Opferschutz

Profi-Hilfe für die Opfer von Verbrechen

Ein Angeklagter vor dem Landgericht Frankfurt versucht, den Blicken der Öffentlichkeit zu entgehen. /Symbolbild
Vor Gericht stehen benötigen die Opfer anwaltliche Unterstützung © dpa / picture-alliance / Stephan Scheuer
Wolfram Schädler im Gespräch mit Dieter Kassel · 23.09.2016
"So wie ein Täter seinen Bewährungshelfer kriegt, muss das Opfer auch seinen Opferhelfer bekommen", findet der Anwalt Wolfram Schädler von der "Hanauer Hilfe". Er erklärt den Unterschied seiner Opferorganisation zum Weißen Ring, der vor 40 Jahren gegründet wurde.
"Wenn alle den Täter jagen, wer bleibt dann beim Opfer?" - das war das Motto, als der Weiße Ring vor 40 Jahren gegründet wurde. Anders als diese erste Opferorganisation mit ehrenamtlichen Kräften setzt die Hanauer Hilfe auf professionellen Opferschutz, sagt deren Gründer Wolfram Schädler:
"Die Hanauer Hilfe hat Sozialarbeiter und Psychologen und Beratungsstellen. (...) Der Weiße Ring hat als markierendes Kennzeichen, dass er mit Ehrenamtlichen arbeitet, was sehr begrüßenswert ist, was sehr wichtig ist, zumal es die erste Organisation war", sagt der Opferanwalt. Die Hanauer Hilfe habe bei ihrer Gründung bewusst einen anderen Akzent gesetzt als der Weiße Ring, der heute seinen 40. Geburtstag feiert und Deutschlands größte Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität ist.

Opferanwälte stärken die Betroffenen

Der frühere Bundesanwalt Schädler hob die Bedeutung von Opferanwälten hervor, die den Betroffenen zur Seite stünden. "So wie ein Täter seinen Bewährungshelfer kriegt, muss das Opfer auch seinen Opferhelfer bekommen." Deshalb habe man in den 1980er Jahren die Beratungsstelle "Hanauer Hilfe" gegründet. Nach einer Strafanzeige höre ein Opfer eine Weile nichts mehr von der Justiz. In dieser Zeit könne der Opferanwalt Einsicht in die Akten nehmen und dem Angeklagten den Ablauf des Verfahrens erklären. "Wir haben also gelernt, dass die Information für Opfer von Straftaten sehr, sehr wichtig ist."
(gem)

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: In der Berichterstattung über schwere Straftaten geht es meistens vor allem um die Täter und deren Motive. Die Opfer kommen da eigentlich nur am Rande vor, um das Ausmaß der Tat zusätzlich zu beschreiben. Und das führt immer wieder zu Debatten darüber, ob sich für die Opfer denn keiner interessiere, ja, ob ihr Schicksal gar auch vor Gericht zweitrangig sei. Dabei gibt es in Deutschland seit 1986 ein Opferschutzgesetz, das mehrfach erweitert wurde, und es gibt sogar noch zehn Jahre länger, seit 1976, die Opferschutzorganisation Weißer Ring, die deshalb heute – Stichtag wäre eigentlich morgen, aber sie tun es heute –, heute ihren 40. Geburtstag feiert.
Und es gibt immerhin auch schon seit 32 Jahren die Hanauer Hilfe. Die wurde damals, 1984, von Wolfram Schädler gegründet, damals war er Referent im hessischen Justizministerium, heute ist er von Wiesbaden aus als Opferanwalt tätig. Schönen guten Morgen, Herr Schädler!
Wolfram Schädler: Ja, recht schonen guten Morgen!
Kassel: Simple Frage von einem Nichtjuristen: Wozu braucht man überhaupt Opferanwälte? Ist nicht rein theoretisch der Anwalt des Opfers in einem Strafverfahren der Staatsanwalt?
Schädler: So dachte man schon mal eine Zeit lang, das ist völlig richtig. Man hat auch daran gedacht, die Nebenklage abzuschaffen, die also mit dem Opferanwalt zum Teil identisch ist. Der Opferanwalt ist der Anwalt, der wie der Pflichtverteidiger für das Opfer vom Staat bezahlt wird. Nur dass der Unterschied klar ist. Und der Opferanwalt kann an der Seite des Opfers im deutschen Strafprozess sehr viele aktive Rechte wahrnehmen. Das ist im europäischen Vergleich auch vorbildhaft.

Ein Stück Macht zurückgeben

Kassel: Warum kommen denn Menschen zu Ihnen und beauftragen Sie als Opferanwalt?
Schädler: Nun, die Menschen kommen deshalb zu mir oder anderen Kollegen, weil sie, nachdem sie ihre Strafanzeige gemacht haben, von der Justiz eine Zeit lang auch nichts hören. Der Opferanwalt kann dann Akteneinsicht nehmen, kann dann mit dem Opfer auch den Fall durchsprechen und er kann dem Opfer auch den Ablauf des Strafverfahrens erklären. Wir haben also gelernt, dass die Information für Opfer von Straftaten sehr, sehr wichtig ist. Dass sie also in die Lage versetzt werden können zu entscheiden, wie wir immer sagen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Weil, als die Straftat passiert ist, ist ihnen ja ein Stück Macht, ein Stück Macht über sich selbst weggenommen worden. Und wenn wir es informieren mit dem, was mit ihm passiert, geben wir ihm ein Stück von dieser Macht zurück.
Kassel: Haben Sie manchmal auch das Problem, dass Sie Opfern erklären müssen auch schon im Vorfeld des Prozesses, lange vor der Urteilsverkündung, wie das Strafmaß aussieht, was möglich wäre als Strafe, und dass die dann sagen: Oh Gott, das ist doch viel zu wenig für das, was mir angetan wurde oder was Bekannten von mir angetan wurde, Angehörigen?
Schädler: Das wird deutlich überschätzt. Wir haben ja mal damals im Zusammenhang mit der Hanauer Hilfe eine Befragung zusammen mit dem Bundeskriminalamt gemacht in den 80er-Jahren und da ging es den Opfern zunächst einmal darum, auch während des Strafprozesses, dass dem Täter gezeigt wurde, wie ich mal schön sagen will, wo Gott wohnt. Also dass er Unrecht gemacht hat. Die Höhe der Strafe war nicht so sehr im Vordergrund. Es sei denn, es sei denn sie war absolut niedrig, dann hat sich das Opfer empört. Aber dem Opfer ging es zunächst mal darum, wieder auf die Füße zu kommen.

Hoffen auf Gerechtigkeit

Kassel: Aber – und das haben Sie indirekt gerade ja schon angesprochen, in unserem Rechtssystem geht es ja nicht um Rache –, aber haben Sie es nicht trotzdem manchmal mit Angehörigen von Opfern von Tötungsdelikten zum Beispiel zu tun, denen es doch darum geht?
Schädler: Na ja, ich habe zurzeit gerade einen größeren Fall, wo ich den Vater einer Tochter vertrete, die vor 30 Jahren ermordet worden ist. Dem geht es um Gerechtigkeit. Das macht er eigentlich immer deutlich, dass er gesagt hat: Nicht Rache, ich will Gerechtigkeit, dass dieser Mann verurteilt wird. Der ist freigesprochen, nur als Hintergrund, und das geht rechtlich nicht so einfach. Die Rache steht nicht so sehr im Vordergrund, das wird auch … Vielleicht von denjenigen, die nebendran stehen, die sagen, ist ja unerhört, da muss Rache geschehen. Aber denen, denen es passiert ist, die Beobachtung mache ich häufig, steht die Rache nicht im Vordergrund.
Kassel: Kann man eigentlich so eine Grenze ziehen … Man könnte theoretisch bei den beiden Organisationen, der von Ihnen gegründeten Hanauer Hilfe und dem heute Geburtstag feiernden Weißen Ring das theoretisch tun, eine Grenze ziehen zwischen rein juristischer, fachjuristischer Betreuung und psychologischer Betreuung. Sie sind natürlich dann der Anwalt der Opfer, wenn die Ihnen ein Mandat erteilen, aber müssen Sie nicht auch ein bisschen deren Psychologe manchmal sein?
Schädler: Wir Anwälte müssen der Psychologe sein, aber das ist bei der Hanauer Hilfe, weil Sie es gerade ansprachen, anders. Die Hanauer Hilfe hat Sozialarbeiter und Psychologen, die Beratungsstellen, die also mit Berufs…, mit Berufen besetzt sind. Der Weiße Ring hat ja als markierendes Kennzeichen, dass er mit Ehrenamtlichen arbeitet. Was sehr begrüßenswert ist, was sehr wichtig ist, zumal es die erste Organisation war.
Wir haben damals gesagt in den 80er-Jahren, ausgehend von den Holländern, die das auch uns vorgemacht haben, es muss gewissermaßen selbstverständlich sein. So wie ein Täter seinen Bewährungshelfer kriegt, muss das Opfer auch einen Opferhelfer bekommen. Und das waren unsere Sozialarbeiter und Psychologen und deshalb haben wir damals diese Beratungsstelle gegründet.

Unterschiedliche Perspektiven

Kassel: Eins ist ja im Prinzip nicht zu ändern, das ist logisch, für Richter, für Staatsanwälte sind Strafverfahren Alltag.
Schädler: Ja.
Kassel: Da gibt es sicherlich auch Ausnahmen bei besonders spektakulären oder bei besonders unfassbaren Fällen, aber sie sind Alltag. Für jemanden, der vor Gericht steht als Opfer, als Nebenkläger möglicherweise, ist es das nicht. Und auch das kann ja ein psychologisches Problem sein.
Schädler: Ja.
Kassel: Werden Opfer vor Gericht so behandelt, wie sie behandelt werden sollten in Ihren Augen?
Schädler: Also, absolut. Das … Dieses, will ich mal sagen, Auseinanderfallen der Perspektive ist immer auch ein ganz zentraler Punkt von Fortbildungsveranstaltungen. Für den Richter, für den Staatsanwalt ist zum Beispiel eine Bedrohung oder eine Sachbeschädigung … Eine Sachbeschädigung ist eine der Delikte, wo wir kennengelernt haben, dass das die Leute ungeheuer empört. Warum? Weil es ein so sinnloses Delikt ist, weil es reine Zerstörung ist und man nicht weiß, warum. Das wird aber vom Juristen als völlig nebensächlich wahrgenommen. Also, da müssen wir auch in der Hauptverhandlung, weil Sie es gerade ansprachen, aber auch bei Polizei und Staatsanwaltschaft schon vorher genau hinschauen, was geht in dem vor. Und da ist es wichtig, dass wir darauf achten.
Kassel: Wolfram Schädler, Opferanwalt in Wiesbaden und Begründer der Hanauer Hilfe, über die Rolle und den Schutz von Opfern bei Straftaten. Herr Schädler, ich finde, wir sollten unser Gespräch jetzt aber nicht beenden, ohne beide noch mal doch herzlichen Glückwunsch zu sagen dem Weißen Ring!
Schädler: Das absolut, ja, stimmt! Dem Weißen Ring, ja!
Kassel: Wir wünschen dem Weißen Ring alles Gute und ich persönlich wünsche auch Ihnen alles Gute. Danke fürs Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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