Ostafrikanische Musik

Den Dodo unter die Leute bringen

Ogoya Nengo und die Dodo Women's Group in ihrem Heimatdorf Rangala im Westen Kenias.
Ogoya Nengo und die Dodo Women's Group in ihrem Heimatdorf Rangala im Westen Kenias. © Stefan Schneider
Von Kerstin Poppendieck · 19.05.2016
Der Dodo hat es schwer in Kenia. Es ist einer der wichtigsten Musikstile des Landes, doch er wird von immer weniger Menschen gehört. Die kenianische Sängerin Ogoya Nengo und zwei deutsche Musikproduzenten wollen das ändern.
"Ich war nicht sofort überzeugt davon. Es war das erste mal, das Weiße in unser Dorf kamen, um unsere Musik aufzunehmen. Ich hatte etwas Angst vor diesen Wazungus, den Weißnasen."
Die kenianische Sängerin Ogoya Nengo erinnert sich noch gut an den Tag, als sie Stefan Schneider und Sven Kacirek das erste Mal getroffen hat, die ihre Musik aufnehmen wollten. Sie hatte etwas Angst vor den Wazungus, wie Weiße oft in Ostafrika genannt werden. So wie für sie war das damals für viele Menschen in ihrem Dorf die erste Begegnung mit Weißen überhaupt. Aber auch Stefan Schneider erinnert sich gut an das erste Treffen. Zwischen den Aufnahmen, die er in Deutschland macht und denen in Kenia, ist ein himmelweiter Unterschied.
"Die Aufnahmen, die wir da machen, das ist immer eine sehr öffentliche Situation. Das heißt, manchmal sind wir in der Hütte mit den Musikern, wir haben aber auch Aufnahmen hinterm Haus gemacht. Und da kommen dann, sobald die Leute aus der Umgebung Musik hören, kommen die auch dahin, wo die Musik gespielt wird. Das heißt, dann sind manchmal da 50, 60, 70 Leute und wohnen so einer Aufnahme bei. Je nachdem wie die Musik ist, also wenn auch getrommelt wird, dann fangen die Leute sofort an zu tanzen. Also die Situation ist sehr öffentlich."

Musikaufnahmen in alltäglicher Umgebung

Rangala, das kleine Dorf, in dem Oyoga Nengo lebt, liegt am Victoriasee, gut zehn Busstunden von Nairobi entfernt. Wenn morgens die Sonne aufgeht, herrscht in Rangala bereits reges Treiben. Stefan Schneider und Sven Kacirek haben dort während ihrer Aufnahmen in einem kleinen Hotel gewohnt. Eine Stunde sind sie jeden Morgen zu den Aufnahmen gelaufen, was auch dazu beigetragen hat, bei den Einheimischen Zweifel und Vorurteile gegenüber den Fremden abzubauen: Auch die meisten Anwohner sind zu Fuß unterwegs.
"Dann kommen wir da in dem Dorf an und verbringen da den ganzen Tag. Da gibt’s morgens meist ein kleines Frühstück bei Ogoya mit Obst und Tee. Und dann bauen wir die Mikrofone auf. Wir haben die Aufnahmen jetzt in einer kleinen aber sehr gut klingenden Lehmhütte direkt neben Ogoyas Haus gemacht. Und dann kommen die Musiker zusammen, und dann sind wir den ganzen Tag da und machen Aufnahmen."
Die ursprüngliche Idee für die Aufnahmen kam vom Goetheinstitut Nairobi. Die traditionelle Musik Kenias sollte aufgezeichnet werden. Da musste Stefan Schneider, der selbst vorher noch nie in Afrika war, aber bereits jahrelang afrikanische Musik gesammelt hat, nicht lange überlegen. Gleichwohl waren die Aufnahmen in Kenia für die erfahrenen Musikproduzenten ungewohnt.
"Wir nehmen dort mit Batterie betriebenem Equipment auf, das hat die Eigenschaft, dass wir lernen, wie die Musik im Alltag eingebettet ist. Man könnte jetzt natürlich auch die Musiker nach Nairobi in ein Tonstudio bringen, aber das interessiert uns eigentlich gar nicht, sondern für uns ist einfach wichtig, dass wir selber dazu lernen und sehen, wie die Musik da im Alltag funktioniert. Mit den Leuten zusammen zu essen, zu sehen, wie die Instrumente gestimmt werden am Feuer, also die Trommeln, das ist wichtig."

Für viele Kenianer ist Dodo "Oma-Musik"

Dodo ist eine Musik, die traditionell von Frauen gesungen wird, Männern ist es lediglich erlaubt, die Begleitinstrumente zu spielen. Auf dem neuen Album von Ogoya Nengo sind das zum Beispiel die achtsaitige Laute Nyatiti, Flöte und Box-Gitarre. In den Texten der 13 Stücke geht es eher um alltägliche Themen aus dem Leben der Menschen vor Ort. Die verschiedenen Möglichkeiten zu sterben, die Bedeutung traditioneller Medizinmänner, und Lobesgesänge auf die Verdienste örtlicher Politiker. Was den Gesang angeht, wollte Ogoya Nengo gerne fortschrittlicher und moderner sein. So dürfen bei ihr vereinzelt auch Männer singen.
In der Gegend, in der Ogoya Nengo zu Hause ist, ist Dodo-Musik bekannt und verbreitet, es ist einer der traditionellen Musikstile der Menschen dort. Aber im Rest von Kenia kennt kaum jemand diese Musik. In den Städten hört man viel Musik aus dem Ausland, bei den jüngeren Kenianern ist Hip Hop angesagt. Dodo ist für sie höchstens Oma-Musik. Ogoya Nengo ärgert das.
"In Kenia bin ich bei Weitem nicht so berühmt wie in Europa. Meine Alben werden nur dort verkauft und nicht in Kenia. Ich habe hier ein Album aufgenommen, aber das wurde nicht mal veröffentlicht. Ich trete regelmäßig in meiner Heimatregion auf, aber nicht in irgendwelchen großen Städten. Deshalb kennt man mich auch im Rest von Kenia nicht."
Vor zwei Jahren waren Stefan Schneider und Sven Kacirek das erste Mal in Kenia und haben mit Ogoya Nengo ein Album aufgenommen. Es folgten eine Tour durch Europa und die USA und Einladungen zu verschiedenen Festivals. Viel Aufmerksamkeit für Ogoya Nengo, die dafür dankbar ist und stolz auf sich. Schneider und Kacirek war es von Anfang an wichtig, diese Musik so aufzunehmen, wie sie gerade gespielt wird. Keine Verfremdungen am Computer, kein Autotune, mit dem man später am Computer nachträglich Tonhöhen korrigieren kann. Es geht ihnen darum, der Musik einen Freiraum zu geben, ohne dass sie sich als Produzenten in den Vordergrund drängen. Das ist ihnen absolut gelungen. Das Album klingt authentisch, als wäre man mit den Musikern in der Lehmhütte.

CDs und digitale Downloads

Lachen, Gespräche der Musiker untereinander, all das hört man auf dem Album, was uns die Musik und die Musiker noch näher bringt. Schneider und Kacirek wollen diese Musik allerdings nicht nur in tollen Vinylauflagen mit Klappcover nach Europa, Amerika und Japan bringen, sondern auch, dass Dodo Musik auch in Kenia selbst gehört wird. Dafür haben sie sich angesehen, wie Musik überhaupt in Kenia konsumiert wird. Einen Plattenspieler hat kaum jemand.
"Die Musik in Kenia wird ganz viel in Autobussen gehört, die durchs ganze Land fahren. Die Leute hören's aufm Handy, und ganz wichtig sind ganz viele lokale Radiosender."
Also bieten die beiden Musikproduzenten Ogoya Nengos Musik genau dafür an: CDs für Autobusse, digitale Downloads für Handys, und sie haben Kontakte zu verschiedenen Radiostationen im Land geknüpft. Dodo Musik wird wahrscheinlich immer eine spezielle Musik in Kenia bleiben, aber sie ist eben Teil der großen Musiktradition des Landes. Dafür, dass sie nicht vergessen wird, haben Ogoya Nengo, Stefan Schneider und Sven Kacirek mit diesem neuen Album "On Mande" viel getan. In Kenia genauso wie im Rest der Welt.
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