Bücher über die USA

Wie Amerika vor den Midterm-Wahlen tickt

18:53 Minuten
Der ehemalige US-Präsident Donald Trump spricht während einer Wahlkampfveranstaltung am 09. Oktober 2022 in Mesa, Arizona. Trump warb für die Gouverneurskandidatin Kari Lake für Zwischenwahlen am 8. November.
Ex-Präsident Donald Trump, der aktuell Wahlkampf für die Gouverneurskandidatin Kari Lake für die Zwischenwahlen macht, spielt meist eine große Rolle, wenn es um die Veränderung der USA geht. © Getty Images / Mario Tama
Nana Brink und Marcus Pindur im Gespräch mit Florian Felix Weyh · 05.11.2022
Audio herunterladen
"Mein wütendes Land" von Evan Osnos und "Täuschung" von Maggie Haberman sind zwei dicke Bücher renommierter US-Journalisten. Vor den Zwischenwahlen liefern sie Eindrücke aus dem Land. Besonders ein Buch ist für deutsche Leser bereichernd.
Evan Osnos, langjähriger China-Korrespondent der "Chicago Tribune" und des "New Yorker," kehrt nach Jahren in seine Heimat zurück und findet ein verändertes Land vor: In den 20 Jahren zwischen 9/11 und dem Sturm auf das Kapitol hätten die Amerikaner das Gemeinwohl aus den Augen verloren.
Er geht an die Orte zurück, die er von früher kennt. Chicago, wo er seine Berufslaufbahn begann, das Kohlerevier in West-Virgina, das er früh journalistisch beobachtete, und Greenwich, eine Kleinstadt, in der er selbst aufgewachsen ist. Erstere beide sind extreme soziale Brennpunkte, erklärt Marcus Pindur, während West-Virginia "politisch gesehen eine brisante Gegend ist", wie Nana Brink sagt. Beide sind Kenner der USA und haben von dort berichtet. An allen drei Orten, die Evan Osnos beschreibt, vereinen sich ein rabiat umweltzerstörender Kohleabbau, rohe finanzkapitalistische Methoden und eine verarmende Arbeiterschaft zu einer explosiven Mischung.

Libertärer Konservatismus in Greenwich

Ganz anders in Osnos' Kindheitsort Greenwich, Connecticut, früher ein Ort moderater Republikaner: "Er beschreibt da einen Konservatismus, der sich auch dem Gemeinwesen verpflichtet sah“, so Marcus Pindur. „Und jetzt findet er dort einen ganz anderen Konservatismus vor, eine libertäre Einstellung, die keine Rolle des Staates als wichtig anerkennt.“
Denn inzwischen wird die Kleinstadt von zwei Meter hohen "Leck-mich-Mauern" – so Nana Brink – dominiert, die von den dortigen superreichen Hedgefonds-Managern um ihre Grundstücke gezogen wurden. Greenwich ist eine Insel der Finanzkapitalismus-Gewinner, "wo man den Reichtum verherrlicht", so Brink.

Im südlichen Connecticut wurde derart großer persönlicher Reichtum angehäuft, dass sich Steuerprüfer daranmachten, die vierteljährlichen Zahlungen eines halben Dutzends der reichsten Steuerzahler zu überwachen, weil sich deren persönliche Einkünfte auf die Fähigkeit des Bundesstaates zur Finanzierung der öffentlichen Dienste auswirken würde.

aus: "Mein wütendes Land" von Evan Osnos

Beide Kritiker haben das Buch gerne gelesen. "Es ist wirklich sehr gut geschrieben", lobt Nana Brink. "Und das Tolle ist, dass er das an Figuren festmacht. Er nimmt uns mit und lässt uns teilhaben." Denn Osnos analysiert nicht von oben herab, sondern lässt seine Befragten schildern, wie sie mit den Dramen in ihrem Leben umgehen.
"Das kann notwendigerweise kein Gesamtbild dieser Gesellschaft sein", erklärt Marcus Pindur. Und Osnos liefere zwar keinen klaren Vorschlag, wo gegengesteuert werden könnte. Dennoch pflichtet Pindur Nana Brink bei: "Mein wütendes Land" ist packend geschrieben und anschaulich. Auch für deutsche Leser eine Bereicherung.

Evan Osnos: "Mein wütendes Land. Eine Reise durch die gespaltenen Staaten von Amerika"
Übersetzt von Stephan Gebauer
Suhrkamp Verlag, 640 Seiten, 32 Euro

"Bekannteste Trump-Erklärerin"

Keine Begeisterung dagegen löst Maggie Habermans "Täuschung" bei den Kritikern aus – mit 832 Seiten sogar noch einmal deutlich länger als Evan Osnos' Buch. Wer ist die Autorin? "Die wahrscheinlich bekannteste Trump-Erklärerin", sagt Marcus Pindur. Denn die "New York Times"-Journalistin war während der Präsidentschaft ständig in allen Medien zu hören und zu sehen. Ihre journalistische Biografie ist eng mit dem Aufstieg Trumps seit den 1980er-Jahren verknüpft. "Ich bewundere Maggie Haberman eigentlich", so Pindur. "Das ist eine hervorragende Journalistin. Aber eine Superjournalistin ist eben nicht auch eine gute Buchautorin."
"Die Schwierigkeit ist, dass sie so viele Leute ins Theater holt, von denen man wissen muss, was für eine Rolle sie spielen", pflichtet Nana Brink bei. Das sei für deutsche Leser oft kaum nachvollziehbar: "Und dann steigt man irgendwann aus." Wer will schon dauernd zum Anmerkungsapparat vorblättern? "Das tollste Wort, aber dafür hätte ich so viele Seiten nicht gebraucht: Trump ist ein hochentwickelter Papagei."

Trump-Obsession der US-Journalisten

"Ich hatte den Eindruck, dass das 800 Seiten Protokoll sind", konstatiert Marcus Pindur. Darin finden sich "sehr viele detaillierte Szenen, die immer dem gleichen Muster folgen", so Nana Brink: Auftritt Trump, ein Skandal entwickelt sich, Trump scheitert und macht eine "Nahtoderfahrung", steht wieder auf und erfindet sich neu, bleibt dabei aber eigentlich der Alte. "Ich glaube, dieses Buch demonstriert auch die Obsession der amerikanischen Journalisten, dieser Figur irgendwie Herr zu werden", urteilt Nana Brink.

Ich wurde während der vier Jahre seiner Präsidentschaft immer wieder von Leuten gebeten, ich solle dechiffrieren, warum er machte, was er machte. Aber die Wahrheit ist, dass ihn letztlich fast niemand wirklich kennt. Einige kennen ihn besser als andere, aber er ist oft schlichtweg undurchschaubar. Das erlaubt Menschen, Bedeutung und Tiefe aus jeder seiner Aktionen herauszulesen, wie hohl diese auch sein mögen.

aus: "Täuschung" von Maggie Haberman

Für Marcus Pindur ist zusätzlich die teilweise schlechte Übersetzung problematisch. Da habe offenkundig nach der Übersetzung kaum noch ein richtiges Lektorat stattgefunden. Für deutsche Leser kaum eine verlockende Lektüre, in den USA aber stießen solche Bücher traditionell auf eine große Käuferschaft.

Maggie Haberman: „Täuschung: Der Aufstieg Donald Trumps und der Untergang Amerikas"
Übersetzt von Christiane Bernhardt, Sylvia Bieker, Pieke Biermann, Gisela Fichtl, Katharina Martl, Karsten Singelmann, Ulrike Strerath-Bolz, Anke Wagner-Wolff und Henriette Zeltner-Shane
Siedler Verlag, 832 Seiten, 36 Euro

aus: "Täuschung" von Maggie Haberman

Mehr zum Thema