Ostdeutschland

Warum Arbeiter und sogar Gewerkschafter die AfD wählen

07:55 Minuten
Afd Mitglieder halten "JA" Karten in die Höhe.
44 Prozent der Arbeiter wählten bei der Landtagswahl in Brandenburg AfD, sagt Klaus Dörre. Darunter auch überdurchschnittlich viele Gewerkschaftsmitglieder. © Getty / Lennart Preiss
Klaus Dörre im Gespräch mit Ute Welty · 05.10.2019
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Ausgerechnet eine marktliberale Partei wie die AfD erfreut sich unter ostdeutschen Arbeitern großer Beliebtheit. Sogar unter Gewerkschaftsmitgliedern, sagt der Soziologe Klaus Dörre. Wird sich das auch bei den Wahlen in Thüringen zeigen?
Arbeiterpartei AfD? Zumindest haben bei den Landtagswahlen in Brandenburg vor wenigen Wochen 44 Prozent der Arbeiter die Rechtspopulisten gewählt, sagt der Soziologe Klaus Dörre von der Universität Jena. Darunter auch überdurchschnittlich viele männliche Gewerkschaftsmitglieder. Steht Ähnliches jetzt auch in Thüringen bevor, wo am 27. Oktober gewählt wird?
"Ursprünglich hatten wir angenommen, dass sie [die AfD in Thüringen, A.d.Red.] im Osten einen sozialdemagogischen Wahlkampf machen, etwa ihr Rentenkonzept in den Vordergrund stellen", sagt Dörre. Denn die Thüringer AfD fordere eine Anhebung des Rentenniveaus auf 52 Prozent, bezogen auf die Produktivitätsrente - aber eben nur für deutsche Staatsbürger.
Doch diesen Punkt stellt die Partei im Wahlkampf Dörre zufolge gar nicht in den Vordergrund: "Programmatisch schieben sie etwa mit Blick auf die bevorstehende Abkühlung der Konjunktur, vielleicht Rezession Steuerentlastungen für Unternehmen usw. nach vorne. Das heißt, sie vertreten eigentlich eine klar marktliberale Position."

Doppelte Abwertungserfahrung der Arbeiter

Fraglich ist allerdings, ob das Arbeiter davon abhalten wird, die AfD zu wählen. Denn offenbar klinge selbst bei Gewerkschaftsmitgliedern gar nicht durch, dass man es mit politischen Positionen zu tun habe, die Gewerkschaftspolitik konterkarierten, meint Dörre.
Er vermutet, dass es diesen Wählern gar nicht so sehr auf die konkreten politischen Forderungen der AfD ankomme, sondern eher auf die Art und Weise, wie diese den Protest aufgreife: "Der Osten steht auf! Wir vollenden die Wende! Man macht Gruppen sichtbar, Arbeiter, insbesondere männliche Arbeiter, die sich doppelt abgewertet fühlen: als Arbeiter abgewertet fühlen und dann auch noch abgewertet fühlen als Ostdeutsche."
Insofern begreifen viele Arbeiter offenbar die AfD als beste Chance, ihren Unmut darüber auszudrücken. Und das reicht Dörre zufolge bis in die Reihen der Gewerkschafter und der Arbeitnehmervertreter in den Betrieben.
"Ich selber habe vor Kurzem auf einer Betriebsrätekonferenz in Erfurt gesprochen mit Hunderten von Betriebsräten, wo man sehr deutlich gesehen hat, dass in den Passagen, wo ich die AfD hart kritisiert habe und ihre antigewerkschaftliche Politik, dass 20 Prozent der Anwesenden demonstrativ nicht geklatscht haben."
(uko)
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