Originalton

Das Lektorat

Eine Lesebrille liegt auf einem Bücherstapel.
Früher fühlte sich Bodo Morshäuser "regelrecht kastriert", wenn der Lektor seinen Lieblingssatz streichen wollte. © picture alliance / dpa / Ismo Pekkarinen
Von Bodo Morshäuser · 30.08.2014
Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. In dieser Woche befasst sich Bodo Morshäuser mit dem "Kerngeschäft" eines Autors.
Einfall, Notiz, Schreiben, Überarbeiten, Abschicken. Die Arbeit ist getan, jubelt der Autor. Ich habe mit dem Lektor gesprochen. Er findet den Text gut. Aber da seien ein paar Sachen. Ich ahne etwas. Er schickt mir das Typoskript, in das er seine Fragen, wie er das nennt, eingetragen hat. Jetzt sehe ich in aller Unvollkommenheit meinen Text, den ich eine Zeitlang im völlig normalen Schriftstellerwahn für fertig gehalten hatte. Hatte ich nicht schon ein Gläschen darauf getrunken? Ja, warum nicht. An manchen Stellen fällt es mir überhaupt nicht schwer, den Lektor zu verstehen. Stellenweise fällt es mir schwer, zu verstehen, warum ich diese und jene Ungereimtheit nicht selbst bemerkt habe.
Manche Einwände des Lektors verstehe ich allerdings überhaupt nicht. Ich prüfe, wie zwingend meine Entscheidungen waren, dies und das so und so zu schreiben. Und wie zwingend die Vorschläge des Lektors sind, dies und das anders auszudrücken. Oder komplett wegzustreichen. Früher fühlte ich mich regelrecht kastriert, wenn ich meinen Lieblingssatz streichen sollte. Heute weiß ich, dass Lieblingssätze, nüchtern betrachtet, oft missraten sind. Ich bekomme einen anderen Blick auf meinen Text. Fast ist es der Blick eines anderen. Mir fallen immer mehr Stellen auf, die anders ausgedrückt werden sollten. Bald sieht das Typoskript aus, als sei es voller Fehler gewesen. Am Ende bleiben ein Dutzend Stellen ungeklärt, zu denen wir verschiedener Ansicht sind.
Der Text schaut zurück – selbstbewusst
Ich treffe den Lektor. Wir gehen zügig die Stellen durch, über die es kaum etwas zu diskutieren gibt. Mein Gefühl ist, das Sprechen jetzt dient der atmosphärischen Einstimmung. Dann geht es um die Stellen, bei denen wir uns noch nicht einigen konnten. Im Gespräch stellt sich die Kluft zwischen uns als nicht so groß dar, wie ich vermutet hatte. Ich höre, dass ich, was den Titel betrifft, auf einmal kompromissbereit bin. Andere Sachen, die er mir bisher immer weggestrichen hat, sind ihm nicht mehr wichtig. Trotzdem gehen wir noch mal in die Details. Der Lektor erzählt hübsche Anekdoten von Lektoraten mit anderen Autoren. Die Anspannung hat längst nachgelassen. Endlich gehen wir essen. Und endlich trinken wir, das heißt wir stoßen an auf unsere Zusammenarbeit.
Ich fische aus meinem Briefkasten einen Umschlag. Ich weiß sofort Bescheid. Es sind die Druckfahnen. Ich schaue ein paar Seiten, die Drucktype, die Zwischenüberschriften an. Der Text schaut zurück. Anders als bisher. Fester. Ziemlich selbstbewusst. Ich lächle ihm zu und lese. Ab und zu merke ich, dass ich immer noch lese. Ich merke nichts mehr, ich lese nur noch. Als ich bis über beide Ohren beglückt bin, lege ich ihn in die Mitte des leeren Schreibtischs. Morgen sehe ich ihn nach Druckfehlern durch. Ein wirklich allerletztes Mal.
Der Schriftsteller Bodo Morshäuser, gebürtiger Berliner, ist auch ein gestandener Radiomann. In den 70er-Jahren arbeitete er für den RIAS und den Sender Freies Berlin. Anfang der 80er Jahre verfasste und moderierte er regelmäßig Sendungen der Reihe Plattensprünge im SFB-Jugendfunk. Noch heute verfasst er Radioerzählungen, Features und Rezensionen.
Bodo Morshäuser
Bodo Morshäuser© Privat
Als Autor wurde Morshäuser bekannt mit Romanen wie "Die Berliner Simulation", "Blende" oder "Der weiße Wannsee". In diesem Jahr erschien sein Roman "Und die Sonne scheint", eine Selbstbeobachtung über das Leben mit einer Krebserkrankung.
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