Pflanzen aus anderen Regionen

Wie Neophyten unsere Flora verändern

25:55 Minuten
Eine Pflanze mit rosa Blüten.
Das Drüsige Springkraut, hier in einem Wald in Baden-Württemberg, sieht schön aus, kann aber problematisch für Insekten werden. © imago / Kickner
Von Annegret Faber · 07.09.2021
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Sie heißen Drüsiges Springkraut oder Riesen-Bärenklau und breiten sich gerne in hiesiger Natur aus. Sie gehören zu den sogenannten Neophyten, also Pflanzen, die ihren Ursprung woanders haben. Über ihre Gefahren und Nutzen gehen die Meinungen auseinander.
Ein kühler Morgen im Mai. Ich warte an einem abgelegenen Feldweg. Dann endlich. Ein Auto kommt angefahren.
Im Kofferraum des dunklen Kombis steht eine Hundebox, und darin sitzt ein schwarz-weiß gescheckter Border Collie – Zammy. Er winselt, wedelt mit dem Schwanz und windet sich in der Box hin und her, als übe er Slalomlaufen. Seine Hundeführerin fährt den Wagen: Populationsökologin Annegret Grimm-Seyfarth.
Zammy gehört zu den wenigen Hunden, die einen Job haben, sagt sie. Er ist Artenspürhund.
"Der weiß schon, sobald ich mit Leine und Weste und Spielzeug ankomme, dass er arbeiten darf. Arbeiten heißt für ihn, das ist das tollste Spiel in meinem Leben. Deswegen ist er auch so aufgeregt. Und was wir jetzt machen, wir schicken ihn einfach los und schauen einfach mal, ob er was findet. Er sucht selbstständig das Gebiet ab. Wir können ihn ein kleines bisschen dirigieren. Und wenn er was findet, würde er sich davorsetzen."


Das Stichwort für Zammy ist Check. Wenn er das hört, läuft er wie ferngesteuert los und sucht das Gelände ab. Heute sucht er Kammmolche. Die leben bis zu einem Meter tief in der Erde. Pflanzen suchen, sei für Zammy aber viel leichter, weil die nicht weglaufen und meist intensiv riechen.
"Das ist unser nächstes Projekt, was ansteht. Da soll es darum gehen, dass man mit Hunden invasive Pflanzen aufspüren kann und das möglichst, bevor sie blühen. Dann könnten wir die meisten Pflanzen auch selber finden, aber dann ist es häufig zu spät, und sie können sich ausbreiten. Und wir wollen sie finden in einem Stadium, wo man die Pflanze auch noch entfernen kann, oder Maßnahmen einleiten kann."

Auch heimische Pflanzen sind gefährlich

Aber muss man diese Pflanzen wirklich entfernen? Schließlich gibt es doch auch viele heimische, auf die Menschen allergisch reagieren. Manche sind giftig, wie der "Rote Fingerhut". Da reichen schon zwei Blätter, damit es einem richtig schlecht geht. Bei der "Herbstzeitlose" ist es genauso. Etliche Kühe sind schon gestorben oder schwer erkrankt, weil sie die Blume auf der Wiese gefressen haben. Sie sieht aus wie ein Krokus, wächst aber im Herbst. Auch vom Maiglöckchen sind alle Pflanzenteile giftig. Die werden aber nicht gesucht und entfernt. Und wenn wir sie sehen, bewundern wir ihre Blüten.
"Neophyten bedeutet ja generell: Alle Pflanzen, die nach der Entdeckung Amerikas durch Columbus eingewandert sind oder eingebürgert wurden oder mitgekommen sind mit Schiffsverkehr, mit Flugverkehr. Und deswegen: Entweder eine Pflanze ist heimisch, oder sie ist ein Neophyt. Es gibt auch eingebürgerte Neophyten, also z.B. Pflanzen, die nach diesem 1492 bei uns angekommen sind, die aber keinen Schaden machen und bei uns in die heimische Flora übergegangen sind. Und das sind tatsächlich die meisten Arten auch. Also es ist nicht so, dass es um Neue geht, sondern in dem Moment, wo etwas schädlich ist für die Tierwelt, für die Pflanzenwelt, aber auch für unsere Gesundheit oder für unsere Wirtschaft."

Was für Neophyten spricht

Dietmar Brandes gehört zu den Forschern, die nicht verstehen, wieso wir solche Unterschiede machen. Was wir kennen, ist gut, was neu hinzukommt, schlecht? Brandes ist kurz nach dem Krieg in Braunschweig geboren und wurde später Botaniker und Professor an der Technischen Universität in Braunschweig.
"Die Neophyten unterscheiden sich in ihrer Wirkung nicht grundsätzlich von einheimischen Arten. Was bedrohlich erscheint, ist oft die Menge des Zustroms. Der ist viel größer als früher. In früheren Erdepochen hat das viel länger gedauert, bis sich die Kontinentalplatten mal angenähert haben oder voneinander weggetriftet sind. Und jetzt geht das innerhalb von einigen Hundert Jahren mit sehr, sehr vielen Arten. Dann ist es so, dass ab 1492 ein gewaltiger Florenaustausch beginnt. Die englischen Kriegsschiffe hatten bis vor wenigen Jahrzehnten noch die Pflicht, von jeder Auslandsreise Pflanzen mitzubringen. Das ist auch der Grund, warum wir den größten Botanischen Garten der Welt in Kew bei London haben. ´Kew Garden` ist der größte Garten, und der wurde unter anderem auf diesem Weg beliefert."

"Da ist viel Fremdenfeindlichkeit im Spiel"

50.000 Pflanzenarten sollen in den letzten Jahrhunderten nach Deutschland gekommen sein. Die wenigsten siedeln sich an, sagt Florian Jansen, den ich Corona-bedingt, über seinen Rechner erreiche. Jansen ist Taxonom. Das heißt, er bringt Ordnung in die Pflanzenwelt, bestimmt, zu welcher Gruppe sie gehören, wie sie richtig heißen, wo sie herkommen. Die meisten Neulinge keimen hier mal kurz, erklärt er, gehen dann aber schnell ein, weil das Klima zu rau ist, zu warm, zu kalt, die Wiesen zu trocken. Wer da Krawall macht und vor eingewanderten Arten warnt, soll doch bitte mal seine Gesinnung überprüfen, sagt er mir.
"Das muss einem auch klar sein, dass diese Diskussionen auch gesellschaftliche Diskussionen sind. Da ist viel Fremdenfeindlichkeit im Spiel. Die Untersuchungen, die sich angucken, ist eine spezielle Pflanze an einem bestimmten Ort, die neu auftritt in einem Land, schädlicher für die umgebenden Pflanzen als eine natürliche Art oder schon lange dort vorkommende Art, die sind spärlich bzw. zeigen nur sehr selten, dass es einzelne Neophyten gibt, die so konkurrenzstark sind, dass sie auf kleiner Fläche Arten verdrängen. Es gibt hier für Deutschland keinen einzigen Beweis, dass irgendwer ausgestorben ist wegen einer neu auftretenden Art."
Einige Diskussionen seien ihm in diesem Zusammenhang suspekt. Vor allem unter Wissenschaftlern, sagt er:
"Dass wir alle auch mit vorgegebenen Bildern uns um so etwas wie Pflanzen kümmern, unser Blick getrübt sein kann oder unsere Interpretation von Ergebnissen. Da gilt es auch, selbstkritisch zu sein."


"Ja, genau. Würde ich 100-prozentig unterstützen", sagt der Botaniker Dietmar Brandes.
"Es gibt aus den 30er-Jahren, also aus einer unseligen Zeit etwa, schon Zeitungsartikel, die heißen: Was macht dieser Mongole in unseren Wäldern. Gemeint war damit ein Springkraut, nicht das größte, sondern es gibt in vielen Parkanlagen ein kleinblütiges Springkraut aus Inner-Asien, Mongolei, dass in Massen vorkommt, kleine gelbe Blüten hat und, wenn es nicht blüht, niemandem auffällt. Diese Art ist gewaltig ausgebreitet worden, und daran hat sich so richtig die Mongolenfeindlichkeit hochgestuft. Und das geht auch mit vielen anderen Neophyten. Noch schlimmer ist es zum Teil mit den Neozoen, also mit eingeschleppten Tieren, dass man da Muster der Fremdenfeindlichkeit erkennen kann. Das ist wirklich eine schwere Krankheit, gegen die man was tun muss."
Ein älterer Herr hält eine Pflanze in die Kamera.
Auch Dietmar Brandes erkenne in den Debatten "Muster der Fremdenfeindlichkeit". © Deutschlandradio / Annegret Faber

"Einige Neophyten verursachen große Schäden"

Das sehen nicht alle so, stelle ich bei meinen Recherchen fest. Ein Beispiel: Wolfgang Nentwig vom Institut für Ökologie und Evolution, der Universität Bern in der Schweiz. Er schreibt mir das hier in einer E-Mail:
"Sehr geehrte Frau Faber, Ihre Anfrage hat etwas Unwirkliches an sich und erinnert mich an die Corona-Leugner und Impfgegner. Die stellen ja auch die Frage, ob es das, was uns derzeit ziemliche Probleme bereitet, auch wirklich gibt. Neophyten gibt es. Auch in Deutschland. Und einige verursachen große Schäden. Fragen Sie doch jemanden in der Forstverwaltung oder jemanden, der zuständig ist für die Grünanlagen einer Kommune. Einige Landwirte, Forstwirte, Gärtner. Das Thema ist auch im Bundesamt für Naturschutz und in den Ministerien für Landwirtschaft bzw. Umwelt sehr präsent, auf Bundes- und Landesebene. Diese Schäden äußern sich in verschiedenen Bereichen, und einige kann man sogar sehr überzeugend in Euro quantifizieren. Die Hitliste in Deutschland würden wahrscheinlich anführen: Riesenbärenklau, Japanknöterich, Kanadische Goldrute, Robinien / Akazien. Kanadische Wasserpest und einige weitere Wasserpflanzen und viele mehr.
Verursachte Schäden sind gesundheitlicher Natur beim Menschen, manchmal auch beim Vieh. Viele Neophyten breiten sich in Erholungsgebieten, Naturschutzgebieten, an Flussufern, im Wald usw. aus. Kosten entstehen dann durch die Beseitigung. Einige Arten verursachen Erosionsprobleme, verändern die umgebende Vegetation, verdrängen einheimische Arten.
Neophyten sind kein Wahrnehmungsproblem, nichts, womit man ´mit einer anderen Sicht der Dinge` locker leben kann. Daher ist die Neophytenbekämpfung auch Teil von internationalen Abkommen, etwa das Abkommen von Rio mit all den Folgeverträgen. Formal sind das Staatsverträge, von denen Deutschland alle relevanten unterschrieben hat.
Mit freundlichem Gruss, Wolfgang Nentwig, Institut für Ökologie und Evolution, Universität Bern, Schweiz"

"Für mich ist das Thema nicht so dramatisch."
Thomas Hövelmann vom Naturschutzbund Deutschland, kurz Nabu. Er ist vom Bundesfachausschuss Botanik.
"Es kann aber sein, dass in der Schweiz es da in engen Bergsituationen anders aussieht als in der Norddeutschen Tiefebene, wo ich herkomme. Ich berichte an der Stelle gerne von der kanadischen Wasserpest. Die ist mal im 19. Jahrhundert eingeschleppt worden, hat sich damals unglaublich massiv ausgebreitet in heimischen Gewässern, deshalb der Name Wasserpest, weil sie so verhasst war. Sie hat Wehre verstopft, hat Turbinen verstopft, hat wirtschaftliche Probleme nach sich gezogen. Aber wenn sie heute mal nach der Wasserpest suchen, nach der kanadischen Wasserpest, dann werden sie sehen, ach, so häufig sind die gar nicht mehr. Vieles wird dramatisiert im Zusammenhang mit den Neophyten, aber in der Regel ist es schon so, dass das Ganze zu einem vernünftigen Ende kommt."
Lange grüne Wasserpflanzen.
Die nicht heimische Kanadische Wasserpest war früher eine Plage, heute nicht mehr.© picture-alliance / dpa / OKAPIA / Jürgen Freund

Der Apfel aus dem Kaukasus und die Aprikose aus Asien

"Insgesamt dürften seit 1492 mehrere, zehntausend gebietsfremde Zier- und Nutzpflanzen nach Deutschland beabsichtigt eingeführt worden sein, von denen sich bisher ca. 220 Arten etablieren konnten. Weitere 210 etablierte Neophyten wurden im Zuge von Verkehr, Personen- und Warenaustausch unbeabsichtigt eingeschleppt. Zusätzlich kommen bei uns ca. 1600 Neophyten unbeständig vor", ist auf der Seite des Bundesamtes für Naturschutz zu lesen. Dietmar Brandes verweist in diesem Zusammenhang noch auf einen anderen – nicht ganz unwichtigen – Punkt:
"Fast alles, was wir essen, ist nicht einheimisch. Wir stünden ganz blöde da, wenn wir uns nur von dem ernähren könnten, was hier, in den germanischen Hinterwäldlern, entstanden wäre. Über Kartoffeln, Reis … Der Weizen ist nicht von hier, der Apfel ist aus dem Kaukasus, der Birnbaum ist wahrscheinlich aus dem Kaukasus, die Aprikose ist aus Asien, der Pfirsich ist nicht von hier, die Sauerkirsche ist nicht von hier, von Feige ganz zu schweigen, Topinambur ist nicht von hier, Soja sowieso nicht, also auch für die Veganer bliebt gar nichts übrig! Das muss man sich auch mal vorstellen."
Jetzt wird es langsam etwas unübersichtlich. Wie viele Neophyten gibt es denn nun hier in Deutschland? Antwort erhoffe ich mir von Detlev Metzing vom Bundesamt für Naturschutz:
"Es geht ja vor allem um die eingeschleppten Arten, nicht die eingewanderten. Denn die eingewanderten Arten, die durch natürliche Einwanderungsprozesse hier hereinkommen, gehören zu unserer natürlichen Flora. In Deutschland gibt es insgesamt derzeit 4062 Farn und Blütenpflanzen, die bei uns wachsen und sich dauerhaft in der Natur vermehren, ohne weiteres Zutun des Menschen. Und knapp 90 Prozent dieser Arten kommen hier natürlich vor. Und bei den anderen zehn Prozent handelt es sich um die sogenannten Neophyten, also Pflanzenarten, die erst nach 1492, also nach der Entdeckung der Neuen Welt, hier eingeschleppt wurden und dann in der Natur verwilderten."

Wird viel Wind um heiße Luft gemacht?

Zehn Prozent Neophyten, wurden also durch den Menschen eingeschleppt, sagt mir Detlev Metzing. Von diesen gelten wiederum zehn Prozent als invasiv, können heimische Arten verdrängen und auch für uns zur Plage werden. Das ist unterm Strich ein Prozent unserer gesamten Flora. Wird also die Diskussion um die Gefahren durch invasive Pflanzen zu heftig geführt und unnötig viel gewarnt?
"Die Natur kommt damit zurecht, wenn sich gebietsfremde Arten ausbreiten und dabei einheimische Arten verdrängt werden. Ob ein Schaden – für wen oder was – besteht, ist also eine Frage der Perspektive. Wenn invasive Arten zum Beispiel in Naturschutzgebiete eindringen und die dortige Flora und Lebensgemeinschaft verändern, ist das aus Sicht des Naturschutzes natürlich ein Schaden. Und wir müssen uns fragen, ob wir das wünschen oder zulassen wollen, wenn einheimische Arten durch gebietsfremde, invasive Arten verdrängt werden oder die historisch entstandene Vielfalt der Lebensgemeinschaften und Lebensräume verändert wird."
Gleichzeitig sieht Detlev Metzing dabei auch die Gefahr einer – wie er es formuliert – Homogenisierung der Flora:
"Das heißt, die Pflanzengemeinschaften werden weltweit immer ähnlicher. Aber diese gebietstypische Ausprägung der heimischen Floren, die geht dadurch verloren. Für den Naturschutz ist aber gerade die Erhaltung der Floren und der Lebensräume mit ihrer jeweiligen gebietstypischen Vielfalt ein wichtiges Ziel und ist weitgehend anerkannt und in der nationalen Biodiversitätsstrategie formuliert."

Andreas Padberg vom Leipziger Forst hatte ein solches Naturschutzproblem – und zwar im Leipziger Oberholz. Das ist ein Waldgebiet am Rand von Leipzig und bekannt als beliebtes Ausflugsziel für Familien mit Kindern. Andreas Padberg zeigt mir eine Stelle, wo der Riesen-Bärenklau eine komplette Wiese überwucherte.
"Wir stehen jetzt auf der wunderschönen Waldwiese. Die Wiese hat eine Größe von knapp zwei Hektar. Und wenn wir uns die Wiese heute anschauen, dann sieht sie auch tatsächlich aus wie eine Wiese. Das heißt, sie wird auch demnächst wieder einen naturschutzfachlichen Wert haben und entsprechend der Zielrichtung einem entsprechenden Mahd-Regime bewirtschaftet werden."
Das heißt, die Wiese kann jetzt wieder regelmäßig gemäht werden. Und Familien mit und ohne Kinder können hier wieder ungestört spazieren gehen.
"Sie hatten hier auf diesem Trampelpfad links und rechts drei Meter hohe Pflanzen. Es war ein sogenannter Dominanzbestand. Die Wiese war auch nicht mehr nutzbar. Sie war nicht zu verpachten. Es gab kein Gras mehr. Es war das bedeutendste Flächenvorkommen, auch mit dem größten Risiko, weil erhöhten Besucherverkehr, insbesondere Kindergruppen, die das hier auch für Ausflüge genutzt haben. Die Maßnahmen wie mähen, Rückschnitt der Blüten, verbrennen der Samen, das haben wir alles über Jahre versucht, aber eigentlich alles ohne durchschlagenden Erfolg."
Ein älterer Mann steht auf einem Waldweg und hat einen Hund an der Leine.
Andreas Padberg hatte es jahrelang in einem Waldgebiet am Rand von Leipzig mit einem Riesen-Bärenklau zu tun.© Deutschlandradio / Annegret Faber

Dabei ging es Padberg weniger um die Größe der Pflanze, sondern vielmehr um ihre Wirkung auf den Menschen. Denn der Riesen-Bärenklau wird nicht nur riesig, erzählt er mir, sein Saft ist auch fototoxisch. Kommt er auf die Haut und dann mit Sonnenlicht in Kontakt, entstehen rote Flecken, die schmerzen. Von Verbrennungen ersten bis zweiten Grades lese ich später. Die Hautreizungen können sehr unangenehm sein und wochenlang nässende Wunden verursachen. Auch Fieber, Schweißausbrüche und Kreislaufschocks wurden schon beobachtet. Padberg musste also etwas tun. 2012 gab er eine wissenschaftliche Arbeit in Auftrag, die zunächst einmal den Bestand des Riesen-Bärenklaus aufnahm. Danach wurden Strategien erarbeitet. Letztlich musste Padberg etwas tun, dass für ein Waldgebiet eigentlich ein No-Go ist, wie er sagt:
"Wir haben geschaut, was ist angemessen hier durchzuführen, und sind auf zwei Varianten gekommen, die durchführbar sind. Einmal die mechanische Entfernung. Und entgegen unserer Philosophie, wir setzen im Wald keine Pestizide ein, haben wir uns auch mit dem Thema hier sehr genau befasst und sind letztendlich auf eine Herbizid-Gruppe gekommen, die nur für zweikeimblättrige Pflanzen wirkt. Der Bärenklau ist zweikeimblättrig, die Gräser sind einkeimblättrig, die bleiben davon unbeeinflusst. Sie sehen es, hier sind noch Einzelexemplare auf der Fläche. Ringsum die Gräser sind grün, die Wirkung des Herbizides ist so, wie wir uns das vorstellen, mit dem entsprechenden Erfolg, den wir hier sehen."
Eine Pflanze auf einer Wiese.
Der Riesen-Bärenklau wird nicht nur riesig, sein Saft ist auch fototoxisch.© Deutschlandradio / Annegret Faber

Heimische Arten sind verdrängt worden

"Ich kenne das noch so aus meiner Kindheit, so Mitte der 80er, Ende der 80er, Anfang der 90er. An Gewässerrändern hat sich das Drüsige Springkraut ausgebreitet. Das hat riesige Bestände gemacht."
Der Biologe David Eichenberg hat für das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung eine Studie geleitet. Darin sollte genauer geschaut werden, wie sich häufig vorkommende Pflanzen in Deutschland entwickeln, so genannte "Allerweltsarten". Er stellte fest, dass 70 Prozent dieser Pflanzen im Rückgang sind. Ein schockierendes Ergebnis! Er sah aber auch "Gewinner" – unter ihnen Neophyten wie das Drüsige Springkraut:
"Das ist so eine rosafarbene Pflanze, die Samenkapseln produziert. Wenn man die antippt, dann explodieren die und schießen die Samen ganz weit weg. Das war in meiner Kindheit auch so ein Problem, wo viele Leute Angst hatten, dieser Neophyt, also diese relativ neu eingeschleppte Pflanze, macht ganz viele andere Arten bei uns platt, verdrängt viele Arten. War wirklich eine große Sorge. Heutzutage ist dieses Drüsige Springkraut noch hier, das ist ein Neophyt, den wir nicht mehr wegkriegen, der ist aber bei Weitem nicht mehr flächendeckend. Ein Beispiel, das mir eingefallen ist, weil wir vorhin über den Holzapfel geredet haben, der im Wald ja gerade im Frühjahr eine große Nektarquelle für Bestäuber ist. Der zieht sich zurück. Gleichzeitig gibt es aber jetzt neu dieses Drüsige Springkraut, dass ein sehr, sehr hohes Nektarangebot für Bienen z.B. hat."

Neue Pflanzen helfen, Lücken zu füllen

Eichenberg verweist aber auch darauf, dass einige neue Pflanzen helfen, Lücken zu füllen. Lücken, die sich durch die Veränderung in der Landschaft ergeben oder durch den Klimawandel.
"Ich habe auch ein bisschen den Eindruck, dass das Thema auch politisch ein bisschen ausgenutzt wird, um eine Art Ablenkungsschlacht zu führen", sagt Thomas Hövelmann vom Naturschutzbund Deutschland. Die eigentlichen Probleme verursachten nicht die Neophyten:
"Die Ursachen für den Artenrückgang bei uns sind eher andere. Das sind Versiegelung der Landschaft, das ist vor allem der Nährstoffeintrag durch intensive Massentierhaltung, also Eintrag von Stickstoff aus der Luft, der flächendeckend überall niederregnet. Dann haben wir überhaupt generell die Tendenz dazu, dass extreme Standorte, wie also besondere trockene und besondere nährstoffarme Standorte, offene Bodenstellen, dass diese Stellen verloren gehen, durch intensive Landwirtschaft, durch die Eutrophierung. Und das sind meistens die Stellen, wo die seltenen Arten vorkommen bei uns, weil die konkurrenzschwach sind und dort der Konkurrenz anderer Arten entfliehen wollen."

Rodungen und Straßenbau stören genetischen Austausch

Und schließlich gibt es noch eine weitere Ursache. Durch Rodungen, Straßenbau oder Ähnliches werden die Lebensräume der Pflanzen zerschnitten. Die vorhandenen Populationen liegen dann so weit auseinander, dass kein genetischer Austausch mehr möglich ist.
"Aber man darf jetzt nicht sagen, wenn die Artenzahl netto gleich bleibt, also heimische Arten sterben aus, jetzt mal ganz vereinfacht gesagt, und werden durch einwandernde Arten ersetzt, dass das ein gleichwertiger Ersatz ist. Weil natürlich die Pflanzenarten seit vielen Jahrhunderten, Jahrtausenden bei uns eingenischt sind und ganze Lebensketten dranhängen. Nahrungsketten von Pilzen, von anderen Lebewesen, die ja ganz speziell auch auf diese heimischen Arten angepasst sind. Und wenn die verschwinden und durch eine Art ersetzt werden, die aus Amerika eingeschleppt ist, dann kann das sehr lange Jahrhunderte dauern, bis sich unsere Insekten daran gewöhnt haben, an die neue Art."

Welche Gefahr besteht für Insekten?

Aber können heimische Insekten einfach so umschwenken auf eine Blüte, die vor 100 Jahren noch nicht da war? Einer, der das wissen könnte, ist Robert Klesser. Er betreut im Naturkundemuseum in Leipzig die Insektensammlung und kennt sich auch sonst mit "Wirbellosen" aus, wie er sagt.
"Die Frage ist immer die Invasivität bei der Geschichte. Es gibt Pflanzen, die hier auftreten, kein Ausbreitungsbestreben haben und kaum eine Gefahr für das Ökosystem darstellen. Aber es gibt Pflanzen, die haben ein ganz hohes Invasionspotenzial und sind dann potenziell auch gefährlich für Insekten und andere Tiere."
Die Robinie oder das Drüsige Springkraut sind solche sehr invasive Pflanzen, die es hierzulande schon lange gibt und die sich ausbreiten können. Aber inwiefern ist das gefährlich für die Insekten?
"Für Insekten kann das problematisch werden, wenn sich diese Pflanzen in Nahrungsnetze so einfügen, dass dann andere Pflanzen völlig unterdrückt werden, dass z.B. ein Lebensraum komplett überschattet wird oder mit Nährstoffen angereichert wird und sich dann so verändert, dass es nicht mehr der Lebensraum ist, den diese Art benötigt."
Kann das mit einer heimischen Pflanze nicht genauso passieren?
"So was kann passieren, aber unser Ökosystem ist besser vorbereitet. Das heißt, wir haben hier Herbivoren, die diese Pflanze fressen können, die schon ewig mit dieser Pflanze leben. In Deutschland haben wir über 130 Bienenarten, Wildbienen, die von ihren Pflanzenfamilien abhängig sind. Und wenn auf einmal Lebensräume von einer invasiven Art dominiert oder überwuchert werden und diese Nahrungspflanzen verschwinden, dann verschwinden auch diese Bienenarten."

Viele Insekten sind also auf wenige Pflanzen angewiesen. Sie können nur bestimmte Blüten besuchen – zum Fressen oder um dort ihre die Eier abzulegen. Robert Klesser geht in die Sammlung und sucht nach einer Laufkäferart, die durch die Robinie in einigen Teilen Deutschlands gefährdet ist: den Erz-Kanalkäfer.
"Das ist ein Laufkäfer, zwischen 0,7 bis 0,8 mm ungefähr, ein bisschen metallisch glänzend. Sieht aus wie viele, viele andere Laufkäfer. Nur Experten können die unterscheiden. Der bevorzugt offene Trockenrasen, Flächen, wo alles offen und sonnig ist. Und das verändert sich durch so eine Robinie. Robinien überschatten dann das Gebiet, reichern es mit Nährstoffen an, und plötzlich hat man dann ein Waldrandgebiet, irgendwas, was gar nicht mehr dem entspricht, was dieser Käfer zum Leben braucht."
Artenspürhund Zammy ist für heute fast fertig mit seiner Arbeit.
"Wir werden noch ein paar andere Stellen anschauen, weil wir das Gebiet noch nicht kartiert haben. Was essen darf er noch, ist immer wichtig."
Ob Zammy wohl jemals heimische Pflanzen suchen wird, die für den Menschen schädlich sind? Für die Biologin Annegret Grimm-Seyfarth ist das eher unwahrscheinlich.
"In unserem Projekt geht es tatsächlich um invasive Pflanzen. Weil heimische Pflanzen werden in der Regel ohnehin erfasst. Invasive Arten werden viel schlechter erfasst. Und über deren Ausbreitung wissen wir viel weniger. Aber es gibt Pflanzen, die schädlich sind, und auf die haben wir es jetzt in dem Projekt abgesehen."

Zammy sitzt vor der Forscherin und wartet auf seinen nächsten Einsatz. Ihm ist es egal, was er sucht. Ob invasive Pflanzen oder seltene Tiere. Hauptsache, es gibt eine Belohnung. Der Mensch ist da anders. Alles muss nach seinen Vorstellungen aussehen. Selbst Pflanzen sollen sich bitteschön so ausbreiten, wie er es möchte. Obwohl er selbst doch erst alles durcheinandergebracht hat.
Eine Biene sitzt auf einer Pflanze.
Für Insekten wie Bienen könne es problematisch werden, wenn sich Neophyten in Nahrungsnetze einfügen, sagt Robert Klesser.© imago images / Philippe Ruiz

Redaktion: Carsten Burtke
Regie: Frank Merfort
Technik: Christiane Neumann
Sprecherin: Sara Sommerfeldt

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