Otto Wagner vor 175 Jahren geboren

Großbaumeister des technischen Zeitalters

Die Österreichische Postsparkasse in Wien, entworfen von otto Wagner
Die Österreichische Postsparkasse in Wien, entworfen von Otto Wagner © imago/UIG
Von Beatrix Novy  · 13.07.2016
Die Bauten von Otto Wagner prägen die Stadt Wien und repräsentieren dort die Epoche des Fin de Siècle um 1900. Der Jugendstilarchitekt baute kräftig an der Infrastruktur der damaligen k.u.k.-Metropole mit. Seine Stadtbahn-Haltestellen beispielsweise sind unverändert erhalten.
Berühmte Architekten hatten es selten so leicht, wie man es sich hinterher vorstellt. Otto Wagners monumentale und doch wunderbar heitere Bauten repräsentieren im Wiener Tourismus-Marketing die stolz gehegte Epoche des Fin de Siècle. Um 1900 wurden sie bewundert, aber auch erbittert bekämpft. Und das 20. Jahrhundert wusste lange nicht recht, welchen architekturhistorischen Platz es diesem Großbaumeister zuweisen sollte: geboren am 13. Juli 1841 im idyllisch-biedermeierlichen Penzing vor Wien; gestorben 1918, als technikgewisser Konstrukteur einer modernen Metropole.
Otto Wagners vermögende Mutter hätte ihn gern als Juristen gesehen, stattdessen brillierte der Sohn am Polytechnikum. 1861 wurde er an der Wiener Akademie für bildende Künste Schüler von August Siccard von Siccardsburg und Eduard van der Nüll, beide ausgewiesene Architekten des tonangebenden Historismus.
"Der Siccardsburg , der van der Nüll
die haben beide keinen Styl
Ob griechisch, gotisch, Renaissance
das ist denen alles aans."
Anders als der Wiener Volksmund stand Otto Wagner immer zu seinen Lehrern, auch als er selbst längst keine Bauaufträge mehr in griechisch oder Renaissance realisierte und ärgerlich den historistischen Standpunkt kritisierte:
"Der in dem unverrückbaren Postulate kulminierte: Kirchen und Rathäuser können nur gotisch, Parlamente und Museen nur griechisch und Wohngebäude nur in dem Stile der Renaissance etc. gebaut werden."

Wagner rege Stadtentwicklungs-Projekte

Otto Wagners Karriere hatte glückhaft begonnen, im beispiellosen Bauboom der neu errichteten Wiener Ringstraße mit ihren Pracht- und Repräsentationsbauten. Er wurde selbst, was man heute einen Immobiliendeveloper nennt, baute und verkaufte Mietshäuser, nahm an Wettbewerben für öffentliche Projekte teil, regte Stadtentwicklungs-Projekte an, publizierte seine theoretischen Reflexionen. In ihnen nahm er zunehmend Positionen der beginnenden Moderne ein. Form? Entsteht erst aus Zweck, Material und Konstruktion.
"Alles modern Geschaffene muss dem neuen Materiale und den Anforderungen der Gegenwart entsprechen, wenn es zur modernen Menschheit passen soll."
"Wagner selbst, könnte man sagen, war ein gemäßigter Moderner, er war sehr modern, revolutionär sogar, wenn es um den Einsatz neuer Baumaterialien gegangen ist", so der Wiener Bauhistoriker Wolfgang Förster. Mit dem Begriff "gemäßigte Moderne" lässt sich heute die Haltung etlicher Architekten erfassen, die dem Siegeszug von Bauhaus und Co. vorausgingen. Dass er Stahlbeton und Aluminium einsetzte, hinderte Otto Wagner nicht daran, an bestimmten Bautraditionen festzuhalten.
"Aber er hat immer auch diese aus dem Historismus übernommene klassische Fassadengestaltung, er hat Symmetrie, Axialität."
Merkmale, die vor allem in Wagners immer noch Wien-prägenden Großprojekten fortleben: seine Stadtbahn-Stationen, weiß und charakteristisch hellgrün; die Schleusenanlage am Donaukanal; die atemberaubende Postsparkasse, bis zum letzten Lichtschalter durchgeplantes Gesamtkunstwerk; die Kirche der psychiatrischen Anstalt Steinhof.
"Das ist dieser sehr großstädtische Maßstab, das ist die Bewältigung großer Baumassen, monumentaler Bauwerke bei gleichzeitiger Beachtung eines menschlichen Maßstabs."

Wiener Moderne

Wagner gehört in den Kreis der Wiener Moderne, die in Kunst und Wissenschaft den Aufbruch suchte. Er, der daheim in einer gläsernen Wanne badete, trat, wie seine Freunde Gustav Klimt, Joseph Maria Olbrich oder Josef Hoffmann, der 1897 gegründeten progressiven Künstlervereinigung des Wiener Jugendstils bei, der Sezession. Das war den Wienern zu revolutionär; viele seiner Projekte wurden fortan abgelehnt, seine Jugendstil-Häuser auf der Wienzeile verlästert.
Heute fehlen die Wienzeilen-Häuser mit ihrer streng gegliederten Fassade, den Majolikafliesen und den Ornamenten des Sezessionskünstlers Koloman Moser natürlich in keinem Reiseführer. Otto Wagner würde es nicht wundern. Auch in seinen letzten Jahren, schwer getroffen vom Krieg und vom Tod der abgöttisch geliebten Ehefrau, hatte er keinen Moment aufgehört, im Geiste die zeit- und menschengemäße Großstadt zu entwerfen.
"Eines aber wird unbedingt bei jeder Großstadtregulierung zur Hauptsache werden müssen: Kunst und Künstler zu Worte kommen zu lassen, und die Macht des Vampyrs ‚Spekulation‘, der heute die Autonomie der Großstädte beinahe illusorisch macht, auf das Engste einzudämmen."
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