Paul Bokowski: "Schlesenburg"

"Liebeserklärung an die Leistung unserer Eltern"

11:06 Minuten
Porträt des Autors Paul Bokowski.
"Hyperintegration" und Abgrenzung: Paul Bokowski hat seinen ersten Roman vorgelegt. © Jan Kopetzky
Paul Bokowski im Gespräch mit Joachim Scholl · 05.10.2022
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Paul Bokowski wuchs als Sohn polnischer Migranten in einer westdeutschen Blocksiedlung auf. In seinem Debütroman beschäftigt er sich mit seiner Herkunft, mit Rassismus, Identität und Fragen der Integration.
Drei Bände mit Kurzgeschichten hat Paul Bokowski bereits veröffentlicht. Nun ist sein erster Roman erschienen: „Schlesenburg“. Seine eigene Kindheit und der Weg seiner Familie sind die Grundlage für die Geschiche des Romans. Bokowski wurde als Sohn polnischer Flüchtlinge in Mainz geboren. In „Schlesenburg“ gehe es um Rassismus und das Gefühl der Fremdheit in seiner Jugend, sagt er. Die Familie lebte in einer Blocksiedlung, mit rund 60 anderen Familien, fast alle aus Polen.

Spiegelbild der Kindheit

Zunächst einmal iritiert Bokowski seiner Leser, denn „Schlesenburg“ hat Kapitelüberschriften, die auf Polnisch verfasst sind: „Das ist ein Spiegelbild meiner Kindheit. Viele Kinder meiner Generation haben einen ähnlichen Hintergrund wie ich: Wir haben kein Polnisch gelernt. Die Polen, die nach Westdeutschland gekommen sind Anfang der 80er-Jahre, haben etwas gemacht, was ich gern 'Hyperintegration' nenne: Sie haben das Polnische komplett abgelegt und den Kindern kein Polnisch beigebracht. Dieses Gefühl, dass man polnische Worte hört, aber nicht richtig einordnen kann, sie nicht versteht, nicht kennt, das wollte ich ein bisschen transportieren in dem Roman.“
„Schlesenburg“, so wurde die Sozialbausiedlung genannt, in der er als Kind lebte, erzählt Bokowski. „Sie war anfangs, als wir dorthin gezogen sind, absolut makellos und weiß - tief im kulturellen Westen.“ Doch "Schlesenburg" sei natürlich ein herablassender Name, der von der deutschen Mehrheitsgesellschaft geprägt wurde, den „die Polen, die dort lebten, allerdings (auch) angenommen haben“, erklärt Bokowski.

Die Kehrseite der Hyperintegration

Die "Hyperintegration" habe die Kehrseite, dass die Generation der Kinder komplett abgekapselt gewesen sei von der eigenen Herkunft. Wie auch die Generation der Eltern: "Abgekapselt nicht nur durch den Eisernen Vorhang, sondern auch durch die sprachliche Grenze, abgenabelt von unseren Großeltern."
So habe er selbst mit seinen Großeltern kaum sprechen können, weil er kein Polnisch konnte, sagt der Schriftsteller. In seinem Roman geht es vor diesem Hintergrund um die Abgrenzung verschiedener Gruppen untereinander, und um den Rassismus, der von außen an die in der Siedlung lebenden Polen herangetragen wurde. Aber sein Roman sei auch „ganz sicher eine Liebeserklärung an die Schlesenburg“, sagt Bokowski. „Und eine ganz große Liebeserklärung an die Leistung unserer Eltern, die es geschafft haben, mit nichts hierher zu kommen und sich ein Leben aufzubauen – und damit meine ich nicht Wohlstand."

Paul Bokowski: "Schlesenburg"
btb Verlag, München 2022
320 Seiten, 22 Euro

(sru)
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