Peter-Voigt-Archiv in Berlin

Eine Bilddatenbank auf zwei Beinen

05:19 Minuten
Blick auf die Akademie der Künste in Berlin
Die Berliner Akademie der Künste hat das Archiv von Peter Voigt eröffnet. © dpa / picture alliance / imageBroker
Von Matthias Dell · 26.09.2018
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Filme, Fotos, Zeichnungen: Die Berliner Akademie der Künste hat den Nachlass von Peter Voigt übernommen. Er war Regie- und Dramaturgie-Assistent von Bertolt Brecht am Berliner Ensemble und später ein wichtiger Dokumentarfilmer.
Schubotz: "Insgesamt sind es sechs laufende Meter nach dem Umverpacken geworden, das heißt, wir haben 39 DIN-A-Archivkästen, sechsDIN-A-Archikästen und sechs Extra-Fotoordner."
Anett Schubotz vom Brecht-Archiv führt durch die Räumlichkeiten in der Berliner Chausseestraße. Im Zwischenlager finden sich ...
Schubotz: "... die Fotoordner, ich nehm mal einen runter, das sind sogenannte Klappordner mit Abheftmechanik , in denen dann die einzelnen Fotos in Folien abgeheftet werden und auch für die Nutzung sind sie so besser zugänglich."
Fotos spielen eine bedeutende Rolle im Werk des späteren Dokumentarfilmers. Die Wertschätzung für Bilddokumente hatte der 1933 geborene Voigt als Assistent bei Bertolt Brecht gelernt, wie der Filmhistoriker Günter Agde in einer Anekdote erzählt:

"Das BE brauchte ein Hitler-Foto. Und es war dann Anfang der 50er-Jahre natürlich sehr schwer in der DDR, ein Hitler-Foto zu kriegen. Brecht hatte eins."

Ein Könner der Bildmontage

Also fuhr der jüngste Mitarbeiter raus nach Buckow und entdeckte dort weiteres Material, das der Dichter im Exil gesammelt hatte, Bilder, Zeitungsausschnitte. Voigt wurde selbst zu einem Sammler, zu einer Art Bilddatenbank auf zwei Beinen. Als in den 80er-Jahren in das Marx-Engels-Forum in Berlin errichtet wurde, ergatterte Voigt gemeinsam mit dem Fotografen Arno Fischer einen luxuriösen Auftrag – in die Stelen neben dem Denkmal sollten Fotos aus der Geschichte der Arbeiterbewegung eingearbeitet werden.
Günter Agde: "... konnten an den renommiertesten Fotoagenturen der Welt recherchieren und arbeiten, also bei Magnum waren die, die waren im historischen Museum in Moskau."
Zu paradiesischen Bedingungen.
Günter Agde: "Urheberrecht und Honorar und so was, das war alles liberal geklärt, sagen wir mal so, im Unterschied zu heute halt."
Man darf sich den Autodidakten Peter Voigt also durchaus als Glückskind vorstellen: Nach Brechts Tod entwickelt er sich im Trickfilmstudio der Defa in Dresden zu einem Könner bei der Bildmontage.
Das führt ihn in das Studio H&S, zu Heynowski und Scheumann, den filmischen Klassenkämpfern, die privilegiert waren wie niemand sonst bei Fernsehen und Film der DDR. H&S konnten in der ganzen Welt drehen und waren bekannt durch ihren Söldnerfilm "Der lachende Mann". Für Voigt bedeutet das wiederum eine luxuriöse Arbeitssituation.
Günter Agde: "Er hatte da einen eigenen Raum, mit einem eigenen Schneidetisch und konnte da seine eigenen Filme machen. Das gab es sonst im DEFA-Dokfilmschaffen nirgendwo, da gab es harte Planauflagen, da gab es Geldprobleme, Transportprobleme, Benzinprobleme und und und und - das war dort alles gar nicht."

Aus dem Leben einer Bahnwärterin

Günter Agde hat im Verlag Neues Leben gerade einen Band mit Texten von und über Voigts Filmarbeit veröffentlicht. Und er hat eine kleine Werkschau kuratiert, die bis 29. September im Berliner Zeughauskino zu sehen ist. So lassen sich Voigts, wie man heute sagen würde, Found-Footage-Arbeiten wiederentdecken. "Martha Lehmann" etwa von 1972, die Rekonstruktion des Lebens einer Bahnwärterin aus ihrem Nachlass.
Aus "Martha Lehmann": "Einmal hatte sie aus einer illustrierten Zeitung das Bild eines unbekannten Soldaten ausgeschnitten. So liegt vielleicht auch mein Rudi im Osten, einfach unfassbar. Und doch sah sie ihn wohl immer noch inmitten der kleinen Familie, wenn auch nicht mehr auf Erden - Helmut Schulleiter, Rudi im Himmel, Walter Umschüler, Papa Rentner, Mama bei der Bahn."
Notiert alles auf kleinsten Zetteln und Schnipseln. Aufgrund der Heynowski-Scheumann-Privilegien konnte auch Voigt reisen und im Westen drehen – wie 1975 "Ohne Arbeit", eine Studie über Arbeitslose. In "Knabenjahre" von 1989 befragt Voigt vier Herren seines Alters und sich selbst zum Aufwachsen unter Hitler. Ein Pfarrer erzählt von einer Begegnung mit Juden im Kaftan.

Die Ahnung des Grauens

Aus "Knabenjahre": "Ich fragte, sind die arbeitslos, was ist da los, warum sitzen die auf der Straße, warum sind die so seltsam angezogen? Und mein Großvater eben nur sagte: Schau hin, das sind Juden, schau hin, Kind."
Die Ahnung des Grauens als Kindheitserinnerung. Und wie kann man sich an den Menschen Peter Voigt erinnern, Günter Agde?

"Er war ein ruhiger, angenehmer, anspruchsvoller Partner, also man musste sich schon auf ihn einstellen, man musste damit rechnen, dass man auf eine Frage eine Antwort bekam, die sehr unerwartet war."
Ein Beispiel aus einem Interview von vor einigen Jahren, wo der Frager was zum Einfluss von Brecht auf den 2015 gestorbenen Voigt wissen will:
"Also hat er Sie noch in ihrer Entwicklung sehr persönlich geprägt und beeinflusst? – Nee, nee, als ich zu Brecht kam, kam ich schon von Brecht. – Ach so? – So, ich kannte alles. – Aha – Ja – Hmm."
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