Gespaltene USA

Miteinander reden lernen

24:37 Minuten
Zach und andere Teilnehmer des American Exchange Project in Kalifornien.
Teilnehmer eines Austausch in Kalifornien: Das American Exchange Project will jungen Menschen die Erfahrung ermöglichen, dass die meisten Menschen mehr verbindet als trennt. © David McCullough
Von Julia Kastein · 27.07.2022
Audio herunterladen
Die Vereinigten Staaten sind schon lange alles andere als einig: Politische Gräben spalten die Gesellschaft, sprengen Freundschaften und Familien. Immer mehr Amerikaner wollen das ändern und besuchen Kurse, um zu lernen wie sie das schaffen können.
Der Gemeindesaal der Colonial Park United Methodist Church, einer schlichten Backsteinkirche in einem ruhigen Mittelschichtsviertel im Osten von Memphis, Tennessee. Die Organisation Braver Angels, „Mutigere Engel“, hat an diesem regnerischen Frühlingsabend zu einer Informationsveranstaltung und einem Workshop eingeladen. Sie will in der Metropole am Mississippi endlich auch eine Ortsgruppe gründen.
Vier Frauen und acht Männer zwischen 50 und 80 Jahren, machen es sich – so gut das geht – auf den dünn gepolsterten Holzstühlen bequem. Kali Kuchera, Mitte 50, angegrauter Bart, kariertes Hemd, stellt sich vorn ans White Board und erklärt, dass die Hauptredner des Abends leider seit Stunden im Stau stecken.

Aus Meinungsunterschieden werden Feindschaften

Wegen der Pandemie wurde die Veranstaltung schon mehrfach verschoben – Kali will also keine weitere Zeit verlieren und deutet auf das erste Bild der Powerpoint-Präsentation: die Mission von Braver Angels.
„Wir bringen Amerikaner zusammen, um die parteipolitischen Gräben zu überbrücken und unsere demokratische Republik zu stärken“, erklärt er. „Die kürzere Fassung, die mir noch besser gefällt ist: Amerika entpolarisieren. Wir haben zwei Lager, die sich oft gegenseitig an die Gurgel gehen. Aber wie schon Abraham Lincoln sagte: Wir sind keine Feinde. Wir sind Freunde. Und das hier ist unsere Republik.“
Jugendliche vom American Exchange Project mit einem roten Auto auf Tour in Texas
Auf Tour in Texas: Das American Exchange Project ist eine junge Organisation, die Schülerinnen und Schülern eine Art einwöchigen Auslandsaufenthalt im eigenen Land ermöglicht.© David McCullough
Egal ob es um das Wahlergebnis und den Sturm aufs Kapitol geht, um die Corona-Politik, Waffengewalt, Abtreibung oder Rassismus: Amerika ist in zwei Lager gespalten, die in verschiedenen Welten leben. Republikaner gegen Demokraten, vermeintliche Faschisten gegen angeblich radikale Sozialisten, Trump-Wähler gegen Trump-Hasser – das Feindbild ist klar, das Label auch und echte Kommunikation mittlerweile selbst in vielen Familien unmöglich.

Respektvoller Umgang will gelernt sein

Braver Angels ist eine von mittlerweile Hunderten Organisationen in den USA, die das gespaltene Land wieder einen wollen. Und sie ist eine der größten, mit über 11.000 Mitgliedern in über 40 Bundesstaaten. Die Idee: Menschen aus beiden Lagern beibringen, sich nicht als Feinde zu sehen – und respektvoll miteinander umzugehen. Das Besondere an den Braver Angels ist der Fokus auf politische Ausgewogenheit, erklärt Kali.

Damit wir eine Ortsgruppe gründen können, brauchen wir Balance. Wir müssen Diversität vorleben – durch den Prozess und durch die Leitung. Jede Ortsgruppe hat einen roten und einen blauen Vorsitzenden. Bei jeder Debatte achten wir darauf, dass es eine Balance aus roten und blauen Perspektiven gibt.

Kali Kuchera

Kali ist seit Ende 2020 bei den Braver Angels. Der selbstständige Softwareingenieur beschreibt sich selbst als „blue leaning“. Blau ist in den USA die Farbe der Demokraten, Rot die der Republikaner.
„Am 5. November hatte meine Seite zwar gewonnen, aber ich fühlte mich genauso leer wie vorher. Die Verbitterung fühlte sich noch bitterer an, die Spaltung noch tiefer, ich war wütend auf Menschen, die ich eigentlich Freunde nennen wollte“, erzählt er. „Ich glaubte einfach nicht mehr dran, dass Amerika am 6., 7. oder 8. November ziviler werden würde. Ich fing an, online zu suchen, wer mir dabei helfen könnte, diese Spaltung therapeutisch zu überwinden.“

Auf Freundschaftssuche bei den Republikanern

Sein persönliches Ziel damals sei gewesen: Einen neuen besten Freund finden, der rot tickt – auch wenn er selbst eher blau tendiere. Dieser Wunsch hat sich für Kali noch nicht erfüllt. Aber dafür ist an diesem Frühlingsabend die heiß ersehnte Unterstützung für den Workshop angekommen.
Lynn Heady und ihr Mann Ron haben es trotz stundenlanger Umleitungen endlich aus Nashville nach Memphis geschafft. Umziehen oder Ausruhen ist nicht: Lynn, eine energiegeladene Mittsechzigerin mit grauen Haaren und viele Lachfalten hinter der Brille, übernimmt sofort.
Es ist ihr erster Präsenzworkshop seit zwei Jahren: „Ich kann Euch gar nicht sagen, wie schön es ist, Eure lächelnden Gesichter hier zu sehen“, sagt sie.
Die pensionierte Pädagogin Lynn ist ein Braver Angel der ersten Stunde. Kurz nach der Wahl 2016 trafen sich zehn Trump- und elf Hilary Clinton-Wähler in einer Kleinstadt in Ohio für ein Experiment: Würden sie, trotz ihrer enormen Meinungsverschiedenheiten und in einem aufgeheizten öffentlichen Klima, überhaupt miteinander reden können?
Dieser erste Workshop war ein so großer Erfolg, dass die Initiatoren – ein Psychologe und zwei Soziologen – in einem Bus über Land tingelten, um weitere Workshops zu organisieren. Auch in Nashville machten sie Station.

Kommunikationsworkshops werden nachgefragt

Nach der Wahl 2016 war ich verzweifelt über das Ergebnis. Aber noch mehr darüber, wie wir miteinander umgingen. Ich hatte keine andere Wahl als entweder aufgeben und einer von diesen Hetzern zu werden – oder meine Energie in etwas Positives stecken. Dann ging ich zu dem Workshop von Braver Angels und hing nach fünf Minuten am Haken. Mir war klar: Hier muss ich sein.

Lynn Heady

Um den Braver-Angels-Ansatz zu demonstrieren, steht an diesem Abend noch ein Workshop auf dem Programm – aber erst mal ist kurz Pause.
Mike Brugge, dicke Hornbrille, dicker Südstaatenakzent, hat sich noch schnell einen Kaffee gezapft. Der Konservative hat zweimal Trump gewählt, wenn auch widerwillig – aber die Demokraten seien gefährlich fürs Land.
Der Verkehrsingenieur findet: Es ist höchste Zeit, wieder miteinander zu reden: „Es gibt nicht viel echte Kommunikation. In der Presse, egal auf welche Seite ich gucke: Sie reden nicht miteinander, sondern aneinander vorbei. Ich hoffe, dass ich hier Leute finden, die gelernt haben, wie man miteinander redet.“

Nicht mehr über Politik reden, ist auch keine Lösung

Auch die pensionierte Lehrerin Lain Whittaker hat die Sorge um ihr Land an diesem Abend hergeführt.
„Ich musste zu meinem Bruder sagen, wir sollten lieber aufhören, über Politik zu reden, weil es nicht gut für unsere Beziehung ist. Und ich habe eine enge Freundin verloren, weil sie sich so über meine politische Haltung aufgeregt hat. Oder was sie dafür gehalten hat“, erzählt sie.
Das Thema des Workshops an diesem Abend: „Family & Politics“, Familie und Politik. Zur Einstimmung spielt Lynn ein Musikvideo. Inspiriert von „America The Beautiful“ singt eine junge Frau über die Fronten in ihrem Land, die sie so gerne überwinden würde. Der Song ist einer von über 400, den junge Braver-Angels-Mitglieder für die Organisation geschrieben haben, erklärt Lynn.
„Sie singt: Lasst uns von Herz zu Herz sprechen. Und wo kann man das besser machen als in unseren Familien. Unsere Familien sind unser Herz, unser Erbe, unsere Geschichte, unsere Liebe – und dass wir so viele Möglichkeiten verpasst haben, um dieses ‚Heart to heart‘ in unseren Familien zu haben, ist wirklich sehr schade.“

Die Kluft in Familien ist besonders schwer zu ertragen

Während Lynns Mann Ron die ausgedruckte Powerpoint-Präsentation verteilt, erklärt Lynn die Ziele der nächsten anderthalb Stunden: Verstehen warum es in Familien besonders schwierig ist, über Politik zu reden. Die verschiedenen Rollen erkennen, die einzelne Familienmitglieder in politischen Unterhaltungen übernehmen. Und: Strategien lernen, besser damit umzugehen.
„Für Familienmitglieder gilt: Sie sagen nicht nur etwas, womit ich nicht einverstanden bin. Ich kann es einfach gar nicht fassen, dass sie so was denken, weil sie Teil meiner Familie sind. Wir sind alle im gleichen Haus aufgewachsen. Wir haben die gleichen Dinge erlebt. Wie kannst Du nur so was glauben! – Das muss man im Hinterkopf behalten, darum sind solche Unterhaltungen manchmal schwieriger“, erklärt sie.
Dann ist Lynns Ehemann Ron dran – auch er pensionierter Lehrer, ein drahtiger Mann in Poloshirt und Turnschuhen.

Lernen, andere Perspektiven zuzulassen

Für die Kommunikationsfähigkeiten, die er den Teilnehmern jetzt beibringen wolle, gäbe es ein tolles Akronym: CAPP, Clarify, Agree, Pivot and Perspektive – also Klarstellen, Zustimmen, Umschwenken und eine andere Perspektive bieten.

Ihr werdet hier nichts ganz Neues erfahren. Das sind lang erprobte Kommunikationsstrategien. Aber wir haben sie ein bisschen angepasst, damit sie vor allem in Unterhaltungen mit unseren Familien effektiv genutzt werden können.

Ron Heady

Im Rollenspiel exerzieren Ron und Lynn dann die ideale Unterhaltung vor: Sie spielt die starrköpfige Republikanerin, für die alle Demokraten Sozialisten sind, die ihr Land kaputtmachen wollen. Ron gibt den verständnisvollen Liberalen, der ihre Meinung respektiert – aber auch will, dass sie ihm zuhört:
„Ich habe so meine eigenen Gedanken, was Liberale wie ich über Sozialismus denken. Darf ich dir sagen, was ich denke?“, fragt Ron. „Na gut“, grummelt Lynn. Ron antwortet: „Echt jetzt: Willst hören, was ich über dieses Thema denke?“ Und dann Lynn: „Von mir aus. Aber es wird meine Meinung nicht ändern.“

Oft kommt der Streit schon vor dem Meinungsaustausch

Nicht alle Teilnehmer sind überzeugt, dass diese Kommunikationsstrategie wirklich weiterhilft. „Kommt man überhaupt mal dahin, dass man seine Meinung offen sagen kann – ohne Streit?“, will Virginia wissen. „Das ist das Ziel“, versichert ihr Ron.
Und ein langer Weg, sagt er „Denk dran, wie die Dinge manchmal an Thanksgiving oder beim Picknick am 4. Juli gelaufen sind. Wo ein Streit über Politik das Letzte ist, was wir wollen, und trotzdem passiert ist. Wir versuchen, einen Prozess zu entwickeln, Virginia, bei dem du letztlich auch deine Meinung sagen kannst.“
Auch wenn die Trump-Jahre die politische und gesellschaftliche Spaltung der USA noch vertieft haben: Schon vorher wurde es immer schwieriger, mit dem vermeintlichen Gegner ins Gespräch zu kommen, sagt die Mediatorin Joan Blades aus Berkeley. Politik und Medien hätten sich massiv verändert.

Wer von der Polarisierung profitiert

„Unsere Medien und unsere Politiker nutzen die Polarisierung, um Macht zu gewinnen oder um Profit zu machen“, erklärt sie.
„Die Medien spalten immer mehr, weil ihre Algorithmen aufs Teilen ausgerichtet sind, und wir teilen das, was uns Angst, Wut und Sorgen macht. Das ist nicht gut für unsere mentale Gesundheit und gleichzeitig hat dieses ständige Fokussieren auf unsere Gegensätze auch in der Politik in den letzten 20 Jahren zugenommen.“
Joan Blades ist eine Veteranin der aktiven Zivilgesellschaft: Die zart und gleichzeitig zäh wirkende Frau mit schulterlangen grau-blonden Haaren und gründete schon Ende der 90er-Jahre mit ihrem Mann MoveOn, eine der ersten und größten Online-Plattformen für progressiven Aktivismus weltweit.
2010 dann kam ihr die Idee für Living Room Conversations, Unterhaltungen im Wohnzimmer.

Grundregeln sind das A und O

‘Living Room Conversations‘ baut auf das auf, was ich bei MoveOn gelernt habe: Mit Dialogexperten einen einfachen Weg finden, für Leute, die bereit sind, sich an die Grundregeln zu halten. Im Grunde das, was wir alle im Kindergarten gelernt haben: Respektvoll sein, Warten bis man dran ist und neugierig sein.

Joan Blades

Die ersten Unterhaltungen in kleiner Runde organisierte Joan in ihrem Wohnzimmer. Inzwischen gab es schon Tausende dieser Wohnzimmergespräche in Kirchen, Bibliotheken, Schulen oder Online und zu Dutzenden Themen: von Abtreibung bis Krieg, von Bildung bis Rassismus. Die Gesprächsfäden und Anleitungen für die eigene Wohnzimmerunterhaltung gibt es umsonst auf der Webseite.
„Das Interessanteste an dieser Arbeit ist: Es zeigt ganz klar, dass es nicht ums Überzeugen geht, sondern um Verbindung. Und Verbindung ist dann – verdrehter Weise – das Überzeugendste, was du tun kannst“, erklärt sie.

Brückenbauer-Organisationen erleben einen Boom

Wie viele Brückenbauer-Organisationen erlebte auch Living Room Conversations in der Pandemie einen regelrechten Boom. Auch Thomas Orjala aus Idaho fand in dieser Zeit dazu. An diesem Tag hat der inzwischen pensionierte Bauunternehmer mit der grauen Mähne zu einer Online-Diskussion zum Thema Waffen eingeladen.
Drei Frauen und drei Männer aus den gesamten USA haben sich eingewählt, stellen sich erst mal vor und reden dann reihum über ihre persönlichen Erfahrungen.
Laura, die aus Alaska stammt erzählt, dass für sie Waffen schon als Kind total normal waren, weil die Männer in ihrer Familie alle Jäger waren. Marti aus Ohio hat die gegenteilige Erfahrung gemacht: Waffen waren in ihrer Familie verpönt.
Eine wirkliche Unterhaltung kommt erst nach einer guten Dreiviertelstunde in Gang – und entgleist auch gleich fast. Dave, der pensionierte Ingenieur aus Oregon, der zu Beginn noch erklärt hatte, er sei da, um endlich mal aus seiner liberalen Blase rauszukommen, redet sich in Rage.
„Den Wählern geht es doch gar nicht um das Recht auf Waffen. Sie wollen doch nur den Liberalen eines mitgeben“, kritisiert er. „Sie wollen nicht gewinnen, sie wollen nur, dass die anderen verlieren!“
Cindy, die in ihrer Rentner-Kolonie in Mexico nur schlechtes Internet hat, hält dagegen: „Lass mich dir persönlich versichern: Es gibt wenigstens eine Konservative, der es nicht darum geht, den Liberalen eins mitzugeben, sondern darum eine aus meiner Sicht vernünftige Form der Regierung zu bewahren.“

Liberale lassen sich eher auf die Gesprächsrunden ein

Die Zusammensetzung der Runde an diesem Vormittag ist typisch für Brückenbauer: über 50, weiß und mehrheitlich liberal.
Mediatorin Joan Blades erklärt sich das so: „Ein Problem für die Brückenbauer-Bewegung ist: Wer will überhaupt mitmachen? Und es gibt eine ziemlich große Gruppe von Leuten auf der rechten Seite, die das nicht wollen. Weil sie es für Zeitverschwendung halten. Und ich kann Ihnen sagen, es gibt auch bei den Linken eine ganze Reihe von Menschen die sagen: Warum soll ich mit solchen Leuten reden. Also musst du mit denen anfangen, die kommen – und es dann ausdehnen.“
Videokonferenz mit Zach und Sy´rai. Die beiden Jugendlichen kommen aus völlig verschiedenen Welten: Sy´rai, hinternlange Rastazöpfe, silberner Piercing-Schmuck in den Augenwinkeln und an der Nase, lebt mit ihren drei Geschwistern und den Eltern in einer Wohnung in Manhattan. Zach, Baseballkappe, graues T-Shirt, kommt aus der Kleinstadt Kilgore in Texas, mit gerade mal 13.000 Einwohnern.
Die beiden wären sich wohl nie begegnet – aber diesen Sommer gehörten sie zu über 100 High-School-Absolventen, die im Rahmen eines Austauschprogramms ein völlig unbekanntes Amerika kennenlernten. Für Sy´rai war das Kilgore. Für Zach war es Albany, ein Vorort im Norden von San Francisco.
DIe 17-jährige New Yorkerin Sy´rai sitzt auf einem Sofa.
Zum ersten Mal quasi im Ausland: Die New Yorkerin Sy´rai reiste mit dem American Exchange Project nach Texas.© David McCullough
Und der Kulturschock war gewaltig -- vor allem für die Großstadtpflanze Sy´rai, die ihren Heimatstaat New York noch nie verlassen und auch noch nie in einem Flugzeug gesessen hatte.

Austauschprogramme im eigenen Land

„Tut mir echt leid, Zach, dass ich das jetzt so sage: Aber ich hatte mir mehr Natur vorgestellt, Gras und Sand überall, Tiere“, erzählt sie. „Ich weiß nicht, ob ich jetzt irgendwie diese Cowboysache erwartet hatte, wie im Film. Vielleicht nicht ganz das. Aber ich hatte schon damit gerechnet, dass die Leute alle Cowboystiefel und Cowboyhüte tragen, und das war gar nicht so. Meistens jedenfalls.“
Nachts, erzählt sie, hätte sie kaum schlafen können, weil es so furchtbar ruhig war. An das viele Fleischessen musste sich Sy´rai auch erst mal gewöhnen.
Auch die Sprache, der Slang, sei sehr fremd gewesen. „Am besten hat mir diese ‚Bless your heart‘-Redewendung gefallen. Echt lustig. Man kann das gut oder schlecht meinen. Wie erkläre ich das jetzt? Zach, du kennst das doch auch?“
Zach schmunzelt: „Ja, es kann entweder heißen: ‚Bless your heart‘, weil du so dumm bist. Oder jemand sagt aus Mitleid ‚Bless your heart‘ zu dir und du musst die Person kennen und wissen, wie sie redet, damit du weißt, wie sie es meint.“

Reise nach Kalifornien wie eine Fernreise

Zach, der zu Hause im Wohnzimmer schläft, genoss es, bei seiner kalifornischen Gastfamilie sein eigenes Reich zu haben, mit eigener Klimaanlage. Aber vor allem war die Austauschwoche in Kalifornien Gelegenheit, die eigenen Vorurteile abzubauen.

Für mich als Texaner war das schon alles sehr anders. Wir hier denken alle: Oh, so wie die in Kalifornien willst du nicht sein, ziemlich abfällig. Und sie denken dort genauso über uns: Sie glauben, wir sind alle ‚Rednecks‘. Und wir glauben, sie sind alle sehr progressive Leute, für die alles okay ist.

Zach

Vorurteile abbauen, sich kennenlernen und Freundschaften schließen – das ist das Ziel des American Exchange Project. David McCullough hat es vor vier Jahren mit aus der Taufe gehoben und leitet die kleine Organisation jetzt aus seiner Wohnung in Boston.

Suchen nach dem, was verbindet

Die Idee für das Projekt kam dem Yale-Absolventen noch als Student, auf einem Forschungstrip durch die USA: Es ging um Armut und Bildung.
„Ich lieh mir das Auto meiner Mutter und fuhr 7000 Meilen durch die USA. Während ich unterwegs war, waren also auch die Wahlkampfteams von Trump und Clinton unterwegs – und ich konnte aus eigener Hand erleben, wo diese Gräben, die wir auf der nationalen Bühne erleben, herkamen. Aber vor allem habe ich auf der Reise viele tolle Freundschaften geschlossen“, erzählt er.
Diese Erfahrung – dass die meisten Menschen mehr verbindet als trennt, wenn sie sich nur erst mal kennenlernen – will David mit dem Austauschprogramm weitergeben.

Ich glaube, die politischen Unterschiede, in die wir uns so reinsteigern, haben vielmehr mit Klassen- und Kulturunterschieden und mit Geografie zu tun als mit Politik. Wir wissen so wenig übereinander und es gibt so viele Animositäten, Stereotypen und dieses Stammesdenken, das durch die Medien und sozialen Netzwerke propagiert und verstärkt wird. Das vermittelt uns ein falsches Bild voneinander und erfüllt uns mit Angst.

David McCullough

Für Sy´rai und Zach war der Austausch ein voller Erfolg „Zehn von zehn Punkten“, sagt die 17-Jährige.
Und Zach ergänzt: „Wir einen uns, allein durch die Erfahrung, dass jemand von Tausenden Meilen entfernt zu dir kommt und erklärt, warum sie so denken, wie sie denken – nicht sagen, dass es falsch ist, sondern einfach warum.“
American Exchange Project ist eine junge Organisation – 2020 ermöglichte sie den ersten 20 Schülern eine Woche Auslandsaufenthalt im eigenen Land. In diesem Jahr waren es schon 140. David würde das Gratisprogramm am liebsten allen vier Millionen High-School-Absolventen pro Jahr ermöglichen.
„Ich will, dass dieser Austausch in der High School so normal wird wie der Abschlussball: Jedes Kind sollte das machen und ich glaube, das ist machbar. Wenn wir unser Land einen wollen, dann müssen wir so ambitioniert über großen Lösungen nachdenken.“
Mehr zum Thema