Peter Handke: "Innerer Dialog an den Rändern"

Fingerübungen eines Wortvirtuosen

06:20 Minuten
Cover des Buchs "Innerer Dialog an den Rändern 2016-2021" von Peter Handke.
© Jung und Jung

Peter Handke

Innerer Dialog an den Rändern 2016-2021Jung und Jung, Salzburg 2022

372 Seiten

26,00 Euro

Von Jörg Magenau · 29.04.2022
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Für Peter Handke ist alles Sprache. Darüber reflektiert er in seinen Notizbüchern. Erst wenn etwas ausgesprochen ist, ist es da. Also erfindet er ein Gegenüber und kann so vom Selbstgespräch ins Schreiben übergehen.
„Innere Dialoge“ ist ein schönerer Begriff als „Selbstgespräche“. Peter Handke, immer auf der Suche nach dem passenden Wort, nennt sie auch „Ansprachen an mich selber“. Sie beginnen häufig mit der Aufforderung: „Und jetzt sag du!“ oder „Kann mir einer erklären, warum?“.
Das Gegenüber ist für ihn „existenzstiftend“, ja mehr noch, es ist seine „Religion“. Das "Du" in seinen Aufzeichnungen ist allerdings nichts Gegebenes. Es muss im Schreiben ständig erzeugt werden, damit es antwortet. Dieses „Du“ ist der bereichernde Teil des „Ich“.
In einem Interview hat Handke einmal verraten, dass er ständig mit sich selber rede. Wie er dieses Muster ins Schreiben überträgt und wie die dialogische, immer wieder Einspruch erhebende Form sein Denken bestimmt, lässt sich in den Tage- und Notizbüchern beobachten, die nun als „Innere Dialoge an den Rändern“ aus den Jahren 2016 bis 2021 erschienen sind.
Sie zeigen, dass bei Handke alles, was er wahrnimmt, zu Schrift wird. Oder vielmehr, dass er mit und in der Sprache wahrnimmt - indem überhaupt erst das, was benannt und also „begriffen“ wurde, auch wahrgenommen werden kann.

Eher Beobachter als Verkünder

Nicht alles ist Dialog in diesen Heften. Es gibt auch Aphoristisches, das aber zum Glück nie ins Lebensweisheitshafte abgleitet. Ein Satz wie „Seit ich mich selber kenne, fürchte ich die Tiere“ schillert vielfältig, lässt aber keine Selbstüberhebung zu.
Handke neigt eher zum Stimmungshaften als zum Festgelegten, ist eher Beobachter als Verkünder. Aus Schmerz, Trauer, Ekel, Wut, Fremdheit zieht er positive Energie: „Immer wieder die Trauer als Zeitmaß: Zeit und Maß gehen in der Trauer zusammen.“

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Handke produziert keine feststehenden Wahrheiten. Er tastet die Dinge mit allen Sinnen und all seinen Wörtern ab. Seine Notizen zeigen ihn als Wortarbeiter.
Es ist, als ob man einem Pianisten bei seinen täglichen Fingerübungen zuhören würde. So betreibt auch Handke seine Etüden und erlaubt den Blick in die Werkstatt.
Eine dieser Übungen besteht darin, Beiworte zu finden. Dann nennt er den Schmetterlingsflug „verschwenderisch“, das Morgenlicht „unbesiegbar“, die Dummheit „unverwüstlich“. Oder er sucht nach Verben zu bestimmten Substantiven. Schwalben „sicheln“, die Fremde „regt sich“, die Ewigkeit „spinnt“.

An sich selbst adressierte Lebensmaximen

Eine andere, sich durch die Jahre hinziehende Übung besteht darin, „elfte Gebote“ zu erfinden. Das sind an sich selbst adressierte Lebensmaximen, in denen die schriftstellerische Existenz in Sätze wie „Kein Tag ohne unbekannten Weg“ oder „Lange Sätze, kurze Worte“ zum Ausdruck kommt.
Diese Gebote können sich – ganz im Sinne des Dialogischen – auch widersprechen, ohne sich gegenseitig zu dementieren. Dann steht dem Imperativ „Du sollst dauern!“ entgegen: „Du sollst der Vergänglichkeit die Ehre erweisen.“ Zwischen beiden Sätzen liegen drei, vier Jahre. Und doch sind sie miteinander im Gespräch.
Lesen muss man das alles nicht unbedingt, jedenfalls nicht von vorn bis hinten oder nur dann, wenn man Handke-Forscher ist. Umso bedauerlicher, dass die Notate ohne editorische Anmerkungen auskommen müssen. So bleibt unklar, ob es sich um eine Auswahl oder um komplette Notizbücher handelt - und wenn ja, um welche.

Ein Buch für Handke-Liebhaber

Was Handke davon bereits ins Literaturarchiv nach Marbach gegeben hat, wird dort als umfangreichster und bedeutender Teil seines Werkes betrachtet. Dort hat man mit einer digitalen, online zugänglichen Edition des Notizbuch-Großkomplexes begonnen, die einer gedruckten Version vorzuziehen ist, weil die Faksimiles den Arbeitscharakter des Suchens, Entstehens, Verwerfens, Gebrauchens deutlicher sichtbar werden lassen.
Das gedruckte Journal bietet aber immerhin die Möglichkeit zu verstehen, dass sprachliches Virtuosentum auf harter Arbeit basiert. Man kann nachvollziehen, wie Handke einzelne Sätze oder Beobachtungen den Büchern zuschreibt, die zeitgleich entstanden: „Die Obstdiebin“, „Das zweite Schwert“ und schließlich „Mein Tag im anderen Land“.
Die „inneren Dialoge“ sind etwas für Handke-Liebhaber, die das Unfertige schätzen und mit ihm die Welt denkend, schreibend, sprechend immer wieder neu und unmittelbar erleben.
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