Nach Skandal um Santiago Sierra

Kampf um Kunstfreiheit im Katalonien-Konflikt

Ein Katalog zum abgehängten Kunstwerk "Politische Gefangene" des spanischen Künstlers Santiago Sierra liegt auf dem Boden auf der Kunstmesse ARCO in Madrid.
Das Kunstwerk "Politische Gefangene" des spanischen Künstlers Santiago Sierra auf der Kunstmesse ARCO in Madrid wurde abgehängt. © Imago / Fernando Villar
Von Julia Macher  · 25.02.2018
Auf Bitten der ARCO-Kunstmesse hat eine Galerie eine Portraitserie von Santiago Sierra abgehängt. Unter dem Titel "Zeitgenössische politische Häftlinge" waren inhaftierte katalanische Politiker und Unabhängigkeitsbefürworter zu sehen. Ein Blick auf das kulturelle Klima in Spanien.
Die Kunstmesse ARCO neigt sich ihrem Ende zu – und Santiago Sierras geschasstes Werk hat längst einen neuen Besitzer. Für 80.000 Euro erstand ein katalanischer Medienunternehmer die 24-teilige Portrait-Serie. Er will sie jedem zu Verfügung zu stellen, der "Zeitgenössische politische Häftlinge" zeigen möchte.
Die ersten Interessenten haben sich gemeldet: Alle aus Katalonien. Das ist kein Zufall. Denn in der Region im Nordosten Spaniens hat man den Streit um das Werk besonders intensiv verfolgt.

Ein Akt vorauseilenden Gehorsams

Es ist nicht gut bestellt um die Beziehungen zwischen Barcelona und Madrid. Der jüngste ARCO-Skandal gießt noch mehr Öl ins Feuer: Den Rückzug des Werkes interpretierten viele als einen Akt des vorauseilenden Gehorsam – auch angesichts der Welle von Strafanzeigen, die es seit des verbotenen Unabhängigkeitsreferendums gab.
Gegen Satiriker wie Eduard Biosca zum Beispiel. In einer Radioshow verglich dessen Kunstfigur "Sr. Bohiguas" die während des verbotenen Unabhängigkeitsreferendum auf einem Schiff stationierten Polizisten mit den dort aufgefundenen Ratten.
"In Spanien ist man besessen von der Idee der Einheit, das überdeckt alles: Themen wie soziale Gerechtigkeit sind zweitrangig. In einer Demokratie bekommt man Ärger, wenn man über die Schwachen herzieht. In Diktaturen oder defizienten Demokratien wie der unseren dagegen, wenn man die Mächtigen kritisiert."

Strafanzeige gegen Satire-Blatt El Jueves

Das Verfahren gegen ihn wurde inzwischen eingestellt, Dutzende andere sind noch offen. Die Satire-Zeitschrift El Jueves etwa erhielt Strafanzeige wegen eines Witzes über den möglichen Kokainkonsum von Polizisten. Seit dem Hickhack ums verbotene Unabhängigkeitsreferendum herrsche in Spanien ein Klima der Verfolgung, sagt Chefredakteur Guillermo Martínez-Vela:
"Die Polizei, der spanische Staat wurden für ihr Vorgehen hart kritisiert: Vor der Weltöffentlichkeit waren sie die Bösen. Diese Anzeigen sind ein Versuch das Image aufzupolieren oder zumindest die Deutungshoheit über den Diskurs wieder zu erlangen. Dazu hat der spanische Innenminister ja auch ermutigt, als er sagte 'keine Beleidigung wird unverfolgt bleiben'. Es ist eine Art Gegenkampagne."
Die juristischen Fundamente sind das 2015 verschärfte Strafrecht mit dem ausgeweiteten Strafbestand "Verherrlichung des Terrorismus" und sogenannte Hassdelikte.

Dreieinhalb Jahre Haft wegen aggressiver Rap-Texte

Sie wurden nicht nur im Fall der wüst aggressiven Texte des zu 3,5 Jahren Haft verurteilten Rappers Valtonyc herangezogen, sondern auch bei eher anekdotischen Episoden – etwa der um einen katalanischen Stadtrates, der sich während einer Demo mit Clownsnase neben einen Polizisten stellte. Fast obsessiv durchforste die Polizei inzwischen das Netz nach sogenannten Hassdelikten, kritisiert der Philosoph Josep Ramoneda.
"Diese Entwicklung ist Ergebnis eines politischen Konflikts, der zu einem alles dominierenden Kampf zwischen zwei Nationalismen geworden ist, dem katalanischen und dem spanischen Nationalismus. Der Kampf gegen die Unabhängigkeitsbewegung ist für viele Bürger inzwischen der einzige Mobilisierungsgrund. Für ihn nimmt man auch Einbußen in Sachen Meinungs- und Kunstfreiheit hin."

Fehlendes Selbstbewusstsein der spanischen Demokratie

Der 1978 gegründeten, noch relativ jungen spanischen Demokratie fehle es an Selbstbewusstsein, um souverän mit dem Katalonienkonflikt umzugehen, sagt Ramoneda. Das wirkt tief in das kulturelle Schaffen: Etwa, wenn Satiriker wie Biosca offen gestehen, ihre Kritik inzwischen lieber zwischen die Zeilen zu legen. Oder wenn renommierte Galerien auf Spaniens Vorzeigemesse freiwillig Selbstzensur üben.
"Beim ARCO-Skandal hat ein Anruf an eine Galerie gereicht, um ein Werk zurückzuziehen. Das ist eine sehr bedenkliche autoritäre Entwicklung: Auf der einen Seite Institutionen, die alles tun, um der Regierung zu gefallen, auf der anderen eine Kunstszene, die darauf fast gar nicht reagiert hat - weil sie wirtschaftliche Interessen über das der Freiheit der Kunst stellt."
Aus Angst, nicht mehr eingeladen zu werden, schweige man lieber. Das ist laut Ramoneda zwar kein spezifisch spanisches Phänomen, aber in Folge des Katalonienkonflikts ist es dort besonders sichtbar geworden.
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