werden: Nein, nein, wir sind gar nicht anders, wir sind genauso wie ihr! Und da kommt dann die ganze Spießigkeit, das Nicht-Exzentrische. Abgesehen von den Populisten, die natürlich durchaus exzentrische Auftritte haben, systematisch, weil sie genau zeigen wollen, dass sie nicht dazugehören …
Rabhansl: Da ist ja ein sehr fein beobachtetes und sehr bösartig geschriebenes Kapitel das über die "Burg Wulffenstein", also über die Ästhetik des Hauses, das Christian Wulff damals kaufte und damit das Ende seiner Präsidentschaft einleitete, diese Backsteinästhetik … Und die wird jetzt kontrastiert von Leuten wie Donald Trump!
Manow: Genau. Und das ist vielleicht ein ganz gutes Beispiel dafür, wie … ja, über das, was wir eben besprochen haben, wie Themen zu einem kommen. Das stand eigentlich schon mal so als Passagen über diesem Großburgwedeler Eigenheimbrei, und dann kam tatsächlich so eine Person wie Trump mit seinem Apartment da im Trump Tower, der ja nun das komplette Gegenprogramm ist. Ja, und dann fragt man sich natürlich: Okay, wie kommst du jetzt mit dem ostentativen schlechten Geschmack und dieser Opulenz und den Spiegeln und dem Marmor und dem Gold und was weiß ich und dieser ganzen Überladenheit, wie kommst du denn damit jetzt eigentlich klar, warum ist das denn jetzt auf einmal massenkompatibel?
Rabhansl: Ja, und wenn ich das überspitzt bezeichne als eine Spiegelung: der Hang zum politischen Extrem, der sich im ästhetischen Extrem spiegelt - und gleichzeitig dann die Kompromissbereitschaft, die sich eben auch im Mittelmaß des Backsteinbaus spiegelt: Müssen wir uns da im Nachhinein ein bisschen schämen für unsere damalige Häme?
Manow: Ja, vielleicht. Vielleicht müssen wir uns auch bei Kurt Beck entschuldigen, dass wir ihn so übergossen haben als Provinzpolitiker, mit Ironie, der sich auf Flechtslippern auf den Weg von Mainz nach Berlin macht und nie so richtig ankommt. Wie gesagt, es gibt den Impuls, erst mal zu lachen, aber vielleicht müssen wir uns ein bisschen entschuldigen bei diesen Akteuren, ja.
Rabhansl: Der Bremer Politikwissenschaftler Philip Manow hat das Buch geschrieben "Die zentralen Nebensächlichkeiten der Demokratie. Von Applausminuten, Föhnfrisuren und Zehnpunkteplänen", erschienen ist es bei Rowohlt Polaris, und das Buch umfasst 320 Seiten, kostet 14,99 Euro. Herr Manow, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Manow: Ja, vielen Dank, Herr Rabhansl!
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