Partnerschaft und Liebe im Judentum

Verkuppelt, verlobt, verheiratet

Im Diaspora Museum in Tel Aviv ist eine Skulptur, die eine jüdische Hochzeit zeigt. Die Hochzeitsgesellschaft ist unter einem Traubaldachin,
Diaspora Museum in Tel Aviv: Hochzeit mit Traubaldachin © picture alliance / dpa / Robert B. Fishman / ecomedia
Von Arkadiusz Luba · 18.12.2015
Küssen war einst die Sprache im Paradies und die Liebe ist das Wichtigste in der Welt ist - das sind die Grundthesen im Judentum, wenn es um Partnerschaft geht. Unser Autor Arkadiusz Luba hat zum Thema "Partnerschaft und Liebe im Judentum" in der Schweiz recherchiert, und ist in einer aktuellen Ausstellung im Jüdischen Museum Basel fündig geworden.
Die Hälfte der jüdischen Einwohner der Schweiz heiratet nichtjüdisch. Damit steht die Eidgenossenschaft bekanntlich nicht allein. Für die, die sich doch einen jüdischen Partner wünschen, sind bestimmte Dinge besonders wichtig; für Sigal und Sarah vor allem bei der Erziehung der Kinder:
"Ich lege dann schon Wert darauf, dass sie eine jüdische Erziehung haben; dass sie z.B. in die Religionsschule gehen, dass sie Hebräisch von klein an erlernen. "
Die jüdischen Heiratstraditionen und -rituale sind schon besonders: So etwa wird nur eine jüdische Ehe unter einem Traubaldachin, der Chuppa, geschlossen. Und der Bräutigam samt zwei Zeugen unterzeichnet ein Hochzeitsvertrag, die Ketubba. Darin stehen ausschließlich Pflichten des Bräutigams seiner Frau gegenüber: Dass er sie versorgen muss, mit allem, was sie zum Leben braucht, ihr gesundes Leben und Freude sichert.
Es geht dabei nicht nur um eine Regelung von Beziehungen, meint Gaby Knoch-Mund, Leiterin des Jüdischen Museums der Schweiz in Basel und Kuratorin der dortigen Ausstellung "Gesucht – Gefunden. Partnerschaft und Liebe im Judentum":
"Zu jeder Beziehung und jeder Erfüllung von religiösen Vorschriften gehört auch das Herz dazu. Es gehört das Herz und der Intellekt dazu und in diesem Sinne ist Liebe auch eine Verbindung von beiden Ebenen."
Natürlich nur metaphysisch betrachtet: Während unter der Chuppa die Braut den Bräutigam sieben Mal umkreist, verbinden sich ihre Seelen. Die beiden wachsen zusammen. Die Hochzeit ist vollbracht, nachdem der Bräutigam das Glas – symbolisch stehend für den zerstörten Tempel – zertreten hat.
Die Texte der Hochzeitsverträge haben alte Wurzeln: es gibt sie seit dem Mittelalter. In einer Zeit, wo Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft gelebt haben, wurden ihnen bestimmte Rechte garantiert. Daher ist ein Hochzeitsvertrag für Gaby Knoch-Mund ein wichtiger emanzipatorischer Akt:
"Das Judentum hat erkannt, dass man den Mann verpflichten muss, um die Frau zu schützen. Und darum sind dann in einem Hochzeitsvertrag die Pflichten des Mannes festgelegt. Der Mann muss für den Unterhalt der Frau sorgen. Er muss für ihre Kleidung sorgen. Er muss auch für ihr Wohlergehen sorgen; heißt in einem weiten Sinn, er muss auch eine sexuelle Beziehung zu ihr pflegen; eine Beziehung, die aber auf dem Einverständnis der Frau beruht."
Der Schadchen verkuppelt bei Bedarf
Den Hochzeitsvertrag hat auch Anna. Sie ist deutsch, ist vor mehreren Jahren zum Judentum konvertiert und mit dem Israeli Yuval elf Jahre lang verheiratet. Ihre Hochzeit fand im Norden Israels statt. Mit fünf Kindern leben die beiden aber in der Schweiz. Sie arbeitet im Jüdischen Museum, er ist Kirchenorganist.
"Ich bin so froh, dass ich von seiner Familie, die den Holocaust überlebt hat, hab ich als Deutsche nie irgendwelche Vorwürfe bekommen, von wegen: 'du als Deutsche und du mit deiner Vergangenheit'; da bin ich sofort aufgenommen worden. Ja..., ansonsten im Alltag; es sind schon zwei verschiedene Mentalitäten, die aufeinander stoßen."
Ob es da auch besondere Rollenverteilungen gäbe? – Dazu Annas Mann Yuval:
"Grundsätzlich gibt es diese Arbeitsverteilung im Leben. Aber es ist nicht festgelegt. So zum Beispiel es steht bei der Hochzeitsurkunde, dass der Mann ist verpflichtet, für das Einkommen für die Frau. Man kann sagen, na gut, das heißt, dass die Frau sollte nicht arbeiten. Auf der anderen Seite, wenn die Frau arbeiten kann und möchte und macht das gut und gern, warum sollte sie das nicht machen. Wenn zum Beispiel die Küche ist mein Bereich zu Hause."
Aufgrund der Diaspora mussten sich früher Jüdinnen und Juden meist etwas weiter umschauen, um den passenden Partner zu finden. Bis heute hilft dabei den orthodoxen Juden der Schadchen, der professionelle Heiratsvermittler. Basierend auf seiner Erfahrung, hatte er ein gutes Gespür für Menschen, deren Interessen und Eigenarten. Anhand der gesammelten Informationen verkuppelte er junge Leute, die gut zusammenpassten. Man konnte aber in jedem Moment auch "Nein" sagen. Heute lernen sich die Kandidaten eher durch Freunde oder Familie kennen. Sonst helfen dabei auch jüdische Dating-Internetseiten.
Oder man sucht gar nicht. Die Liebe kommt von allein und bleibt die Liebe des Lebens, wie der homosexuelle Dodi offenbart.
In den Anfangszeiten der elektronischen Übermacht erklärten sich sein künftiger Partner Flori und er ihre Liebe per Fax-Nachrichten. Das war Mitte der 90er-Jahre, als der von moderner Technik faszinierte Flori schrieb:
"Mein Liebster! Könntest du mir heute noch die gelbe Floppy – die gelbe Diskette – an meine Adresse in Paris schicken? Mit Liebe. Dein Flori."
Diese und viele andere Fax-Liebesnachrichten hebt Dodi in einer Schuhbox heute noch auf. Die erste Faxnachricht kam als er noch mit jemand anderem liiert war. Flori hat ein Jahr lang auf ihn gewartet, wie sich Dodi erinnert:
"Wenn ich war frei, er ist einfach gekommen. Das war in die Jüdische Kulturtage damals. Französische Revolution war der Thema und wir haben drei Generationen jüdische Komponisten gebracht aus Frankreich. Und er war der junge Komponist. Er war sehr gut mit schreiben und Worten sowieso und Sprachen. Und er hat sehr viel geschrieben..."
"Er ließ sich verführen und wir gingen in das Haus seiner Mutter,
dort beugte er sich meinem schweren Joch.
Tag und Nacht ich allein war mit ihm.
Ich zog seine Kleider aus – und er zog meine aus,
ich saugte an seinen Lippen – und er hat mich gesäugt."
Homosexuelle haben es im Judentum nicht leicht
Schrieb im 12. Jahrhundert Moshe Ibn Ezra in seinem Gedicht "Das trügerische Rehkalb" über die Knabenliebe. Homosexuelle haben es im Judentum nicht leicht. Vor zwei Jahrzehnten waren gleichgeschlechtliche Ehen in keiner Gemeinde möglich. Diese werden immer noch von den meisten jüdischen Gemeinden abgelehnt. Die Romanze zwischen David und Jonathan sowie die homoerotischen jüdischen Gedichte aus Andalusien – wie das soeben zitierte von Moshe Ibn Ezra – werden gern verschwiegen. Es ist ein langsamer Prozess der gesellschaftlichen Integration und Anerkennung, aber es ändert sich.
Nach sechs Jahren einer gut funktionierenden Beziehung wollten auch Dodi und Flori heiraten. Es ist jedoch anders gekommen, erzählt Dodi sichtlich nachdenklich:
"Manchmal man weiß das irgendwie, dass ist die Liebe deines Leben. In Judentum man sagt, jeder Mensch ist Welt. Ich denke, er war Kosmos dann. Das hat mich auch fasziniert. Er war auf die Grenze zu Genialität. Was das hat geprägt? – Ich denke, es hat mit Kunst und Kultur zu tun: alles hat so gut gestimmt. Ich habe ihm erlaubt meine Familiennamen zu benutzen. Also er wollte seine Namen verändern. Er ist gestorben am Tag, wo... weil..."
Am 26. Oktober 2001 sollte Flori bei der französischen Botschaft seinen neuen Pass mit verändertem Namen abholen...
"Das war dieser Morgen, dass er ist nicht mehr zurückgekommen. Also, Jogging kann sehr gefährlich sein..."
Es gibt kein einziges Rezept für eine glückliche Liebe. Und es gibt unterschiedliche Vorstellungen von ihr, der Ehe und der Sexualität. Und all das ist doch in allen Kulturen ziemlich ähnlich, meint Gaby Knoch-Mund:
"Ich glaube, die jüdische Liebe ist so einfach und so kompliziert, wie christliche oder muslimische, oder säkulare Liebe."
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