Paralympics-Werbespot

"Übermenschen, die ihre Behinderung überwinden"

10:13 Minuten
Filmstill aus der Kampagne "Choose hard. Never easy" vom Team Deutschland Paralympics. Zu sehen sind zwei fechtende Personen im Rollstuhl auf der Planche in einem historischen Saal.
Keine Opfer, sondern Helden: Die Kampagne stelle behinderte Sportler stereotyp dar, findet Rebecca Maskos. © Screenshot: Deutscher Behindertensportverband / Creative Cosmos 15
Rebecca Maskos im Gespräch mit Massimo Maio · 23.08.2021
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Zum Start der Paralympics unterstreicht eine Videokampagne mit Sportlerinnen und Sportlern des deutschen Teams: Behinderte Athleten machen keine Reha, sie betreiben Leistungssport. Die Journalistin Rebecca Maskos sieht die Darstellung auch kritisch.
Mit Werbespots zu den am Dienstag startenden Paralympics in Tokio sorgt der Deutsche Behindertensportverband für Aufsehen: Mit schnellen Schnitten und untermalt von Klängen des Rammstein-Songs "Ich will" zeigt die Kampagne, wie hart die Athletinnen und Athleten trainieren – und wie wichtig ihnen Erfolg ist: "Ich will in die Leichtathletik-Geschichtsbücher gehen", sagt ein Sportler in dem Clip, "Wir wollen nicht noch mal ein Finale verlieren", sagt eine andere Athletin.
Wie Behindertensport hier dargestellt wird, habe "definitiv eine neue Qualität", findet die Journalistin und Disability-Forscherin Rebecca Maskos. So etwas habe man im deutschen Kontext noch nicht gesehen. Es sei dynamisch, ästhetisch ansprechend, habe auch viel Pathos und wirke mit der Härte des Rammstein-Sounds auch "ein bisschen teutonisch", so Maskos. "Man soll sehen: Hier geht es nicht um Reha oder um Therapie", sagt sie, sondern dass ernst zu nehmende Sportler am Werk seien.

Stereotyp des behinderten Helden

Produziert wurde die Kampagne von der Agentur Creative Cosmos 15 von Joko Winterscheidt und Matthias Schweighöfer. Sie habe den Kampf in den Vordergrund der Inszenierung gestellt, sagt Maskos: "Es geht hier nicht um Charity, sondern um harte Typen." Damit entscheide sich die Agentur aber auch für eine stereotype Darstellung behinderter Menschen als "Superhelden", die man aus der Inszenierung von Behindertensport bereits kenne: Man wolle sich vom Opfer-Narrativ und der Vorstellung, dass eine Behinderung etwas Pathologisches sei, distanzieren, greife dafür aber auf das entgegengesetzte Klischee des Helden zurück.
"Man sieht hier Übermenschen, die im Grunde ihre Behinderung überwinden", sagt die Journalistin. Das habe ein stärkendes Moment und etwas Machtvolles, gehe aber ein bisschen über das Ziel hinaus. Und die verbreitete Annahme, dass behinderte Menschen bestimmte Dinge nicht könnten, laufe im Subtext der Kampagne auch noch mit.
In der Kampagne sehe man die Athleten als "Prototyp des neoliberalen Subjekts", das über sich selbst hinauswachse, so Maskos. Die Botschaft an Menschen mit und ohne Behinderung sei: Wenn man sich anstrenge, könne man alles schaffen. Die Motivation hinter dieser Darstellung sei nachvollziehbar, die Botschaft dennoch zweischneidig.

Körperliche Optimierung durch Technik

Die in der Kampagne gezeigten Sportlerinnen und Sportler haben Technik, die sie mitunter wie Maschinenmenschen wirken lässt. Das sei Teil der Faszination der Paralympics und für manchen auch ein Versprechen, sagt die Journalistin: "Wenn man Behinderung mit Technik verbindet, dann ist das nicht nur Kompensation, sondern das ist eine Optimierung."
Das sei für Athleten eine Form, mit einer Behinderung umzugehen, gehe aber leider an der Realität des Lebens mit Behinderung vorbei, betont Maskos: "Die meisten Hilfsmittel, Prothesen, Rollstühle optimieren uns nicht." Das wollten viele behinderte Menschen auch gar nicht, sondern einfach eine Unterstützung ihres Alltags. "Und vor allen Dingen wollen wir natürlich Barrierefreiheit. Wir wollen nicht alle unbedingt ein Exoskelett, sondern wir hätten es viel lieber, dass öfter mal Fahrstühle angebracht werden."
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