Personalnotstand in Gefängnissen

Justizvollzugsanstalten am Limit

07:28 Minuten
Ein Vollzugsbeamter der Justizvollzugsanstalt schließt eine Zellentür im Gefängnis auf.
Oft sind Justizbeamte in Baden-Württembergs Gefängnissen auf sich selbst gestellt. Eine Doppelbesetzung von Schichten ist wegen Personalnot nicht möglich. © dpa / Marijan Murat
Von Uschi Götz · 04.02.2020
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Baden-Württembergs Gefängnisse platzen aus allen Nähten. Gleichzeitig herrscht großer Personalmangel. Nicht selten muss ein Justizbeamter alleine 40 Gefangene betreuen. Der Krankenstand ist bei dem psychisch belastenden Beruf hoch.
Immerhin: Beschönigt wird nichts. Geht es um die Lage der Haftanstalten in Baden- Württemberg, spricht CDU-Justizminister Guido Wolf Klartext:
"Ich sehe, dass wir hier in den Jahren zu einer Entwicklung gekommen sind, dass nicht gewährleistet ist, auf jedem Stockwerk, rund um die Uhr und ständig mit zwei Bediensteten vertreten zu sein. Das gibt es in keiner Polizeistreife, das gibt es bei keinem privaten Sicherheitsdienst, dass nur einer unterwegs ist."
Etwa 7200 Gefangene waren im vergangenen November in baden-württembergischen Gefängnissen inhaftiert. Rund 4300 Beamte und Tarifbeschäftigte arbeiteten in diesem Zeitraum im Dreischichtbetrieb in den Haftanstalten. Für eine Doppelbesetzung auf den Etagen fehlt schlichtweg fast überall das Personal, so auch in der JVA Rottenburg am Neckar:
"Wir haben momentan zu wenig Personal, um alle Dienstposten, die wir eigentlich aus Sicherheitsgründen… und einfach auch, um eine adäquate Betreuung der Gefangenen zu gewährleisten… Dafür haben wir aktuell zu wenig Personal."

Gewalt zwischen Gefangenen

Matthias Weckerle leitet die drittgrößte Haftanstalt des Landes. Rund 600 männliche Gefangene sind hier und in einigen Außenstellen untergebracht. Von seinem Dienstzimmer in einem historischen Gebäude blickt der Leiter auf die am Neckar gelegene Bischofsstadt.
"Wir haben ein sehr heterogenes Klientel. Wir haben ganz viele Suchtkranke, wir haben viele aggressive Gefangene, Gefangene, die psychisch krank sind. Wir haben junge Bandentäter, auch aus dem Bereich der organisierten Kriminalität. Wir haben aber auch alte Menschen, die teilweise Ansätze zur Demenz oder Pflegebedarf haben, bis hin zu Gefangenen, die lebenslange Freiheitsstrafen wegen Tötungsdelikten verbüßen müssen. Diese sehr gemischte Gruppe mit sehr unterschiedlichen Ansprüchen macht die Arbeit für die Mitarbeiter sehr anspruchsvoll."

Schwierige Gefangene habe es schon immer gegeben, erinnert sich Weckerle. Doch die Zahl der Vorfälle in der Haftanstalt sei in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, die Gewalt zwischen den Gefangenen nehme zu.
"Da spielt die Belegungssituation eine Rolle. Die Gefangenen sind sehr eng aufeinander. Es gibt auch Schwierigkeiten im Umgang und Herausforderungen im Umgang zwischen Gefangenen und den Mitarbeitern. Gefangene sind in vielen Situationen respektlos, verhalten sich sehr auffällig. Oftmals auch in Folge einer psychischen Erkrankung, verhalten sich die Gefangenen sehr grenzüberschreitend, in sehr vielen Fällen auch aggressiv gegenüber Mitarbeitern."
Jeder zweite Gefangene in einer baden-württembergischen JVA hat keinen deutschen Pass, so auch in Rottenburg. Das macht die Unterbringung oft besonders kompliziert.
Guido Wolf (CDU), Justizminister von Baden-Württemberg, spricht während einer Plenarsitzung im Landtag von Baden-Württemberg.
Hat neue Stellen im Strafvollzug versprochen: Guido Wolf (CDU), Justizminister von Baden-Württemberg. © dpa / Marijan Murat

Ein belastender, intensiver Beruf

Im Unterschied zu anderen Haftanstalten besteht der Hauptkomplex der JVA Rottenburg aus 20 einzelnen, zum Teil sehr alten Gebäuden. Wäscherei, Gärtnerei, Schlosserei, ein großer Werkbereich und viele andere Arbeitsbereiche finden sich auf dem durch hohe Mauern eingezäunten Areal.

Jochen Nolte schließt die Tür zur anstaltseigenen Bäckerei auf. Der Mann mittleren Alters trägt eine blaue Uniformjacke, jeweils drei Sterne sind dabei auf den Schulterklappen angebracht. Nolte ist Amtsinspektor, über zehn Jahre war er für die Sicherheit zuständig, jetzt bildet er als Ausbildungsleiter auch künftige Justizvollzugsbeamtinnen und Beamte aus:
"Der Beruf ist sehr intensiv. Da muss ich auch mit umgehen können. Ich brauche auch draußen ein Umfeld, das mich ab und zu einmal auffängt. Also, das kann schon belastend sein hier. Es kann auch sein, mein Wesen draußen verändert sich."
Auch das bringt er seinen Auszubildenden bei. Der Beruf ist oft anstrengend, die Verdienstmöglichkeiten sind, gemessen an anderen Berufsgruppen im Südwesten, nicht gerade rosig. Nach einer zweijährigen Ausbildung als Justizvollzugsbeamte im mittleren Dienst verdienen Mitarbeiter zwischen 2700 bis 3500 Euro brutto monatlich. Zu den Wechselschichten am Tag kommen Nachtdienste sowie Dienst an Wochenenden und Feiertagen hinzu.
Blick in die Eingangsschleuse der Justizvollzugsanstalt Rottenburg.
Blick in die Eingangsschleuse der Justizvollzugsanstalt Rottenburg. Auch eine Schlosserei, Gärtnerei und Bäckerei findet sich hinter den Gittern.© picture alliance / Pressefoto Ulmer / Markus Ulmer

Als Justizbeamter alleine unter 30 Gefangenen

Es duftet nach frischem Brot. Vier junge Männer holen gerade die letzten Brote an diesem Tag aus dem Ofen. Einige der Häftlinge machen hier eine Ausbildung zum Bäcker.
In den Arbeitsbereichen der Gefangenen sei der Personalmangel ebenso spürbar wie auf den Etagen, wo sich die Zellen der Häftlinge befinden. Das erklärt JVA-Leiter Matthias Weckerle:
"Auch die Mitarbeiter, die im Werkdienst die Gefangenen betreuen, sind alleine oder zu zweit den ganzen Arbeitstag lang mit 20, 25, 30 Gefangenen am Arbeitsplatz zusammen. Auch das oftmals mit sehr schwierigen Gefangenen, die untereinander Konflikte haben. Sie müssen gucken, dass einerseits der Betrieb produktiv ist, dass die Gefangenen beschäftigt sind, aber auch, dass nichts passiert zwischen den Gefangenen."

Werbekampagne für eine "Karriere hinter Gittern"

17 Justizvollzuganstalten mit 18 Außenstellen gibt es allein in Baden-Württemberg. In den vergangenen Jahren wurden bereits 250 neue Stellen für Justizvollzugsdienst geschaffen. 175 weitere Stellen wurden aktuell bewilligt. Landesjustizminister Guido Wolf kündigte an:
"Die 175 Stellen sollen vor allem dazu eingesetzt werden, die Präsenz der Beamtinnen und Beamten auf den Stockwerken der Vollzugseinrichtungen zu verbessern."
Verbessern ja. Aber der Personalmangel ist damit längst nicht behoben. Wolf bekommt zwar viel Lob für sein Engagement. Doch wer sich in Haftanstalten auskennt, hält seine Ankündigung, künftig eine doppelte Besetzung auf allen Etagen einzuführen, für völlig unrealistisch. Dies würde nämlich bedeuten, die Zahl der aktuellen Stellen noch einmal zu verdoppeln. Aber immerhin: Ein Anfang ist gemacht.
"Wenn es einen Abstiegsplatz gäbe in die zweite Liga des Justizvollzugs, dann hätten wir den seit Jahren inne und wären die ganze Zeit auf dem letzten Platz gewesen. Und da wollen wir weg. Das ist ein erster, wichtiger Schritt, aber er muss weitergehen", sagte Alexander Schmid, Landesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten dem SWR und verwies dabei auch auf den hohen Krankenstand unter den Beschäftigten der Haftanstalten. 26 Krankheitstage sind es zurzeit durchschnittlich im Jahr.
Um genug Nachwuchs zu finden, hat das Land inzwischen eine Bewerberkampagne unter dem Motto "Im Dienst der Gerechtigkeit" gestartet und wirbt auch im Netz intensiv für eine "Karriere hinter Gittern".
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