Parlamentarische Beobachterin beim 1. FC Magdeburg

Politikerin soll im Stadion Streit schlichten

Fans des 1. Fc Magdeburg bei einem Spiel
Damit es nicht zu Randalen, auch nicht zu überzogenen Maßnahmen seitens der Polizei kommt, hat die Fanhilfe Magdeburg eine parlamentarische Beobachterin eingesetzt © dpa / picture-alliance
Von Christoph Richter · 29.11.2018
Hauptsache in der 2. Liga bleiben, darum geht es den Fans des 1. FC Magdeburg. Wenn auf dem Platz um Tore gekämpft wird, geht es auch auf den Tribünen manchmal zur Sache. Eine parlamentarische Beobachterin soll jetzt im Stadion Konflikte schlichten.
Die Arena in Magdeburg ist ausverkauft. Kurz vor dem Anpfiff der Zweitliga-Begegnung 1. FC Magdeburg gegen Dynamo Dresden singen 23.000 Zuschauer das Magdeburger Lied. Gänsehaut-Feeling. Und: Ein Duell, das schon seit DDR-Zeiten die Massen elektrisiert. Vom "Clásico des Ostfußballs" ist gar die Rede. Nicht nur das: Wenn Dresden und Magdeburg aufeinandertreffen ist es immer auch ein Hochrisikospiel. Bei der letzten Begegnung 2016 – noch in der Dritten Liga – kam es zu massiven Ausschreitungen.

Traditionsreiche Ost-Duelle

"Ost-Duelle sind immer was Besonderes. In der Oberliga waren es schon sehr tolle Duelle", sagt Dieter Hohheisel. Sein Sohn Michael Hohheisel ergänzt: "Das ist eben ein Klassiker. Magdeburg gegen Dresden, das war schon immer was. Und das wird auch heute wieder so sein. Wollen wir hoffen, das Magdeburg die drei Punkte holt."
Vater und Sohn gehen schon seit Jahrzehnten ins Stadion. In guten wie in schlechten Zeiten, erzählen sie. Und sie können noch die Helden ihrer Jugend aufzählen, ohne groß nachzudenken.
"Pommerenke, Steinbach, Tyll, Seguin, Streich, Hoffmann, Sparwasser, Heyne als Torwart, Zapf als Libero. Waren schon tolle Fußballer."
Doch jetzt hoffen sie erstmal, dass es ruhig bleibt. Die Rivalität der beiden Vereine hat seine Ursprünge in den 1970er Jahren. Einerseits weil Dynamo Dresden immer der Verein der Staatssicherheit, der Volkspolizei war; der 1. FC Magdeburg dagegen wurde durch den Schwermaschinenbau finanziert. Weshalb man in Magdeburg immer den Nimbus des Arbeiterclubs vor sich her trägt, bis heute. Andererseits spielten beide Vereine den attraktivsten Fußball in der DDR, feierten entscheidende Siege auf dem Platz des Gegners.

Fans versus Polizei

Damit es nicht zu Randalen, auch nicht zu überzogenen Maßnahmen seitens der Polizei kommt, hat die Fanhilfe Magdeburg – eine Selbstorganisation der Fans – eine parlamentarische Beobachterin eingesetzt. Bundesweit – wenn nicht gar weltweit – einmalig. Thomas Gürke, Anwalt der Fanhilfe, erklärt:
"Es sollte eine unabhängige Instanz sein, die da mal draufschaut. War ja so in der Vergangenheit, dass da sehr oft verschiedene Anschauungen von derselben Sache existierten. Die Polizei hat immer von Provokationen von der Fanseite gesprochen, die Fans haben umgekehrt immer von Provokationen durch die Polizei gesprochen. Da denken wir, ist es ganz gut, wenn sich das jemand anschaut, der da nicht auf einer Seite steht."
Er beobachte seitens der "Gefahrenabwehrbehörden", wie Gürke wörtlich sagt, einen rigiden Umgang nicht nur mit den eigenen, sondern auch mit den Auswärtsfans.
"Allein die Anfahrt, die da organisiert bzw. weniger organisiert wird. Die Fans müssen an einem entfernten Bahnhof aussteigen, wo sie dann einen langen Weg zum Bahnhof haben. Wo sie dann Umwege gehen müssen. Die Einlasskontrollen sind sehr rigide, was wir zumindest festgestellt haben."
Kristin Heiß ist Landtagsabgeordnete der Linken im Magdeburger Landtag und diskutiert die Lage mit der Polizei. Sie trägt eine neon-gelbe Warnweste. Hinten drauf steht "Parlamentarische Beobachterin". Ihr Auftrag: Bei Problemen zwischen Fans, Verein und Polizei zu vermitteln. Denn das Verhältnis sei nicht das Beste, sagt sie mit ernster Miene.
"Ich fühle mich nicht instrumentalisiert, ich sehe mich als neutrale Beobachterin. Natürlich weiß ich, dass die Polizei bestimmte Ansätze hat, dass die Fans sensibel sind. Aber das ist die Aufgabe als neutrale Beobachterin sich selbst ein Blick zu verschaffen. Und das tu ich."
Es wirkt so, als sei Politikerin Heiß im Nahen Osten in einer UNO-Friedensmission unterwegs. Zur Erinnerung: Es geht um ein Fußballspiel zwischen dem 1. FC Magdeburg und Dynamo Dresden.
Fans des 1. FC Magdeburg im Stadion
Auch nach 14 Begegnungen hat Magdeburg in der 2. Bundesliga noch immer keinen Heimsieg erlangt.© Deutschlandradio / Christoph Richter
Die 35-jährige Kristin Heiß ist überall im Stadion unterwegs – auch bei den Gästefans. Die gelangen über ein schmales Laufgatter in das Stadion, so als ob man Raubtiere in die Manege führt. Der Einsatz der parlamentarischen Beobachterin ist ein durchaus diffiziles Unterfangen. Als begleitender Journalist wird man schnell angepöbelt, angerempelt. Kristin Heiß lächelt nur. Und steht im intensiven Kontakt mit den Polizeibehörden. Hauptsächlich mit dem Magdeburger Polizeisprecher Frank Küssner.
"Klar ist es ein Hochsicherheitsspiel für die Polizei, begründet durch die jahrelange Fan-Feindschaft. Und auch vor dem Hintergrund der Ereignisse beim letzten Aufeinandertreffen beider Vereine. Aber ich denke, die Polizei ist gut vorbereitet. Wir haben eine angemessene Zahl von Polizisten im Einsatz: Mehrere Hundertschaften aus ingesamt vier Bundesländern. Gleichwohl hoffen wir, dass es einen friedlichen Verlauf nimmt."

Massive Ausschreitungen bei der Aufstiegsfeier

Ende April diesen Jahres ist der Verein von der Dritten in die Zweite Liga aufgestiegen. Für viele Fans ging damit ein langersehnter Traum in Erfüllung. Im Rahmen einer spontanen Aufstiegsfeier auf dem zentral gelegenen Magdeburger Hasselbachplatz - sorgten die Anhänger des 1. FC Magdeburg dann für bundesweite Schlagzeilen. Es kam zu massiven Ausschreitungen, mit zum Teil gewaltbereiten Hooligans aus der rechten Szene, wie Rechtsextremismus-Experten beobachtet haben. Doch von einer organisierten rechtsradikalen Magdeburger Fan-Szene könne nicht die Rede sein, sagt Fabian Mußél. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für internationale und interkulturelle Bildungsforschung an der Universität Magdeburg. Und Öffentlichkeitsarbeiter bei der Fanhilfe.
"Es gab Gruppierungen, ja. Und es gibt noch Fans, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind. Weiter will ich darauf gar nicht eingehen. Ich glaube, das der 1. FC Magdeburg kein dezidiertes Problem hat, mit rechtsgerichteten Fans. Es ist eben ein gesellschaftlicher Spiegel. Und das zu verleugnen, das Sachsen-Anhalt auch ein Land ist, wo es gewisse politische Kontroversen gibt, bei 24 Prozent AfD. Dass sich das nicht im Fußballstadion nicht wiederspiegelt, das wäre töricht anzunehmen. Das ist eben so."
Demgegenüber stehen Einschätzungen des Magdeburger Innenministeriums. Dort beobachtet man, dass sich die Zahl der Magdeburger Problem-Fans seit Jahren deutlich erhöht. Zur genauen Ursache jedoch, lägen den Ermittlungsbehörden keine Erkenntnisse vor, heißt es. Nach unseren Recherchen hat das sachsen-anhaltische Landeskriminalamt Kenntnis von 343 gewaltbereiten Fans, doch ob sie nur auf Durchreise waren oder aus Sachsen-Anhalt kommen, dazu gibt es keine Informationen.

Die Partie endet friedlich

Im Stadion haben Fans des 1. FC Magdeburg Fahnen des Gegners aus Dresden verbrannt. Am Ende blieb es aber ruhig. Das auch daran lag, weil die Partie schiedlich friedlich 2:2 ausging. Für den 1. FC Magdeburg zu wenig. Denn die lang-ersehnte Zweitliga-Saison läuft mehr als holprig. Gerademal 9 Punkte nach 14 Begegnungen hat der 1. FC Magdeburg auf dem Konto. 17. Tabellenplatz. Am Ende der Saison würde das den Abstieg bedeuten.
Weshalb man vor zwei Wochen die Notbremse gezogen und den bei den Fans äußerst beliebten Trainer Jens Härtel rausgeschmissen hat. Er hat den Verein aus den Tiefen der 4. Liga geführt, als er noch gegen Meuselwitz, Plauen oder Neustrelitz ging. Doch nun heißen die Gegner St. Pauli, Köln oder HSV. Mit dem neuen Trainer Michael Oenning soll alles anders werden, hofft Mario Kallnik, früher war er Spieler im Verein, jetzt ist er Manager des 1. FC Magdeburg.
"Ich glaube, das ist ganz deutlich. Wir sind noch gar nicht richtig angekommen in der Zweiten Liga. Weil wir nicht wissen, wie es ist zu gewinnen."

Jetzt hat sich auch noch Joachim Streich in die Debatte um die sportliche Zukunft des 1. FC Magdeburg eingemischt. Ein Idol, der "Gerd Müller des Ostens". 55 Tore in 102 Länderspielen, viermaliger Torschützenkönig der DDR-Oberliga. Und Ehrenmitglied des 1. FC Magdeburg. Er sagt: "Die Art und Weise unseres Spiels war in der Dritten Liga erfolgreich. Mit vielen langen Bällen. So haben wir viele Spiele gewonnen. In der Zweiten Liga ist der Gegner stärker, ist die individuelle Klasse besser. Die Mannschaften spielen sich frei, da haben wir Defizite."

Joachim Streich galt als "Gerd Müller des Ostens"

1983 schwärmte eine englische Fachzeitung, dass Joachim Streich eigentlich den Titel Europas Fußballer des Jahres verdient hätte. Heute sitzt er regelmäßig auf der Tribüne seines Heimatclubs, ansonsten trifft man ihn in seinem kleinen Haus, in einer Kleinstadt bei Magdeburg. Adiletten, schwarze Jogginghose, rotes Polo-Shirt. Joachim Streich sagt: "Und jetzt wieder der Abstieg – was wir alle nicht hoffen – das wäre eine Katastrophe für den FCM."
Denn der 1. FC Magdeburg ist nicht irgendein normaler Verein im Osten. In seinen Annalen ist ein Erfolg verbucht, der auch zur Bürde werden kann. Zur Erinnerung: 1974 gewinnt der 1. FC Magdeburg – als einzige Clubmannschaft der DDR überhaupt – einen Europapokalsieg. Gegen keinen Geringeren als den AC Mailand, der damals vom noch 35-jährigen Giovanni Trappatoni trainiert wird.
Zurück in die Gegenwart, zurück ins Jahr 2018. Jedes Spiel in der Zweiten Liga ist für den 1. FC Magdeburg ein Hochamt. Doch damit könnte es im Frühjahr nächsten Jahres vorbei sein. Weshalb jetzt schon die Ersten von einem neuen Fußballwunder an der Elbe träumen: Dem Klassenerhalt.

(Onlinefassung/mw)
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