"Perspektive Deutsches Kino" auf der Berlinale

Spannungsvoll und sehr verspielt

Linda Söffker, Leiterin der Sektion Perspektive Deutsches Kino der Berlinale
Linda Söffker, Leiterin der Sektion Perspektive Deutsches Kino der Berlinale © dpa / picture alliance / Soeren Stache
Von Christian Berndt · 05.02.2015
Seit 2002 gibt es die "Perspektive Deutsches Kino" auf der Berlinale. Die Sektion kommt bei Publikum und Kritik ziemlich gut an. In diesem Jahr sind die deutschen Filme bei den Internationalen Filmfestspielen voller Spannung und ein wenig verspielt.
Eine Künstlerkommune plant einen Anschlag auf eine Modemesse. Kunst soll wieder Relevanz haben, fordern die Rebellen – auch davon erzählt der Film "Elixir". Er ist einer von mehreren Beiträgen der diesjährigen Perspektive, die fremdsprachig mit Untertiteln laufen. Regisseur Brodie Higgs ist Australier, die Produzenten sind Berliner Filmhochschul-Absolventen. Solche internationalen Produktionen sind im deutschen Nachwuchsfilm mittlerweile Normalität. Dabei spielt möglicherweise auch die Anziehung Berlins eine Rolle, wie die Sektionsleiterin der Perspektive Deutsches Kino, Linda Söffker, meint:
"Aus Berliner Sicht oder Berlin-Potsdamer Sicht, die Filmuniversität Babelsberg und die dffb, da sind wahnsinnig viele, die aus der ganzen Welt kommen und hier an der Filmhochschule studieren, weil Berlin so attraktiv ist, glaube ich, und – ich meine – welches Land hat so viele Filmhochschulen wie Deutschland?"

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Higgs suchte für seinen Film "Elixir" eine Stadt im Umbruch, Berlin erschien ihm ideal, und man merkt dem Film mit seiner ungewöhnlichen Stilisierung den Blick von außen an. Die Handlung ist wirr, aber irgendwie interessant – und in so atmosphärisch-visuell anziehenden Kinobildern hat man Berliner Leben schon lange nicht mehr im Film gesehen.
Von außen ist auch der cineastische Blick des Deutsch-Franzosen Tom Sommerlatte mitbestimmt, der in seinem Film "Im Sommer wohnt er unten" die Geschichte zweier Brüder erzählt, die sich mit ihren Partnerinnen ungeplant im Ferienhaus der Eltern in Frankreich treffen. Die Stimmung ist gespannt, und die französische Freundin des Loser-Bruders mischt die Runde ordentlich auf:
"Schatz, da ist Petersilie drin. – Kaum. – Was ist? – Lena has cooked a great dinner for us, her husband should her thank you, but he shout on her. – Was will die denn jetzt von mir? – I'm shocked. – Who asked you for your opinion. – I don't need a permission to say my opinion. – Kannst Du der mal sagen, dass sie die Klappe halten soll? Ich bin hier im Urlaub."
Immer wieder das Familienthema - und Klaustrophobie
Aus dieser Konstellation gewinnt Sommerlatte eine ziemlich spritzige Dynamik, es ist eine Stärke der diesjährigen Filme der Sektion, nicht nur spannungsvoll, sondern auch verspielt und mit dem Mut zur Groteske zu erzählen. Filme im Stil der formal strengen Berliner Schule, wie das wortkarge Drama "Wanja" sind fast verschwunden. Thematisch gibt es oft das für junge Filmemacher typische Familienthema – auffällig verbunden mit klaustrophobischen Situationen.
Auf eine absurde Spitze getrieben hat Nikias Chryssos die Familienkonstellation in seinem surrealen Alptraum "Der Bunker". Ein junger Wissenschaftler zieht, um ungestört arbeiten zu können, bei einer isoliert im Wald wohnenden Familie ein, die ihren Sohn zuhause unterrichtet. Der Film ist eine surreale Parodie auf überhöhte Erziehungsansprüche von Eltern, die ihre Kinder mit aberwitzigen Erwartungen traktieren. "Der Bunker" ist grotesk, das Thema aber durchaus ernst gemeint, wie Chryssos sagt:
"Ich sehe da auch keinen Widerspruch, ein Film mit einem ernsthaften Hintergrund, dass man den auch irgendwie spielerisch umsetzt, und der bekloppte Elemente hat. Und das ist natürlich auch personifiziert in diesem ernsten Studenten und diesem Kind, also das Kind in meinem Film ist zwar 8 Jahre alt, aber es wird von einem erwachsenen Schauspieler gespielt, das Anwesen der Familie ist ein Bunker, die Mutter kommuniziert mit einer Art Dämon, und so gibt es viele Elemente, die ziemlich surreal sind."
"Der Bunker" wirkt ziemlich irrwitzig, ist aber toll besetzt und geschlossen und fantasievoll inszeniert. Es zeigt sich in diesem Jahrgang ein ausgeprägtes Formbewusstsein - teilweise auch aus der Not geboren:
"Wir haben den Film mit einem sehr kleinen Budget gemacht und einer sehr klaustrophobischen Location, aber die Begrenztheit hat es halt ermöglicht, das irgendwie so umzusetzen, dass wir da unsere eigene kleine Welt aufbauen konnten."
Begrenzte Mittel kreativ nutzen
Die jungen Filmemacher wissen die begrenzten Mittel kreativ zu nutzen:
"Was sich verändert hat ist, dass die Nachwuchsregisseure und Regisseurinnen schneller zur Sache kommen. Zur Sache kommen, damit meine ich: Der Weg ist so weit und so lang, aber ich finde meinen Weg. Und ist es über Crowdfunding oder, ich mach das Team noch kleiner und wir bezahlen noch weniger oder gar nicht. Dadurch gibt es immer mehr Filme auf dem Markt, die Filme sehen aber im Lauf der letzten Jahre immer besser aus, obwohl sie wenig Geld hatten, und das sieht man."
In der Perspektive Deutsches Kino gibt es – anders als in manchen Jahren - keine Ausreißer nach unten - aber auch nicht nach oben. Dem Dokumentarfilm – sonst eher eine Stärke der Sektion – fehlt dieses Mal mit seinen zu hermetischen Blickwinkeln ein Höhepunkt. Die Spielfilme bewegen sich formal gekonnt, atmosphärisch und erzählerisch ambitioniert zwischen Mystery und Paranoia, handeln von dysfunktionalen Familien, Heimat und Heimatverlust.
Die Sektion präsentiert in diesem Jahr einen Regie-Nachwuchs, der sehr genau, aber auch mit stark distanziertem Blick hinschaut und eine Gesellschaft in permanenter Überforderung und unter hohem Druck zeigt. Vielleicht gilt das zum Teil auch für die jungen Regisseure, deren Filme hohe Professionalität, aber mitunter auch zu viel Distanz zum Thema erkennen lassen, um den Zuschauer wirklich zu berühren.
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