Fotoband „Die Passion hinter dem Spiel“

Jesus am Kreuz mit Pudelmütze

05:34 Minuten
Mit Jesus und seinen Jüngern an einer langen Tafel mit Kerzenleuchter.
Das letzte Abendmahl, inszeniert bei den Oberammergauer Passionsspielen 2022. © Sebastian Schulte
Von Christoph Leibold · 16.07.2022
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Sebastian Schulte ist noch keine 20 Jahre alt, doch er durfte bereits die Passionsspiele von Oberammergau fotografieren. Nun ist ein Fotoband herausgekommen, der die "Passion hinter dem Spiel" beleuchtet. Schulte selbst ist Teil der Inszenierung.
Vom Einzug nach Jerusalem bis zur Kreuzigung: Die Massenszenen in der Oberammergauer Passion – und davon gibt es einige – haben Wimmelbild-Charakter. Für Fotografen ist das sehr ergiebig. Auch für Sebastian Schulte. Nur dass die Hundertschaften von Komparsinnen und Komparsen – die als Volk von Jerusalem die eine antike Tempelanlage markierende Bühne im monumentalen Passionstheater fluten – auf seinen Bildern meist keine langen Gewänder und Sandalen tragen. Sondern: Daunenanoraks und Winterstiefel. Schultes Bildband ist eine klassische Making-of-Doku. Da trägt Jesus am Kreuz schon mal Pudelmütze.
"Die meisten Proben am Anfang sind ohne Kostüm", sagt Schulte. "Da weiß man am Anfang noch gar nicht so recht, wer was spielt oder wie das alles zusammenkommt. Und das ergibt sich dann erst, wenn die Proben etwas fortgeschritten sind und auch im Kostüm. Dann sieht man auch: Die da sind armes Volk, dann das reiche Volk ..."

Statistenrolle für den Fotografen

Sebastian Schulte schoss die ersten Fotos für den Band im Herbst 2018, da war er noch Schüler im Benediktinergymnasium im nahen Ettal, und in Oberammergau fand die Bekanntgabe der Spielerinnen und Spieler für die Passion 2020 statt. Weil die wegen Corona um zwei Jahre verschoben werden musste, umfasst Schultes Buch nun dreieinhalb Jahre Passionsvorbereitungen statt der ursprünglich geplanten knapp zwei. Auch den Moment, in dem der sichtlich angefasste Spielleiter Christian Stückl, dem Ohnmacht und Enttäuschung ins müde Gesicht geschrieben stehen, den Stopp der Proben im März 2020 verkündet, hat Schulte aus nächster Nähe miterlebt und fotografisch festgehalten.
"Wir waren jetzt Jahre beschäftigt an dem Ganzen, und jeder hätte es gern gemacht", sagt Stückl. "Aber es ist jetzt so, und ich glaube, was ganz wichtig ist, dass man weiter schaut."
Sebastian Schulte ist selbst Oberammergauer und als solcher Teil der Passion. Er spielt eine stumme Rolle – einen der Diener des Hohepriesters Kaiphas, des wichtigsten Gegenspielers Jesu im Stück.
„Ich hab halt immer mitgemacht bei den Proben und immer wieder Bilder gemacht und versucht, so wenig wie möglich damit aufzufallen. Bei manchen Szenen bin ich ja nicht dabei, und die Bilder sind auch etwas anders, also die Szenen, in denen ich nicht mitspiele. Die Bilder daraus sind eher aus einer Beobachterperspektive von draußen und in den Szenen, zum Beispiel der Einzug oder Gang nach Jerusalem, da sind die Bilder eher von innen. Also es fühlt sich an, als wäre man in der Szene drin bei diesen Bildern.“

Fotos in Schwarz-weiß

Trotz des dokumentarischen Ansatzes verfolgte Sebastian Schulte beim Fotografieren auch einen ästhetischen Anspruch. Der 19-Jährige ist kein Mann der großen Worte, seine Bilder sind dafür umso ausdrucksstärker. Dazu hat er sich fürs Schwarz-weiß der klassischen Theaterfotografie entschieden: "Wenn man Farbbild hat, dann sind viel mehr Sachen, die ein ablenken könnten. Nun bei Schwarz-weiß, da geht's halt nur ums Licht, und deswegen ist es reiner als Farbfotografie."
Kreuzigungsszene auf einer Bühne vor leeren Rängen.
Probe für den Höhepunkt: Kreuzigungsszene in Oberammergau.© Sebastian Schulte
Für Aufnahmen von Massenszene stieg Sebastian Schulte – so er nicht gerade in einer Szene mitspielte und mitten im Gedränge fotografierte – gelegentlich auf das Dach der Theatertempelanlage, um die Vogelperspektive einzunehmen. Im Kontrast dazu zoomte er auch immer wieder nah heran an einzelne Personen.
Überhaupt: Kontraste. Schulte liebt scharfe Konturen, oft gezeichnet von Licht und Schatten. Vor allem die älteren Passionsdarsteller mit ihren beeindruckend langen Bärten und kantigen Gesichtszügen wirken dabei manchmal, als wären sie Figuren, die einer der vielen Holzbildhauer im Ort geschnitzt hätte.

Hinter den Kulissen der Passion

Neben der Making-of-Dokumentation ist „Die Passion hinter dem Spiel“ auch Backstage-Reportage. Schulte begibt sich zu den Musikern in den Orchestergraben, sucht den Inspizienten an seinem Pult auf, wirft Blicke in die Werkstätten. Kurze Begleittexte von Anne Fritsch beschränken sich auf das Allernötigste, um die Bilder räumlich und zeitlich zu verorten und Entstehung und Geschichte des Oberammergauer Passionsspiels grob zu skizzieren.
Eines der schönsten Fotos des Bandes zeigt von hinten: Frederik Mayet, der den Jesus spielt, und einen der beiden Darsteller der Verbrecher, die neben Jesus gekreuzigt werden, wie sie nach einer Probe – in diesem Fall mit Kostüm, nicht in Winterkleidung – von der Bühne huschen. Man merkt, dass sie es eilig haben, ins Warme zu kommen, nach längerer Probe im bis ins Frühjahr hinein meist zugig kalten Oberammergauer Passionstheater. Die Passion erzählt die Leidensgeschichte Jesu; aber auch die Menschen, die diese Geschichte aufführen, müssen zuweilen leiden. Sie tun es mit Leidenschaft. Sebastian Schultes Fotos fügen sich zu einem Mosaik aus Momentaufnahmen, die von dieser „Passion hinter dem Spiel“ eindrücklich erzählen.

Sebastian Schulte: "Die Passion hinter dem Spiel"
Mit Texten von Anne Fritsch
Verlag Theater der Zeit, Berlin
160 Seiten, 30 Euro

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