Petition für die Freiheit der Kunst

Online-Erklärung gegen Rechtspopulismus stößt auf Skepsis

Der Entertainer Hape Kerkeling
Der Entertainer Hape Kerkeling gehört zu den Unterzeichnern der "Brüsseler Erklärung" für die Freiheit der Kunst © dpa
Dieter Mersch im Gespräch mit Dieter Kassel |
Kritisch bewertet der Philosoph Dieter Mersch die Petition für die Freiheit der Kunst, die von deutschen Kulturschaffenden unterschrieben wurde. Sie wäre mehrsprachig und in den betroffenen Ländern Polen, Ungarn und Österreich wirkungsvoller gewesen.
Einige prominente Kulturschaffende und Politiker setzen sich mit einer Petition für die Freiheit der Kunst ein. "Das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Vielfalt und die Freiheit der Kunst in Europa sind in Gefahr", heißt es in dem auf der Kampagnenplattform Change.org veröffentlichten Text.
Zu den Erstunterzeichnern der "Brüsseler Erklärung" gehören unter anderen der Entertainer Hape Kerkeling, die Schriftsteller Wladimir Kaminer und Ingo Schulze, die Intendantin des Berliner Gorki-Theaters, Shermin Langhoff, Musiker Inga Humpe und Dirk von Lowtzow, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, sowie die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck. Bisher haben rund 2000 Personen die Erklärung unterschrieben.

Kritik an Rechtspopulismus

Der Initiator, der Grünen-Politiker Erhard Grundl, kritisiert, dass rechtsnationale Regierungen in Österreich, Ungarn und Polen versuchten, die Kreativszene für ihre Zwecke einzuspannen.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban von der Fidesz-Partei beklatscht mit seinen Unterstützern die gewonnene Parlamentswahl.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban steht auch für einen scharfen Kurs in der Kulturpolitik. © AP / dpa / Darko Vojinovic
Auch in Deutschland versuchten Vertreter rechtsnationaler und konservativer Parteien, demokratische Werte und die Grundlagen gesellschaftlichen Zusammenlebens mithilfe von Kultur und Kunst zu zerstören. "Kunst ist frei, sie muss nicht gefallen und sie darf nicht dienen", heißt es in der Petition.

Fragwürdige Webseite

Inhaltlich unterstützt der Philosoph Dieter Mersch, Leiter des Instituts für Theorie und Professor für Ästhetik und Theorie an der Züricher Hochschule der Künste, das Anliegen der Petition, hat aber nicht unterschrieben. Stattdessen blickt Mersch auf Anfrage von Deutschlandfunk Kultur kritisch auf die Aktion:
"Dass diese Erklärung auf der Webseite change.org stehe, finde ich selbst zwiespältig", sagte er. Dort würden alle möglichen Petitionen von Privatpersonen zugelassen. Da dies sehr einfach und unentgeltlich möglich sei, würden dort Daten erhoben, die dann wieder verkauft werden könnten. "Das ist auch die Kritik, die an dieser Webseite geübt wird."*

Ausdrucksformen der Kunst

Die Veröffentlichung von politischen Erklärungen sei etwas anderes als selbst mit künstlerischen Mitteln etwas darzustellen, verteidigte Mersch die Kulturschaffenden unter den Unterzeichnern gegen den Vorwurf, selbst ganz andere, künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten zu haben als eine solche Petition.
"Kunst immer, egal, welche Kunstform sie nehmen, politisch, sie ist immer kritisch, weil Kunst immer an die Grenzen geht und Grenzen überschreitet."
Dadurch würden Grenzen bewusst gemacht und diskutierbar.
"Hier geht es um eine öffentliche, politische Erklärung", machte Mersch den Unterschied deutlich. Außerdem setzen sich einige der Unterzeichner auch in ihrer künstlerischen Arbeit mit Rechtspopulismus auseinander. Kritisch bewertete Mersch, dass die Brüsseler Erklärung nur auf Deutsch erschienen sei.
"Die Petition betrifft aber Ungarn und Polen neben Österreich", sagte er. Es wäre wesentlich wirkungsvoller gewesen, wenn die Petition mehrsprachig veröffentlicht hätte und in den betroffenen Ländern.
*In Reaktion auf das Interview erreichte die Redaktion von Deutschlandfunk Kultur dieser Tweet von change.org, der auf den Jahresbericht der Organisation verweist:
Stellungnahme von Gregor Hackmack, Vorstand von change.org: "Wir verkaufen keine Daten, sondern sind ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin", sagte Hackmack in einem anschließenden Telefonat mit Deutschlandfunk Kultur. Aktuell habe der Verein 8000 Fördermitglieder in Deutschland, die es change.org mit einem regelmäßigen Beitrag ermöglichten, die Plattform zu betreiben. Die Organisation habe nach Kritik an ihren Geschäftspraktiken 2016 ihr ganzes Modell umgestellt. Damals hätten andere gemeinnützige Vereine über die Webseite Newsletter-Adressen generieren können und change.org dafür bezahlt. Diese Praxis gebe es nicht mehr, sagte Hackmack. Heute sammele der Verein Spenden und finanziere seine Arbeit in Deutschland über diese Förderung.
(gem)
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