Innenarchitektur

Sehr sparsame oder einfache Möbel

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Auf der Suche nach Inspirationen für die Innenarchitektur bei Richard Neutra © dpa picture alliance
Moderation: Britta Bürger · 20.02.2014
Die Möbelentwürfe des Architekten Richard Neutra gehören zu den wichtigen Größen der modernen Architekturgeschichte. Einige Stücke legt der Möbel-Unternehmer Thomas Müller nun wieder auf. Seine Idee dabei: Die Sehnsucht der Menschen befriedigen, nach einem "vererbbaren Möbelstück".
Britta Bürger: Seine lichtdurchfluteten Villen in Kalifornien, die haben schon so manchem Hollywoodfilm als imposante Location gedient – Richard Neutra gehört zu den wichtigen Größen der modernen Architekturgeschichte. Wie Walter Gropius und Mies van der Rohe hat auch er nicht nur Häuser entworfen, sondern gleich die Möbel dazu. Und diese Stühle, Sessel und Tische hat ein baden-württembergischer Schul- und Büromöbelhersteller jetzt wiederentdeckt. Der Möbel-Unternehmer Thomas Müller ist Geschäftsführer des Familienunternehmens Vereinigte Spezialmöbelfabriken im baden-württembergischen Tauberbischofsheim. Dort hat er auch ein kleines Schulmöbelmuseum aufgebaut. Herr Müller, schönen guten Tag!
Thomas Müller: Guten Tag, Frau Bürger, hallo!
Bürger: Ihre Familie hat sich seit über 100 Jahren auf Schul- und Büromöbel spezialisiert. Auch die berühmten Kufenstühle aus meiner Schulzeit, die stammten aus Ihrer Fertigung. Wie sind Sie jetzt an die Möbelentwürfe von Richard Neutra gekommen? Haben Sie da gezielt gesucht oder zufällig gefunden?
Müller: Da ist es mir ein bisschen so gegangen wie Picasso, der sagte ja auch: "Ich suche nicht, ich finde." Das Suchen ist schwierig. Und da hat man dann, wenn man das mit der Brechstange gewissermaßen erledigen will, meistens kein Glück. Aber wenn man mit offenen Augen sich umsieht, was es so alles gibt, dann kann man eben gelegentlich 'mal was finden. Aber es ist natürlich sehr, sehr selten, dass man einen Bestand an klassischen Möbeln findet, der brachliegt, der eigentlich gar nicht in Produktion umgesetzt wurde.
"Entwürfe, die nicht modisch sind"
Bürger: Wie sind Sie drauf gestoßen?
Müller: Wir exportieren relativ viel Möbel nach Kalifornien, also auch nach Los Angeles, und dort hat Richard Neutra auch ganz fantastische Schulen gebaut. Und wir haben uns dann einfach einmal mit seinem Sohn Dion Neutra getroffen, und siehe da: Dion Neutra hatte schon mal in den 70er Jahren versucht, in einer kleineren Firma, die in Italien beheimatet war, dass Erbe seines Vaters wieder in Produktion zu bringen, aber die Firma war einfach nicht groß genug und hatte nicht genügend Kapital, um das dann auch tatsächlich umzusetzen.
Bürger: Richard Neutra ist 1970 gestorben, sein Sohn ist selbst Architekt. Was hat Sie jetzt an diesen 70, 80 Jahre alten Entwürfen besonders fasziniert?
Müller: Das sind Entwürfe, die nicht modisch sind, es sind Entwürfe, die nicht rufen: Hallo, hier bin ich. Sondern die sich sehr zurückhalten, aber eine unwahrscheinlich starke, sehr schöne Formensprache haben, überraschend auch heute noch eben frisch und lebendig wirken. Neutra hat in der Hinsicht vielleicht noch ein besonders breites Werk an Möbeln geschaffen, da sie in sich auch noch mal sehr unterschiedlich sind. Es gibt ja Möbeldesigner, die erkennt man sofort wieder. Bei Neutra ist die Vielfalt eben auch überraschend. Und ich habe dann, nachdem ich den Kontakt mit Dion Neutra geknüpft hatte, mir die Zeit genommen, so möchte ich sagen, um in die UCLA zu gehen, das ist die amerikanische Universität, die Neutras Nachlass beherbergt, und hab dann noch weitere Skizzen ausgegraben von Richard Neutra. Skizzen von Möbeln, von denen es nicht mal Prototypen gab, oder die sehr wahrscheinlich gar nie produziert wurden zu Richard Neutras Zeiten.
Bürger: Er war ja gebürtiger Österreicher, ist in den 1920er-Jahren in die USA ausgewandert, beeinflusst von Otto Wagner und Adolf Loos, aber auch von Erich Mendelsohn und Frank Lloyd Wright – für wen hat er seine Möbel entworfen? Auch für Schulen?
Müller: Ja, er hat in der Tat auch Skizzen gemacht, wie er sich die Schuleinrichtung vorstellt und war da auch sehr, sehr fortschrittlich, weil er diese starren Schulbänke, die damals überall noch Usus waren, radikal abgelehnt hat. Aber er hat seine Wohnmöbel, mit denen wir uns jetzt befassen, die hat er eigentlich ausschließlich für seine Häuser und für seine Klienten entworfen. Letzten Endes wollte, Sie erwähnten ja schon Gropius oder Mies van der Rohe – er wollte eigentlich immer ein Gesamtkunstwerk schaffen, und zwar sowohl das Bauwerk entwerfen, aber eben auch die komplette Inneneinrichtung.
Bürger: Und was sind das für Objekte? Können Sie die Idee vielleicht mal umreißen an einem Beispiel wie dem berühmten Boomerang Chair oder dem Camel Table?
Müller: Jetzt haben Sie zwei ziemlich extravagante Stücke auch herausgesucht. Der Boomerang Chair, das war eine Idee in den 40er-Jahren, also in der Kriegszeit beziehungsweise Nachkriegszeit, wo eben auch in den USA Geld und Material knapp war. Und da hat Richard Neutra eine Idee gehabt, wie man eben aus einfachen Sperrholzplatten, die man als Boomerang aussägt, und mit ganz einfachen Stäben, nach der Art eines Selbstbaukits sich einen Sessel selber zusammenbauen kann, weil die Einzelteile auch relativ leicht handwerklich herzustellen sind.
Das Design nur vorsichtig ändern
Bürger: Anspruchsvolles Ikea?
Müller: Das war mal die ursprüngliche Idee. Aber wie bei vielen Entwürfen, die eben auch gedacht waren als sehr sparsame oder einfache Möbel – wenn man sie dann eben wirklich qualitativ auf einem guten Niveau produzieren möchte, werden sie dann eben doch letzten Endes relativ teuer.
Bürger: Und der Camel Table? Ich habe gelesen, dazu inspiriert ihn tatsächlich ein Kamel, das sich hinsetzt, das seine Beine einklappt.
Müller: Ja, genau. Das ist ein Klappmechanismus, der für sich gesehen, auch einzigartig ist, weil es den sonst nicht gibt. Die Idee zu dem Camel Table entstand eben auch in der Kriegs- respektive Nachkriegszeit. Richard Neutra wollte eben einen Tisch entwerfen, an dem man als Esstisch sitzen kann, also etwa in der Höhe 72 Zentimeter, bei dem man aber auch die Beine, wie beim Kamel, nach innen einklappt, sodass er dann auf Coffee-Table-Höhe benutzt werden kann. Und damit hatte eben Richard Neutra den Gedanken, dass in engen Platzverhältnissen dieser Tisch verschiedene Funktionen ausführen kann.
Bürger: Vom Schulbankfabrikanten zum Hersteller von Designermöbeln – Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Unternehmer Thomas Müller, der die Möbel des Architekten Richard Neutra wiederentdeckt hat. Sie sagen Richard Neutra, manche sagen, manche so, Österreicher, Amerikaner. Sie haben, Herr Müller, jetzt für insgesamt 25 verschiedene Sessel, Stühle und Tische die Exklusivrechte bekommen. Kann man diese zum Teil 70 Jahre alten Entwürfe denn heute tatsächlich genau so bauen, oder mussten Sie auch Dinge überarbeiten und an die heutige Zeit anpassen?
Müller: Also man muss da sehr, sehr vorsichtig sein, wenn man das Design ändert. Denn der Eingriff in die Dimensionen verfälscht natürlich den ursprünglichen Entwurf oder kann ihn verfälschen. Wir haben aber kleinere Anpassungen gemacht, die auch sicherlich Richard Neutra gutgeheißen hätte, einfach weil beispielsweise Menschen heute einfach größer sind als in den 30er- und den 40er-Jahren. Da haben wir beispielsweise einen Freischwingerstuhl, jetzt nicht nur in 42 Zentimeter Höhe im Angebot, was zu niedrig wäre, um am Konferenztisch oder am Seminartisch zu sitzen, sondern den machen wir dann auch mit 46, 47 ungefähr Zentimeter Höhe. Es sind ja Polster, die ein bisschen nachgeben. Und wir mussten natürlich auch die Produkthaftung, die heute ja viel, viel strenger ist als damals, die mussten wir natürlich berücksichtigen, das heißt, im Hinblick auf Festigkeit, auf Überbeanspruchung, dass das Möbel eben auch eventuellen Unfällen standhält. Da haben wir sehr, sehr viel Arbeit und Mühe reingesteckt. Und da ist es dann schon ein kleines Kunststück, ohne eben die Dimensionen, ohne das äußere Erscheinungsbild zu ändern, dass man das eben hinbekommt.
Bürger: Das heißt, das sind noch Neutra-Originale?
Müller: Das sind noch Neutra-Originale, wobei bei den Skizzen eben sehr, sehr viele Maße fehlen, und dann braucht man eben doch eine Menge Möbelerfahrung, um die fehlenden Maße in den Proportionen wieder richtig zu finden. Und da haben wir auch sehr, sehr viel rumexperimentiert und Dion Neutra zweimal nach Deutschland eingeladen, um zu überprüfen, auch mit seinem Auge, ob wir da auf einem richtigen Weg sind.
Bürger: Erstmals vorgestellt wurde Ihre Serie im Januar auf der Möbelmesse in Köln. Ab heute wird sie in Los Angeles im dortigen Architecture-and-Designmuseum präsentiert. Wie kommt es denn, dass solche Designklassiker heute wieder so enorm begehrt sind?
Müller: Ich glaube, dass eine große Sehnsucht auch bei vielen Menschen da ist nach einem Möbelstück, was einfach auf Dauer lebt und weitervererbt werden kann und einfach eine Gültigkeit besitzt und nicht schnelllebig ist. Das ist einmal eine Wertschätzung an sich, aber ich denke mal, dass heute eben auch der ökologische Gedanke eine große Rolle spielt.
Das Möbel als Statement
Bürger: Aber sind das nicht auch neue Statussymbole?
Müller: Denke ich auch. Und Sie sprachen vorhin Mies van der Rohe an. Wenn Sie also in Los Angeles oder in New York in einen Wolkenkratzer sehen, sehen Sie in fast jeder Lobby den wunderbaren Barcelona Chair. Also diese Möbel haben schon auch dann was ikonenhaftes. Und ein Innenarchitekt, der eben eine Lobby einrichten möchte, greift natürlich dann auch gerne auf solche Klassiker zurück.
Bürger: Zu Ihren Kunden gehören heute nicht nur Kindergärten, Schulen und Universitäten, sondern auch Banken, Versicherungen, vielleicht, ich glaube, auch Hotels. Da will man mit Möbeln ja eben auch ein Statement setzen. Welche Botschaft geht von den Sachen aus, die Sie da verkaufen. Dazu gehört ja auch eine Egon-Eiermann-Kollektion, eine Verner-Panton-Kollektion und hier eben nun Richard Neutra.
Müller: Ich glaube, dass Büros heute ja sehr viel mehr als früher auch Orte des Wohnens sind. Die Arbeitszeiten ändern sich, es gibt sehr viele Singles, die auch im Büro einen Bereich suchen, wo sie sich eben mal entspannen und wirklich wohlfühlen und nicht diese oft sehr dröge Büroatmosphäre um sich haben. Und viele Unternehmen haben das erkannt, und richten in ihren Büros Bereiche ein, die sehr viel mehr Wohnatmosphäre haben, in denen man sich mal zurückziehen kann, um eben einfach mal ein anderes Angebot wahrnehmen zu können, als immer nur am Schreibtisch zu sitzen.
Bürger: Von Kalifornien nach Tauberbischofsheim und zurück in die Welt. Der Unternehmer Thomas Müller hat die Designklassiker von Richard Neutra wiederentdeckt. Ab heute wird die neue Serie im Architecture and Design Musem in Los Angeles präsentiert. Herr Müller, herzlichen Dank fürs Gespräch.
Müller: Ich danke Ihnen.
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