US-Republikaner

Pence oder Trump – wer macht das Rennen?

24:04 Minuten
Vize-Präsident Mike Pence überreicht am 6. Januar 2021 die Wahlurkunde des Staates Arizona weiter.
Mike Pence widerstand im Kapitol dem Druck von Donald Trump und dessen Anhängern, das Ergebnis der US-Wahl nicht anzuerkennen. © picture alliance / AP / Saul Loeb
Von Stefan Wurzel · 03.08.2022
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Seit dem 6. Januar 2021 wird Mike Pence von den einen als Retter der Demokratie gelobt, von den anderen als Verräter verflucht. Donald Trump dagegen hat zwar mehr Rückhalt in der Partei, ist aber nicht mehr unangefochten.
Wer nach Fans von Mike Pence sucht, wird im US-Bundesstaat Indiana sehr schnell fündig. Hier wurde der 63-Jährige geboren, hier war er Gouverneur und seit er nicht mehr US-Vizepräsident ist, wohnt Mike Pence auch wieder in Indiana, genauer gesagt in der Kleinstadt Zionsville im Boone-County.
„Der ist gut! Er hat seine Sache immer gut gemacht, sowohl hier im Bundesstaat als auch auf US-Bundesebene", sagt Coorey. Er ist Bauarbeiter, wie er erzählt. Der Mitte-30-Jährige sitzt auf einer Parkbank am Rande des kommunalen Festplatzes von Zionsville. Heute ist hier große Landwirtschaftsmesse: Händler aus der Region präsentieren fahrbare Rasenmäher und Mini-Planierraupen. Landwirte verkaufen Marmelade, Honig und andere frische Lebensmittel. Kaninchenzüchter führen in einer Halle stolz ihre Tiere vor.
Bauarbeiter Coorey erinnert sich an Pence, als dieser noch Gouverneur des Bundestaates Indiana war, von 2013 bis 2017, und natürlich erinnert er sich an Mike Pence als US-Vizepräsident neben Donald Trump, von 2017 bis 2021. „Hier in Indiana hat Pence viele Straßen bauen lassen. Überall in den USA brauchten wir neue Straßen", sagt er, "und als US-Vizepräsident hat er in Washington einfach gut aufgepasst, dass alles unter Kontrolle bleibt! Das lief nach dem Motto: guter Bulle, böser Bulle.“

„Mir gefallen die Wertvorstellungen von Pence“

Sandy Kinsler hält ihre Hand über die Augen, um im staubigen Sonnenlicht ihre beiden Enkelkinder erkennen zu können. Der ältere ist gerade vom Pony abgestiegen, jetzt reitet die jüngere über den Parcours. „Mir gefallen die Wertvorstellungen von Mike Pence", sagt Kinsler. "Ich denke: Alle, die ihn und seine konservative Art kennen, schätzen seine Wertvorstellungen. Aber die Kehrseite ist, dass er diese eine Sache gemacht hat. Deswegen gibt es viele harte Konservative, die sagen: Der kommt für mich nicht infrage. Es gibt nämlich immer noch sehr viele Trump-Fans.“

Ich halte den Faktor Mike Pence für völlig überschätzt. Er ist ein Außenseiter und wird keine Chancen haben, jemals Präsident zu werden. Ich halte Mike Pence eigentlich für eine Mediengeschichte. Es ist eine Geschichte des absolut loyalen, devoten, geradezu stiefelleckenden Assistenten, der alles mitgetragen hat, was Donald Trump verbrochen, gesagt und getan hat, und der dann in Ungnade fällt und jetzt von Donald Trump verfolgt wird.

Ehemaliger US-Korrespondent Thilo Kößler im Weltzeit-Gespräch

Diese eine Sache – damit spielt Rentnerin Sandy Kinsler auf den 6. Januar 2021 an. Neun Wochen nach der Präsidentschaftswahl in den USA machte der Republikaner Mike Pence im US-Kongress den Demokraten Joe Biden offiziell zum neuen US-Präsidenten – trotz unverhohlener Drohungen durch Donald Trump und dessen Anhänger, die Pence an den Galgen wünschten.
Pence beugte sich dem Druck und den Gewaltdrohungen nicht. Als amtierender Vizepräsident und qua Amt auch als Präsident des US-Senats fiel ihm die zeremonielle Aufgabe der Wahlbestätigung laut Verfassung zu.
US-Präsident Donald Trump spricht auf einer Demonstration in Washington, D.C.
US-Präsident Donald Trump spricht am 6. Januar 2021 auf einer Demonstration in Washington. Am gleichen Tag wird das Kapitol gestürmt.© imago images / ZUMA Wire
Obwohl am 6. Januar 2021 rechtsradikale Anhänger Donald Trumps das Parlamentsgebäude stürmten, im Kongress randalierten und „Hängt Mike Pence auf“ skandierten, bestätigte dieser den Wahlsieg seines politischen Widersachers Biden – demonstrativ schnörkellos und unbeeindruckt.

Trumps Anhänger wollten Pence hängen sehen

Fahrt nach Terre Haute, ganz im Westen von Indiana. Der Politologe Matthew Bergbower lehrt dort an der Indiana State University. Er ist Experte für US-Präsidentschaftswahlen und er sagt: Mike Pence‘ Verhalten am 6. Januar 2021 ist das, was später einmal in den Geschichtsbüchern über ihn stehen wird. „Es ist genau diese eine Entscheidung, Trump bei der offiziellen Auszählung der Wahlleute-Stimmen nicht zu unterstützen, obwohl eine kleine Gruppe um Donald Trump die Stimmen zurück in die Bundesstaaten schicken lassen wollte, um vermeintliche Unregelmäßigkeiten zu prüfen", so Bergbower. "Das hat Pence abgelehnt! Unter Republikanern gibt es viele, die sagen, Pence hat sich angemessen verhalten. Viele andere sagen aber auch: Er hat sich nicht angemessen verhalten.“
Pence muss sich seit dem 6. Januar 2021 immer wieder rechtfertigen für sein Verhalten, wenn er vor Unterstützern der Republikanischen Partei auftritt.
„In meiner Partei gibt es Stimmen, die sagen, dass ich als Leiter der Sitzung damals die Autorität gehabt hätte, bestimmte Wahlleute-Stimmen zurückzuweisen. Aber die US-Verfassung gibt dem Vizepräsidenten dieses Recht nicht. Es gäbe auch kaum etwas Unamerikanischeres, als wenn eine einzelne Person den US-Präsidenten bestimmen könnte.“

Wer ist Mike Pence?

In den USA sind viele der Meinung, dass Mike Pence am 6. Januar 2021 in Washington nichts geringeres als die amerikanische Demokratie gerettet hat – mindestens aber die Verfassung. Die meisten linken und progressiven Amerikaner hingegen werden nicht müde zu betonen: Pence sei ein ultrakonservativer Politiker am ganz rechten Rand seiner Partei. Verfechter eines klassischen Familienbildes – Mann, Frau, Kinder. Gegen die Regulierung von Schusswaffen, gegen Abtreibung und streng verankert in seinem christlich-evangelikalen Glauben. Er sei ein Christ, ein Konservativer und ein Republikaner – in dieser Reihenfolge, so betont es Mike Pence in Reden immer wieder.
„Als Gouverneur hat Pence hier in Indiana ein ‚Gesetz zur Wiederherstellung der Religionsfreiheit‘ vorangetrieben. Und das, obwohl Religionsfreiheit schon in der US-Verfassung garantiert wird. Letztlich ging es bei dem Gesetz um Fragen wie: Darf ein Konditor Nein sagen, wenn ein homosexuelles Brautpaar eine Hochzeitstorte bei ihm kaufen will?“

2015 erließ er ein umstrittenes Religionsgesetz

Nicht wenige Linksliberale in den USA bezeichnen Mike Pence als Schwulen- und Frauenhasser. Mit dem Religionsgesetz stieß er 2015 selbst im überwiegend konservativen Indiana auf heftigen Widerstand. Nicht nur der republikanische Bürgermeister der Hauptstadt Indianapolis warnte damals vor zu viel religiösem Eifer.

Man sollte – statt auf Pence oder Trump – auf Ron DeSantis achten. Er bringt sich in Position. Er ist ein Geschöpf Donald Trumps. Er hat ihn 2018 zum Gouverneur Floridas gemacht. Doch jetzt setzt sich Ron DeSantis ab. Er achtet darauf, dass es keine gemeinsamen Auftritte mit Donald Trump gibt. Das Thema bei ihm ist: Gibt es einen Trumpismus ohne Trump? Und es gibt ihn! Er steht mittlerweile an vorderster Front des Kulturkriegs gegen das liberale Amerika. Es sind provozierende Gesetze von ihm erlassen worden mit Blick auf Abtreibung, mit Blick auf Covid-19. Man nennt ihn: Donald Trump mit Gehirn.

Ehemaliger US-Korrespondent Thilo Kößler im Weltzeit-Gespräch

„Einige der größten Unternehmen des Bundesstaats stellten sich gegen das Gesetz, zum Beispiel der Pharmakonzern Eli Lilly", sagt Matthew Bergbower von der Indiana State University. "Die Befürchtung war, dass Firmen künftig keine offen homosexuellen Mitarbeiter mehr nach Indiana locken könnten. Die Unternehmen warnten davor, bei der Suche nach Wissenschaftlern oder anderen hochqualifizierte Arbeitskräften keine Leute mehr zu finden, weil Indiana mit dem Gesetz einen Ruf bekommen würde, schwulenfeindlich oder transfeindlich zu sein.“
Turning Point
Er gilt als Hardliner und war ein treuer Weggefährte Trumps: Floridas Gouverneur Ron DeSantis.© picture alliance / AP / Phelan M. Ebenhack
Die traditionellen Familienwerte und seine evangelikale Frömmigkeit – diese beiden Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch das Leben von Mike Pence. Das macht auch das offizielle Ölgemälde in der Gouverneurs-Ahnengalerie deutlich, das im Vorzimmer seines früheren Büros hängt – neben dem Schreibtisch von Sam Frain, der eine Art Protokollchef des Gouverneurs von Indiana ist, und auch schon für Vorgänger Mike Pence gearbeitet hat.
„Es war ihm wichtig, dass auf dem Gemälde im Hintergrund auch ein Familienfoto zu sehen ist", sagt er. "Die Familie ist das Wichtigste in seinem Leben. Das Zweitwichtigste ist für Mike die Bibel. Auch die ist hier auf dem Gemälde zu sehen. Dahinter die beiden Flaggen der USA und des Bundestaates Indiana.“

Mike Pence unterstützt Anti-Trump-Kandidaten

Seitdem Mike Pence nicht mehr Vizepräsident ist, hat er sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Seit Januar 2021 hat er einige Reden bei Veranstaltungen von konservativ-republikanischen Gruppen gehalten. Vor einigen Wochen ist Pence auch in den Wahlkampf eingestiegen. Im November sind in den USA Parlamentszwischenwahlen und überall im Land buhlen Kandidatinnen und Kandidaten um „Endorsements“, also um offizielle Unterstützungsbekundungen durch prominente Politiker wie Mike Pence.
Das Interessante ist: Der frühere zweite Mann im Staat hat zuletzt Kandidatinnen und Kandidaten unterstützt, die sich offen gegen Donald Trump stellen, so etwa in den US-Bundesstaaten Arizona und Georgia. Das mag klingen wie ein unwichtiges Detail des Wahlkampfs in den USA, wird aber von politischen Beobachtern als Zeichen gedeutet, dass sich Mike Pence aus dem Windschatten Donald Trumps lösen will – um 2024 möglicherweise selbst anzutreten für das höchste Amt im Staat.
Für den populistischen Rechtsaußenflügel der Republikaner wäre Pence aber wohl kaum vermittelbar, wegen dessen Rolle am 6. Januar 2021, als er Joe Biden zum Präsidenten machte, trotz der Drohungen von Donald Trump und seinen Anhängern.

Mike Pence erwähnt den 6. Januar 2021 nicht

Mike Pence hat sich bisher nur selten öffentlich geäußert zu seiner Rolle am Tag des Kapitolsturms von Washington – und wenn, dann immer nur sehr zurückhaltend. Als „dunklen Tag in der US-Geschichte“ bezeichnete Pence den 6. Januar 2021 knapp ein halbes Jahr danach.
Auf das Ausmaß der ungezügelten Gewalt an diesem Tag sowie die mindestens fünf Toten und zahlreichen Verletzten ging Pence bei dieser Rede in der Richard-Nixon-Library in Kalifornien nicht ein, auch nicht auf die immensen Schäden, die die durch Donald Trump und rechtsradikale Stimmungsmacher aufgehetzten Randalierer anrichteten – weder auf die direkten Sachschäden noch auf die indirekten Schäden an der amerikanischen Demokratie.
„Dank des raschen Eingreifens der Parlamentspolizei konnte die Gewalt eingedämmt werden", sagte er stattdessen. "Das Kapitolgebäude wurde gesichert, die Sitzung der beiden Kammern wurde noch am selben Tag wiederaufgenommen, und wir brachten unsere Arbeit zu Ende – das Auszählen der Wahlleute-Stimmen aus allen Bundesstaaten.“
Tony Moravec ist Geschäftsmann aus Columbus, der Geburtsstadt von Mike Pence. Er unterstützt ihn seit Jahren mit Spenden. „Sein Verhalten am 6. Januar wird es Mike bei künftigen Wahlen sehr schwer machen", meint er. "Vor allem dann, wenn auch Donald antritt – dann würde 'The Donald' wohl gewinnen gegen Mike. Auch in anderen Wahlen wird es Mike wohl schwer haben. Manche in der Partei sehen ihn als Verräter. Ich sehe das zwar nicht so, habe aber zugegebenermaßen auch gemischte Gefühle. Aber ich kenne und respektiere ihn. Er ist immer noch ein guter Freund.“
Die konservative Basis in Zionsville, wo sich Mike Pence ein Haus gekauft hat, unterstützt den früheren Vize-Präsidenten. Pence würde einen guten Präsidenten abgeben, da ist Bauarbeiter Coorey überzeugt. Besser als die, die jetzt das Land regieren, würde er allemal sein.

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