Originalton

Die Schwierigkeit des Wiederanfangens

Der Blick aus dem Zugfenster zeigt eine verschwommene Landschaft. Aufgenommen in Köln am 30.09.2012.
Der Blick aus dem Zugfenster zeigt eine verschwommene Landschaft. © picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr
Von Peggy Mädler · 23.10.2014
Nach einer Pause, selbst wenn es eine verdiente war, kann der Wiederanfang holprig sein. Für die Autorin Peggy Mädler ist es jedenfalls nicht ganz einfach, sich leicht einzugewöhnen und anzukommen.
Die Schwierigkeit des Wiederanfangens beim Schreiben: das Aufgreifen des Fadens nach einer Unterbrechung, nach einer verdienten Pause, nach einer Krankheit mit Bettruhe, nach dem Urlaub am Atlantik, an dem die Wellen so hoch in den Himmel griffen, dass sogar Rettungsmänner in roten Westen über Bord gingen und ihre Boote verschwanden.
Und die Zeit, die es braucht, auch in Berlin wieder anzukommen, heute wie damals - vor zwanzig Jahren -, als es noch keine gewohnten oder eingefahrenen Wege in dieser Stadt gab, nur den einen immer wieder: von Dresden nach Berlin und wieder zurück nach Dresden, als ich noch pendelte zwischen der Stadt, in der ich aufgewachsen war, und der Stadt, in der ich zukünftig zu Hause sein wollte, in die ich gern heimkehren wollte - und dann fuhr der Zug minutenlang durch Berlin, an Industrieanlagen und Wohnhäusern vorbei, kam schließlich am Ostbahnhof an und noch immer stellte sich kein Gefühl von Vertrautheit ein. Und so auch nach dem Urlaub am Atlantik, in dem das Kind das erste Mal Sand aß und Salzwasser trank, in dem das kindlich quietschende Vergnügen haushoch mit den Wellen einherging und dann die Fahrt im Flughafenbus von Tegel über Hauptbahnhof in den Friedrichshain.
Das Kind, nach wie vor aufgedreht, winkt den feierabendmüden Passanten zu und auch die Mutter ist müde von dem langen Flug, schaut aus dem Fenster in die Stadt hinein, die sich vor ihr zurückzuziehen scheint, fast ist es, als müsse sie, die inzwischen seit zwei Jahrzehnten in Berlin lebt, sich ein jedes Mal von Neuem erst in die Stadt einlesen, sich an den Tonfall gewöhnen, an den Rhythmus und an den Stil. Turmstraße, Tiergarten, Brandenburger Tor und schließlich Alexanderplatz, wie oft bin ich in den letzten zwei Jahrzehnten auch mit der U5 gefahren, dann die eine gewohnte Straße entlang, an der Bibliothek vorbei, an der Bäckerei, am Blumenladen und am kleinen Kino vorbei, den Schlüssel rausholen, die Tür aufschließen, das Gepäck abstellen, nach drei Wochen Pause wieder zurück sein.
Während ich noch ziellos durch die Räume gehe, auf das Ankommen warte, das sich in den nächsten Stunden oder Tagen verlässlich einstellen wird, erkennt das Kind am Spielzeug sogleich sein Zuhause, hebt die Eisenbahn hoch, den Affen hoch, das Murmelspiel hoch - zeigt mir all seine Sachen - und ist längst wieder da.

Peggy Mädler wurde 1976 in Dresden geboren. Sie lebt in Berlin und arbeitet als freie Dramaturgin. Sie ist Mitbegründerin des Künstlerkollektivs "Labor für kontrafaktisches Denken". Sie erhielt unter anderem das Alfred-Döblin-Stipendium der Berliner Akademie der Künste. "Legende vom Glück des Menschen", ihr erster Roman, erschien 2011 im Galiani Verlag. In der täglichen Rubrik "Originalton" der Sendung "Lesart" bitten wir Schriftsteller um kurze Texte.

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