Höhere Pflegelöhne

Wer zahlt für die neue Gerechtigkeit?

08:40 Minuten
Illustration: Geschäftsmänner jonglieren mit Geld über ÄrztInnen, Krankenschwestern und PflegerInnen.
Neben höheren Löhnen werden stationäre Pflegeeinrichtungen spürbar durch die stark gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel belastet. © imago / Ikon Images / Oivind Hovland
Von Alexandra Gerlach · 13.09.2022
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Weil private Pflegedienste ihre Kräfte nach Tarif bezahlen müssen, steigen die Pflegekosten. Kassen und Dienste müssen deshalb neu verhandeln. Bis dahin tragen die Patienten die Kostensteigerungen. Das hat gravierende Folgen für die Betroffenen.
"Guten Morgen! Schon ausgeschlafen?" Es ist kurz vor sechs Uhr an diesem Morgen. Pfleger Mario hat sein Auto vor dem Tor eines Drei-Seiten-Hofes eingeparkt. Hier wohnt der knapp 88-jährige Johannes Schubert, der seit kurzem, seit einem Sturz, jeden Tag zuhause vom ambulanten Pflegedienst betreut wird. 
Mario ist 44 Jahre alt und hat Koch gelernt. Doch 2014 kehrte er seinem Beruf den Rücken, hatte genug von 16-Stunden-Schichten und unregelmäßigen Arbeitszeiten. Er schulte um, wurde Altenpfleger. Er mag seinen Beruf und seine Patienten und die Lebensgeschichten der Menschen: "Also meine älteste Bewohnerin war 107. Die hat wirklich alles erlebt, und wenn man sich mit den Leuten hinsetzt und hört, was die ihr ganzes Leben erlebt haben oder gemacht haben, das ist für mich interessant."

Körperlich und psychisch fordernd

Die Frage, ob sein Beruf schwer sei, beantwortet der Wahl-Meißener mit einem breiten Grinsen: "Mmh, ich mache es mir ziemlich einfach, indem ich immer gute Laune habe. Und wenn die Patienten das merken, lässt es sich einfach arbeiten, die machen da eher mit und sind motiviert, als wenn ich da früh reinkomme, ein Gesicht ziehe und einfach nur abarbeite."
Doch auf Nachfrage fällt die Antwort dann etwas anders aus. Die Arbeit, gerade in der Altenpflege, sei vielschichtig und sowohl körperlich als auch psychisch fordernd:
"Als Mann geht’s, als Frau möchte ich es nicht machen - manchmal. Also die haben es da ein bissel schwerer, gerade wenn man da Pflegegrad-5-Patienten hat, die ein bisschen mehr Gewicht haben. Man muss schon abgehärtet sein. Das ist nicht wie im Pflegeheim, wo sie dann im Pflegeheim sterben, die du dann zwei, drei Mal siehst. Hier, dafür muss man geboren sein, sage ich mal."

 Zufrieden mit dem Pflegedienstleister

Mario ist zufrieden mit dem Pflegedienstleister, bei dem er seit einigen Jahren beschäftigt ist. Es gebe – anders als in seinem früheren Beruf - geregelte Arbeits- und Freizeiten sowie guten Lohn für seine Arbeit. Er freut sich über die Lohnerhöhung durch die Pflegereform, die zum 1. September in Kraft getreten ist. Noch weiß er allerdings nicht so genau, wieviel ihm am Ende vom Plus beim Stundenlohn bleiben wird. "Das sehe ich ja erst."

Viel wird nicht übrig bleiben, wird ja eh alles teurer, aber es ist immerhin ein Anfang. Besser als gar nichts", sagt er und nimmt Kurs auf die Haustür im Hof.

Pfleger Mario

Eine gute halbe Stunde hat er nun Zeit für die morgendliche so genannte große Toilette seines Patienten Johannes Schubert.
15 bis 20 Patienten hat Pfleger Mario in seiner Schicht zu versorgen. Manche erhalten nur Medikamente, andere einen Verbandswechsel oder werden von Kopf bis Fuß gewaschen und frisch angezogen. Die ambulante Pflege ermöglicht es den Patienten, in ihrem häuslichen Umfeld zu bleiben. Doch das hat seinen Preis.

Nur Dienste mit Tariflohn honoriert die Kasse

Seit dem 1. September gilt, dass private Pflegedienste von den Kassen nur noch für ihre Leistungen bezahlt werden, wenn sie ihre Beschäftigten nach Tarif oder entsprechend dem regionalen Entgelt-Niveau bezahlen. Dieses ist je nach Region sehr unterschiedlich. Grundsätzlich gilt, dass die Stundenlöhne für Pflegekräfte im Westen immer noch deutlich höher sind als im Osten der Republik.
In Schleswig-Holstein zum Beispiel liegt das regional übliche Entgelt für eine Pflegekraft mit mindestens dreijähriger Ausbildung bei 23,92 Euro pro Stunde, in Sachsen-Anhalt bei 19,52 Euro. In der Summe können das mehrere Hundert Euro Unterschied in der monatlichen Abrechnung sein. 
Die bessere Bezahlung der Pflegenden sei überfällig, sagt Franziska Teichmann entschieden, aber die Finanzierung werfe Fragen auf. Teichmann ist Pflege- und Bereichsleiterin des ambulanten Privatdienstleisters Pro:MedPflege in Dresden:
"Auch vor Corona war die Pflege viel zu schlecht bezahlt, und wir sind auch ein Unternehmen, wir sagen, alles das, was an Einnahmen rein kommt, soll auch den Mitarbeitern zugute kommen. Es ist bei uns nicht so, dass sie nur ihr Grundgehalt bekommen. Wer gut arbeitet, soll gutes Geld bekommen, aber wir können natürlich nur das zahlen, was auch an Leistungen eingenommen wird. Wir sind ein Dienstleister, wir bekommen staatlich keine Zahlungen."
Ihr Unternehmen entlohne seine rund 100 Pflegekräfte in Sachsen bereits nach Tarif, sagt Teichmann. Doch der Lohnanstieg sei noch nicht mit den Pflegekassen verhandelt. Momentan sei völlig unklar, wie die Kosten kompensiert werden können. Offen ist auch die Gegenfinanzierung der stark gestiegenen Benzinkosten, die sich vor allem im ländlichen Raum bemerkbar machen. Und so hat das Unternehmen zunächst die Kunden angeschrieben und ihnen die Erhöhung ihres Eigenanteils angekündigt:
"Das heißt aber, dass der Patient, wenn er bei seinen Leistungen bleibt, mehr zuzahlen muss, weil nicht die Sachleistung der Pflegekassen steigt. Wenn wir gucken, was gerade draußen los ist - Inflation, Energiekosten steigen - was ist da die Folge: Ich lasse mich also da nun vielleicht weniger waschen, weil ich es mir einfach nicht leisten kann. Und genau das ist gerade die Situation, die man sieht: Dass alte Leute in der Körperpflege sparen, um sich ihr Leben leisten zu können. Das merken wir jetzt schon. "

Für die Dienste steigen alle Kosten

Neben höheren Löhnen werden stationäre Pflegeeinrichtungen spürbar durch die stark gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel belastet. Und so forderte der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) vor wenigen Tagen eine schnelle Kostenerstattung für die Pflegeeinrichtungen.  
Der Verband vertritt bundesweit die Interessen von rund 13.000 Sozialeinrichtungen in Deutschland. Viele Einrichtungen stünden aktuell unter erheblichem Druck, warnte der sächsische BPA-Landesvorsitzende Igor Ratzenberger in Leipzig. Derzeit weigerten sich die Kostenträger in Sachsen, diese Mehrkosten zu finanzieren. Für die Hälfte der Pflegeeinrichtungen und Dienstleister sei dies existenzbedrohend.
Und auch Florian Lanz, der Sprecher des Spitzenverbandes der Kranken- und Pflegekassen (GKV) mahnte im ZDF dringende Änderungen an, um die Kostensteigerungen in der Pflege bewältigen zu können: "Wir fordern eine Gesetzesänderung, die bedeutet, dass auch die Pflegekassen entsprechend mehr zahlen können, damit diese Mehrkosten auf mehr Schultern verteilt werden können. Man glaubt es kaum, aber im Moment ist es so, dass die Mehrkosten tatsächlich nahezu allein von den Pflegeheimbewohnern und -bewohnerinnen finanziert werden müssen. "

Leidtragende sind die Patienten

Pflegedienstleiterin Franziska Teichmann erlebt die angespannte Personallage im Pflegebereich tagtäglich. Als weitere Folge der Verteuerung sieht sie nun noch eine Zwickmühle auf Dienstleister und Patienten zukommen: 
"Zahle ich ortsübliches Entgelt oder zahle ich mehr? Zahle ich mehr, kostet es für die Patienten mehr. Ich habe vielleicht aber das Glück, dass die Mitarbeiter zu mir kommen und mehr verdienen als woanders. Wenn ich Pech habe, springen die Kunden ab, weil es bei uns teurer ist als woanders. Wenn man das Ganze aber weiterdenkt, was passiert dann? Die Patienten gehen dahin, wo es wenig kostet, die Mitarbeiter dahin, wo sie viel verdienen. Im Umkehrschluss: Die Patienten kommen gar nicht drumherum, zu den Pflegediensten zu gehen, die teuer sind, weil dort die Mitarbeiter sind." 
Schon jetzt sei es in einigen Regionen Sachsens schwer, einen ambulanten Pflegedienst für Leistungen der häuslichen Krankenpflege zu finden, warnt der Verband der privaten Pflegedienstleister. Die Leidtragenden seien am Ende die Patienten.
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