Partner der Taliban?
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Was im Westen als Katastrophe empfunden wird, ruft woanders Jubel hervor. Nicht nur China, Russland, die Hamas oder die Hisbollah begrüßen die Machtübernahme der Taliban. Auch Pakistan und Iran stellen eine Zusammenarbeit mit der neuen Regierung in Aussicht.
"Wir gratulieren unseren Brüdern, dem afghanischen Volk, zu dem klaren Triumph und dem klaren Sieg über die Besatzungsmacht. Und wir gratulieren der Gemeinschaft aller Muslime dazu, dass Gott sein Versprechen erfüllt hat. Es mögen weitere Siege folgen."
Diesen Glückwunsch twitterte der Obermufti des Sultanats Oman an die Freunde in Afghanistan gleich nach der Machtübernahme. Der siegreiche Kampf gegen den gemeinsamen Feind, die USA, schweißt die Gemeinschaft der Muslime zusammen. Allerdings nicht überall gleichermaßen. Denn Länder wie Pakistan und Iran haben ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zu den Taliban.
Pakistan: "Die USA haben das komplette Chaos angerichtet"
Der pakistanische Premier Imran Khan beglückwünschte die Taliban zwar ebenfalls dafür, dass die "Ketten der Skalverei" durchbrochen seien. Im US-Fernsehen sagte er:
"Die USA haben in Afghanistan das komplette Chaos angerichtet. Man hat nach einer militärischen Lösung gesucht, dabei gab es diese Option überhaupt nie. Leute wie ich, die das immer gesagt haben und die die Geschichte Afghanistans gut kennen, wurden als antiamerikanisch beschimpft, ich wurde als Taliban-Freund bezeichnet."
Ob Freund oder Feind der Taliban, das sei noch nicht ausgemacht, meint Haznain Kazim – er war jahrelang Korrespondent für den Spiegel in Pakistan und ist auch familiär mit Pakistan verbunden.
"Pakistan hat eine Doppelrolle. Einerseits stammen die Taliban historisch gesehen aus dem Grenzgebiet in Pakistan, dort entstanden Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre mit Unterstützung der USA Tausende Koranschulen und dort sind religiöse Kämpfer erzogen worden. Und aus einem Teil davon entstanden dann die Taliban."
Andererseits war Pakistan immer wieder Ziel von Anschlägen der Taliban, weil sich das Land nach dem Einmarsch der USA auf die Seite der US-Amerikaner geschlagen hat.
Pakistan will keine weiteren Flüchtlinge
Die neue Situation bringt einerseits Erleichterung, weil die US-Truppen außer Landes sind und aus pakistanischer Sicht damit eher eine Befriedung der Region erreichbar ist. Andererseits verliert Pakistan damit auch einen möglichen "Hinterhof". Denn der Erzfeind Indien ist für Pakistan viel wichtiger als die Taliban und im Falle eines Angriffs wäre Afghanistan Rückzugsgebiet.
Falls die Taliban mit so harter Hand regieren wie vor 20 Jahren, wird außerdem eine weitere Flüchtlingswelle befürchtet.
"Derzeit leben Flüchtlinge aus Afghanistan bereits in der dritten Generation in Pakistan, sie sind damals geflüchtet, als die Sowjets einmarschierten. Es gibt unzählige Flüchtlingslager, die international finanziert werden."
Mehr Flüchtlinge sollen nicht kommen, im Gegenteil, man will, dass die Flüchtlinge im Land wieder zurückgehen nach Afghanistan.
Zurzeit ist die Lage an der Grenze dramatisch, weiß Hazain Kazim:
"Da gibt es Szenen, die sind schlimmer als die vom Kabuler Flughafen. Da gibt es Schießereien, da gibt es Tote. Man will die Afghanen nicht reinlassen."
Iran taktiert und gibt sich pragmatisch
Das Nachbarland Iran hat bereits drei Millionen afghanische Flüchtlinge aufgenommen. Auch dort heißt es: Mehr sollen es keinesfalls werden. Es gibt Ressentiments und Rassismus gegenüber den bereits in Iran lebenden Afghanen.
Die Regierung ist nun bemüht, den Taliban offen gegenüberzutreten. Der Sprecher des iranischen Außenministeriums formulierte das so:
"Die Menschen in Afghanistan sind Teil unseres Kulturkreises, wir sind sehr eng miteinander verbunden, deshalb unterstützen wir sie mit nachbarschaftlichem Rückhalt. Natürlich ist unsere Erwartung an alle Beteiligten in Afghanistan, dass sie die Leben, das Eigentum und die Ehre der Menschen respektieren. Alle Hilfe muss jetzt darauf ausgerichtet sein, dass die Menschen in ihrer Heimat in Ruhe leben können."
Stabilität in Afghanistan ist für den Iran nicht nur wegen der Flüchtlingsfrage wichtig. Iran-Expertin und Kollegin Stefanie Rohde glaubt, es geht um viel mehr: die Stärkung der Schiiten in der Region, die Bekämpfung des IS, die wirtschaftlichen Beziehungen.
"Unter den US-Sanktionen leiden der Iran und die Taliban, hier gibt es Möglichkeiten der Kooperation. Iran war bisher Afghanistans größter Wirtschaftspartner. Iran liefert bereits wieder Treibstoff an die Taliban und kommt somit vermutlich an neue Dollar, womit dann wieder Dinge bezahlt werden können, die importiert werden müssen. Iran will damit auch verhindern, dass die Taliban ausschließlich auf Mohnanbau setzen, also Drogenhandel betreiben. Denn Iran hat ein massives Drogenproblem und will keine weitere Kriminalität an der Grenze."
Katar will als Vermittler auf die internationale Bühne
Das kleine Katar inszeniert sich zurzeit als internationaler Mediator. Seit 2013 gibt es bereits ein Büro der Taliban in der Hauptstadt Doha, dort geben sich gerade internationale Vermittler die Klinke in der Hand. Katar unterstützt die Taliban, nimmt aber andererseits auch Ortskräfte westlicher Regierungen auf und beherbergt eine US-Militärbasis.
"Ich glaube, dass Katar davon ausgegangen ist, dass es einen grundsätzlichen Wandel in der Region geben wird", sagt Korrespondent Jürgen Stryjak. "Katar will diesen Wandel aktiv mitgestalten, als unabhängiger Akteur. Die Rolle des erfolgreichen Vermittlers ist auch eine Art Existenzberechtigung für den kleinen Golfstaat."
Saudi-Arabien pocht eigentlich auf eine Vormachtstellung in der Golfregion, hält sich derzeit aber zurück. Die vermeintliche Gemeinsamkeit mit den Taliban – strikte und erzkonservative Auslegung des Koran – wird immer schwächer, da Saudi-Arabien diverse Öffnungsschritte durchgeführt hat.
"Frauen dürfen Auto fahren, man darf Kinos betreiben, es finden Pop-Konzerte statt – das sind langsame Schritte, aber damit bewegt man sich Saudi-Arabien doch deutlich von ultrakonservativen, radikalen Gruppierungen wie den Taliban weg," glaubt Stryjak.
Die Länder der arabischen Welt eint aber derzeit auch der gemeinsame Feind. Die USA sind besiegt von den Taliban – das wird bewundert.
"Das ist ein beunruhigender Aspekt", findet Jürgen Stryjak. "Jetzt könnte es passieren, dass die islamistische Szene inspiriert wird. Radikale Einflüsse könnten sich verstärken."