Ungarns Musikszene

"Man hört wieder mehr Stimmen zur politischen Situation"

Ein Open-Air-Konzert mit feiernder Menge
Ausgelassene Stimmung beim Sziget-Festival in Budapest © imago/Martin Fejer/estost.net
Tamas Rupaszov im Gespräch mit Dirk Schneider · 24.07.2018
Seit Viktor Orbán Ungarn umstrukturiert, wird die Musikszene wieder politischer, sagt Labelbetreiber Tamas Rupaszov, der schon in den 80ern dissidente Musik veröffentlicht hat. Wer von staatlichen Mitteln abhängt, zensiert sich allerdings selbst.
Im Ventil-Verlag ist dieses Jahr das Buch "Warschauer Punk Pakt" erschienen, das die Punkszenen im Ostblock dokumentiert.
Das Cover zum Buch "Warschauer Punk Pakt"
Das Buch© Ventil-Verlag
In einer losen Reihe sprechen wir mit den Protagonisten von damals – allerdings nicht über die Zeit vor dem Mauerfall, sondern darüber, wie es heute um die Musikszenen in Ländern bestellt ist, die zum Teil wieder autoritär regiert werden.
Dieses Mal ist der Labelbetreiber Tamas Rupaszov unser Gast. 1985 hat er in Budapest das damals illegale Punklabel Trottel Records gegründet, das er bis heute betreibt. Wir sprechen mit ihm über die Lage in Ungarn unter der Fidesz-Regierung.

Die alte Garde äußert sich noch immer politisch

Dirk Schneider: Welche Bands sind zur Zeit die wichtigen linken oder regierungskritischen Meinungsmacher in Ungarn?
Tamas Rupaszov: Es gibt die alte Rock’n’Roll-Generation der 60er- und 70er-Jahre, die Leute sind auch schon in ihren 70ern, wie die Sängerin Zsuzsa Koncz oder János Bródy, früher Mitglied der Band Illés. Das sind Leute, die schon immer zur politischen Linken, bzw. zu den Liberalen in der politischen Szene Ungarns gehört haben. Auch jetzt, unter der, na ja, "Orbán-Demokratie", füllen sie immer noch Stadien und äußern sich durchaus immer noch politisch und zur gesellschaftlichen Situation.

Zur jüngeren Generation von Bands lässt sich sagen: Sobald sie auf irgendeine Weise von staatlichen Geldern abhängen, oder in staatlichen Jugendzentren auftreten wollen, äußern sie sich nicht politisch. Sobald sie das täten, würden sie die Gelder und Auftrittsmöglichkeiten verlieren.

Auch die ganz Jungen begehren auf

Zum Beispiel Kispál És A Borz, eine der wichtigsten Independent-Bands seit den 80ern: Ihr Sänger András Lovasi hatte sich über die Regierung geäußert, eine Woche später wurden alle Auftritte der Band in verschiedenen Jugendzentren abgesagt. Das ganze Land ist in der Hand von Orbáns Partei.

Was die ganz junge Generation angeht: Es war lange nicht in Mode, sich politisch zu äußern, aber in den letzten zwei Jahren hat sich das etwas geändert. Es findet eine Art Coming-Out statt, und man hört wieder mehr Stimmen zur politischen Situation und der seltsamen Art von Demokratie, in der wir leben. Ich habe auf meinem Label zur Wahl im April eine Compilation mit jungen HipHop- und Punkbands herausgegeben, die sich alle sehr systemkritisch äußern.

Auseinandersetzung mit dem "surrealen System"

Schneider: Sehen Sie Ihre Arbeit als Labelmacher also auch als politische Arbeit an?
Rupaszov: Mir geht es natürlich vor allem darum, interessante Musik zu veröffentlichen. Es ging mir schon immer um den künstlerischen Wert von Musik. Aber bei den letzten Platten, die ich veröffentlicht habe, dachte ich, dass ich eigentlich heute dasselbe tue wie damals in den 80ern, als meine Arbeit als Labelmacher noch illegal war.

In den 80ern veröffentlichte Rupaszov ungarischen Hardcore-Punk:

1985 haben wir Trottel Records gegründet, und wir haben Bands veröffentlicht, die in ihrer Musik die Diktatur thematisiert haben. Und in letzter Zeit veröffentliche ich wieder Musik, die sich mit dem surrealen System beschäftigt, in dem wir leben. Also kann ich diese Frage mit ja beantworten.

Manche Bands zensieren sich selbst

Schneider: Sie haben vorhin schon von Zensur gesprochen: Wenn eine Band sich regierungskritisch äußert, darf sie nicht mehr auftreten. Wie funktioniert das? Greift da jemand aus der Partei zum Telefonhörer und sagt seinen Leuten im Land: Für diese Band herrscht jetzt Auftrittsverbot?
Rupaszov: Ich habe nicht von den jungen Bands gesprochen, die in ganz kleinen Clubs spielen und ein paar hundert Platten verkaufen – was die sagen, kümmert in der Regierung niemanden. Ich habe von mittelgroßen Bands gesprochen, die in Jugendzentren oder bei städtischen Festivals auftreten, die über staatliche oder kommunale Gelder finanziert werden.
Aber ich glaube nicht, dass Orbán zum Telefonhörer greift. Es läuft wohl eher so, dass das ganze Land in der Hand von Orbáns Fidesz-Partei ist. Die glauben, dass das, was sie tun, dem Wohl aller dient. Und sie dulden keinen Widerspruch. Es sind also die lokalen Orbán-Anhänger, die nicht instruiert werden müssen, sondern von sich aus so handeln – die Leiter der Jugendzentren oder der städtischen Festivals. Und natürlich findet schon bei vielen Bands Selbstzensur statt, um zu überleben.

Als Labelmacher unabhängig vom Staat

Schneider: Merken Sie als Labelmacher, als Konzertveranstalter, auch Auswirkungen, werden Sie auch in Ihrer Arbeit von der Regierung beschnitten?
Rupaszov: Wenn ich meine Bands im Land spielen lassen möchte, geht es mir natürlich wie oben beschrieben, da ich dann auch auf die staatliche Gunst angewiesen bin. Als Labelmacher bin ich völlig unabhängig, da ich nicht von staatlichen Geldern abhänge, und da behindert mich niemand in meiner Arbeit.
Schneider: Kann man beobachten, dass sich die Musikauswahl in staatlichen Radiosendern geändert hat, oder dass die Medien vielleicht nur noch über bestimmte Musik berichten?
Rupaszov: Man kann feststellen, dass oppositionelle Medien verschwinden, weil es ihnen wirtschaftlich schlecht geht. Die wenigen Musikmagazine, die es noch gibt, oder die größeren Internetmagazine, die sich mit Musik beschäftigen, ändern ihre Inhalte nicht. Aber sie werden immer weniger. Aber eben nicht, weil die Politik gegen sie vorgeht, sondern weil es ihnen wirtschaftlich an den Kragen geht.

Freie Szenen brauchen Unterstützung

Es ist nicht wie im kommunistischen Regime, in dem die Opposition politisch bekämpft wurde. Solange man Geld hat, kann man in Ungarn machen, was man will. Aber wenn man gegen die Regierung ist, wird einem finanziell das Wasser abgegraben. Und dann wird es schwierig. Ungarn ist ein kleines Land, und nicht viele Leute sind bereit, für Musik zu bezahlen.

Eine weitere von Rupaszovs Veröffentlichtungen, diesmal von 1991:

Wo wir vom Geld sprechen: Die Menschen, die sich zur Opposition rechnen, müssen erkennen: Wenn sie eine freie Presse wollen, müssen sie sie finanziell unterstützen. Dasselbe gilt für die Musik: Die Leute müssen Geld für Musik ausgeben, sonst wird niemand mehr Musik machen.

Neue Energie in der alternativen Kultur

Schneider: Jetzt sind politisch schwierige Zeiten oft auch gute Zeiten für die Künste, wenigstens insofern, als es viele Themen gibt, und die Kunst auch in ihrer Bedeutung und im Ansehen der Leute wieder steigt. Können Sie der momentanen Situation als Labelmacher auch etwas Positives abgewinnen?
Rupaszov: Ich denke, auf lange Sicht ist die Situation gut für die Musik, und für die Gegenkultur insgesamt. Die Stimmung war sehr lange apathisch, und es gibt nun schon etwas neue Energie in der alternativen Kultur. Die Sachen werden wieder politischer und engagierter. Es klingt vielleicht wie ein Witz, aber im kommunistischen System war es dasselbe. Je größer die Unterdrückung, desto größer wurde die Kreativität der Gegenkultur.
Mehr zum Thema