Gedenken an Oskar und Emilie Schindler

Ein Platz für zwei "Gerechte unter den Völkern"

07:13 Minuten
Die Reproduktion eines historischen Schwarzweiß-Fotos zeigt das Ehepaar Oskar und Emilie Schindler.
Lange ging man in Deutschland stiefmütterlich mit dem Gedenken an Oskar und Emilie Schindler um. Nach langem Hin und Her soll Frankfurt am Main nun einen Oskar-und-Emilie-Schindler-Platz bekommen. © IMAGO / Horst Rudel
Von Ludger Fittkau · 01.11.2022
Audio herunterladen
Oskar und Emilie Schindler retteten über tausend Juden das Leben. Die Gedenkstätte Yad Vashem würdigte sie als "Gerechte unter den Völkern". In Frankfurt am Main, wo Oskar später lebte, soll jetzt ein Platz nach ihm und seiner Frau benannt werden.
Mit dem Gedenken an Oskar und Emilie Schindler fühlt sich Michel Friedman auf besondere Weise verbunden.
„Persönlich bedeutet es, dass dieser Mann meine Mutter, meinen Vater und meine Großmutter seligen Angedenkens gerettet hat. Sie haben den Mord, den die Deutschen organisiert haben zur Vernichtung des europäischen Judentums, überleben können, weil ein Deutscher etwas getan hat, was die meisten Deutschen nicht getan haben: Er hat geholfen. Und das ist der Grund, warum auch ich leben kann, denn das Überleben meiner Eltern setzt sich in mir fort.“

Vorbild im Kampf um Humanismus

Dass der Bahnhofsvorplatz in Frankfurt am Main künftig nach Oskar und Emilie Schindler benannt werden wird, freut den Publizisten schon aus diesen persönlichen Gründen. Doch vor allem sieht er Oskar Schindler als ein Vorbild im Kampf um Menschenwürde und Humanismus, den zentralen Werten unserer Demokratie, die gerade von rechts heute wieder stark gefährdet seien.

Was dieser Mann für mich symbolisiert, ist einfach, dass zu jeder Zeit der Mensch die Welt verändern kann. Und: Er habe, im Gegensatz zu vielen anderen, zu einer Zeit geholfen, als ihn dieses Engagement selbst „in die größte Risikolage“ gebracht habe. Andere dagegen hätten gesagt: ‚Man kann doch nichts machen.‘

Publizist Michel Friedman, Kind von Holocaust-Überlebenden

Doch, sagt Michel Friedman, man konnte etwas machen, wie man auch heute wieder mehr für den Erhalt der Demokratie tun müsse und das Beispiel Oskar Schindler zeige das.
Der Publizist erinnert daran, wie Schindler handelte, als er erfuhr, dass der Zug mit seinen jüdischen Arbeiterinnen nicht wie mit den Nazis verabredet aus dem polnischen Arbeitslager zu einem neuen Produktions-Standort im heutigen Tschechien fährt, sondern nach Auschwitz.
„Und dann geht dieser Mann nach Auschwitz, setzt sich mit dem Lagerkommandanten hin und sagt: Gibt mir meine Jüdinnen und stellt ihm einen Sack Diamanten auf den Tisch. Wer nur eine geringste Vorstellung von Auschwitz hat, weiß, dass der Lagerkommandant ihn hätte erschießen können, die Diamanten in die Tasche stecken und die Jüdinnen trotzdem vergasen können. Das ist Lebensgefahr! Und da geht es auch nicht mehr um Scham, sondern da geht es darum: Ich opfere mein Leben unter Umständen.“

Nur ein Provinzgässchen trägt seinen Namen

Alleine deshalb müsse man das Wirken von Oskar Schindler endlich ernst nehmen. Michel Friedman erwähnt im Gespräch in Frankfurt am Main das Ehepaar Trautwein, das Schindler schon vor dem Spielberg-Film sehr ernst genommen habe. Der verstorbene Dieter Trautwein war ein evangelischer Pfarrer, der mit Schindler befreundet war, als dieser in Frankfurt am Main lebte.
Er habe sich schon vor Jahrzehnten für eine Oskar-Schindler-Straße in der Stadt engagiert, erinnert sich seine Frau Ursula noch heute. In einem ländlichen Vorort fand sich dann eine kleine Gasse für Schindler: „Mein Mann hat sich sehr dafür eingesetzt und dann haben sie da in Nieder-Eschbach so ein Gässchen nach ihm benannt, weil: Ja, die Straßennamen sind schon alle vergeben und so weiter.“

Liebloser Umgang mit der Erinnerung

Michel Friedman erklärt sich diesen lieblosen Umgang der Stadtgesellschaft in Frankfurt am Main mit Schindler damit, dass man sich viele Jahrzehnte lang mit Leuten wie ihm lieber nicht auseinandersetzen wollte. Weil man selbst zu sehr ins Dritte Reich verstrickt gewesen sei:
„Frankfurt hatte zehn Prozent Menschen jüdischen Glaubens“, sagt Michel Friedman. Die ganze Infrastruktur der Stadt ist ohne Judentum nicht denkbar.“ Im Zusammenhang mit den Enteignungen jüdischer Bürgerinnen und Bürger und mit den Deportationen hätten sich „zwischen 1933 und 1945 viele Menschen die Hände schmutzig gemacht“ und seien danach „mit den schmutzigen Händen zur Maniküre gegangen“.
Deshalb das große Verdrängen. Oskar Schindler sei in den 1960er-Jahren am Frankfurter Hauptbahnhof sogar von Nazis bespuckt worden, erinnert sich Michel Friedmann.
Der Talkmaster  und Publizist Michel Friedman lächelt bei einer TV-Aufzeichung in die Kamera.
Für Michel Friedman ist die Umbenennung des Bahnhofsplatzes in Frankfurt am Main überfällig. Seine Familie überlebte nur dank Oskar Schindler den Holocaust.© picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt
Vor wenigen Wochen haben der zuständige Ortsbeirat und die Stadtverordnetenversammlung die Ehrung für die Schindlers an zentraler Stelle beschlossen. Und die Bahn als Grundstückseigentümerin hat keine Einwände.  Michels Friedman hält es heute für richtig, auch an Schindlers Ehefrau Emilie mit zu erinnern, wie es jetzt von der Lokalpolitik in Frankfurt am Main auf dem Bahnhofsvorplatz geplant ist.

Sie war die ganze Zeit auch in dem Arbeitslager, sie hat sich um viele Dinge gekümmert, wie beispielsweise auch die Ernährung dieser über 1000 Menschen. Beide zusammen konnten diese Fata Morgana der Fabrik erhalten, konnten die Menschen ernähren, hatten ihnen ein Dach über den Kopf gegeben. Und unter diesen Umständen für jüdische Menschen ein Lebensumfeld, wo ein bisschen Würde noch möglich war. Und beide haben das bis zur Befreiung durchgehalten.

Michel Friedman über Emilie Schindler

Michel Friedman wünscht sich, dass es nicht nur zu einer Platzumbenennung kommt. Die Schindlers könnten doch gerade für jüngere Generationen, die nicht mehr mit persönlicher Schuld belastet seien, ein Vorbild im Kampf für die Demokratie sein, glaubt er.

Auseinandersetzung braucht Kunst und Kultur

Vielleicht, hofft Friedman, werden die Schindlers ja auch in der Paulskirche geehrt, die in den nächsten Jahren zu einem Ort ausgebaut werden soll, an dem die Geschichte und die Zukunft der Demokratie noch aktiver als bisher diskutiert werden soll.
Eines sei klar, so Michel Friedman: Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit brauche auch Kunst und Kultur wie Spielbergs Film „Schindlers Liste“. Doch es muss nicht immer Hollywood sein. Manchmal beginnt es auch auf einem Bahnhofsvorplatz am Main. Es soll dort auch eine Form künstlerischen Gedenkens realisiert werden.
Da der Platz aber ohnehin umgebaut werden soll, kann es noch einige Jahre dauern, bis dies Wirklichkeit sein wird.
Mehr zum Thema