Performing Arts Festival

Theater um Körper und Gesellschaft

05:04 Minuten
Szenenfoto der Performance "You are a weapon" von "Frauen und Fiktion" im Theater-Discounter Berlin.
Die Künstler, die beim Performing Arts Festival in Berlin auftreten, - hier "Frauen und Fiktion" im Theater-Discounter - beschäftigen sich vielfach mit Queer- und Genderthemen. © Brygida Kowalska
Von Gerd Brendel  · 01.06.2019
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Das Performing Arts Festival in Berlin ist so etwas wie ein Schaufenster der Freien Theaterszene der Hauptstadt. Hier treten Schauspielerinnen und Schauspieler auf, die wenig bis kein Budget haben – dafür aber viel kreatives Potenzial entfalten.
Von der Decke im Berliner "Theater-Discounter" hängen Boxsäcke. Willkommen im Fight Club! Aber statt Brad Pitt laufen sieben Frauen in Trainingsanzügen im Kreis und stellen ihre Fragen.
Wie stark bist du ?"
"Gibt es erfolgreiche Selbstverteidigung?"
"Hast du schon mal Gewalt verhindert?"
"Warst du schon mal das Opfer?"
"Sind die Menschen böse?"
"Kann ich angreifen lernen?"
Kickboxen und Kampfsport sind nicht die einzigen Antworten, die das Performance-Kollektiv "Frauen und Fiktion" zu bieten hat. Eine Performerin nach der anderen tritt vor, etwa als Wirtin aus dem Milieu mit aggressiven Gästen.
Eine andere Frauenstimme vom Band erzählt ihre Geschichte zu Ende. Es folgen eine Türsteherin, eine Kampfsportlerin , eine Sozialarbeiterin im Männerknast und nie ist klar, wer was wirklich erlebt hat. Am Ende gehören die Geschichten allen. Jeder Mann ein potentieller Täter? Jede Frau ein potenzielles Mitglied im Fight Club, die sich nichts gefallen lässt? Theater als Ermöglichungsraum im besten Sinne. "Frauen und Fiktion" gehört zu den sechs Künstlerinnen, deren Produktionen das "Performing Arts Festival" in einem besondern "Indroducing"-Programm finanziert. Festivalkuratorin Sarah Israel:
"Was schon deutlich ist: Es gibt in Berlin eine sehr starke Auseinandersetzung mit Queer- und Gender-Fragen. Wie werden Körper verstanden in der Gesellschaft? Ist ja nicht nur, bin ich Mann, bin ich Frau, sondern: Was ist der Körper, wie wird der wahrgenommen, wie wird der objektiviert."

Eine "Freak-Show" im besten Sinne

Zu Beginn von Jan Rozmans Perfomance sitzt er/sie nackt vor einer Lampe, kurzes Haar, Schnurrbart, Brüste. Ringsum ist es dunkel. Dann gehen alle Lampen an. Jan Rozman, jetzt in T-Shirt und Jeans, verhaspelt und verheddert sich mit zahllosen, im Raum verstreuten Requisiten. Im Kampf mit der Tücke der Objekte wird klar: Hier ringt einer/eine mit ihrer Identität und kämpft gegen die "Verobjektivierung" als "Freak" durch die Gesellschaft.
Das Bild von der "Freak-Show" gilt im Grunde auch für die anderen, nicht vom Festival geförderten 100 Produktionen im Programm – im besten Sinne! Einzig allein der Nachweis einer gewissen Professionalität reichte zur Teilnahme.

Finanzierung des Festivals weiter unsicher

Das Spektrum reicht von Tanz, Performance bis Sprech- und Musiktheater. Der Erfindungsreichtum der Künstler, mit buchstäblich keinem Cent eine Aufführung zu stemmen, verdient Respekt und mitunter Bewunderung: Die Akteurinnen sind mit ungezügelter Spielwut dabei. Es lebe die Anarchie!
Die behauptet Özgür Erkök in seiner Ein-Mann-Show "Once upon a time in an unknown future". In einem Neuköllner Club beschwört er die ungezähmte Lust des "wilden Mannes" gegen eine Zukunft, in der die genmutierten Menschen den Tod und Verdauungsprozesse wegrationalisiert haben: "Normalerweise bin ich normal…"
Auf dem Performing Arts Festival ist wenig "normal". Das gilt auch für die Finanzierung. Die bleibt unsicher. Es wäre schade um die "Freaks" und ihr erstaunliches Theater.
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