Opernsanierung in Stuttgart

Eine Geschichte wie ein Libretto

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Die beleuchtete Staatsoper Stuttgart und der Mond spiegeln sich nachts im Eckensee.
Ein Hingucker: das über hundert Jahre alte Gebäude der Staatsoper Stuttgart. Doch das Innenleben ist marode und sanierungsbedürftig. © picture alliance/dpa/Marijan Murat
Von Uschi Götz · 21.11.2019
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Der Bauzustand der renommierten Staatsoper in Stuttgart sei erbärmlich, klagt ihr Intendant. Eine Milliarde Euro könnte die Sanierung kosten. Das sorgt für Aufregung in der Stadt − alle denken an ausufernd teure Projekte wie die Elbphilharmonie.
"Wenn man über ein Staatstheater redet im Jahre 2019, finde ich, müssen wir darüber reden, welche Aufgabe Kunst und Kultur in Zeiten hat, die ja doch dafür kämpfen muss, dass die Grundwerte unserer Gesellschaft, nämlich: Freiheit, Brüderlichkeit und Solidarität, dass die auch Institute haben, wo genau das verhandelt wird. Und dafür ist ein Staatstheater auch im Jahre 2019 unabdinglich", sagt Viktor Schoner, Intendant der Staatsoper Stuttgart. "Wir sind dafür da, eine Scheinwelt zu kreieren. Dafür werden wir auch bezahlt. Und es gelingt uns manchmal fast zu gut, weil wir natürlich von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt gefragt werden: Muss man das denn wirklich sanieren?"
Ja, man muss! Darüber sind sich alle einig. Nur über die Höhe der Sanierungskosten wird in den kommenden Monaten noch heftig diskutiert werden.
Viktor Schoner, Bratschist und Musikwissenschaftler, ist seit einem Jahr Intendant, in dem (nach der Zahl seiner 1400 Mitarbeiter) größten Drei-Sparten-Betrieb der Welt. In keine deutsche Stadt ging die Auszeichnung "Oper des Jahres" häufiger, das Ballett genießt seit den Tagen von John Cranko Weltruf.

Erbärmliche Arbeitsbedingungen

Das Gebäude ist allerdings in die Jahre gekommen. Die Arbeitsbedingungen werden als unterirdisch bezeichnet. Selbst in strengen Wintern bleibt kein Schnee auf dem Dach, weil so viel Wärme entweicht. Die Elektrik sei in einem dramatischen Zustand.
Viktor Schoner, der Intendant der Staatsoper Stuttgart, steht vor dem Opernhaus.
Viktor Schoner beklagt "erbärmliche" Arbeitsbedingungen an der Oper.© picture alliance/dpa/Bernd Weißbrod
Der Platzmangel für Sänger, Tänzer und Musiker ist groß, die Bühne für einen modernen Probe- und Spielbetrieb viel zu klein. Nach dem Vorbild der Dresdner Semper-Oper soll deshalb das ganze Gebäude gedehnt werden.
"Ich sag' Ihnen, die Wahrheit ist, und ich lade jeden ein, aus Stuttgart, aus Baden-Württemberg-Raum, aus ganz Deutschland, einmal eine Backstage-Führung zu machen und zu sehen, wie unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, unsere Musikerinnen und Musiker, unsere Tänzerinnen und Tänzer wirklich erbärmlichste Probesituationen und Arbeitsplatzsituationen… allein die Färberei, ich glaube, kein Arbeiter bei Daimler würde eine solche Färberei je auch nur betreten. Da gibt es einfach Sanierungsbedarf, weil das Haus zum Glück im Krieg nicht zerstört wurde und auch nie wirklich grundsaniert wurde. Und jeder, der einen Altbau hat, weiß, man muss da jetzt ran."

Es geht um eine Milliarde Euro

Und das ist ein Riesenunterfangen mit allen Zutaten eines klassischen Libretto: Es gibt Konflikte, Gegner und Verbündete, es geht um viel. Ein glücklicher Ausgang für das Große Haus der Württembergischen Staatstheater, wie die Oper offiziell heißt, ist noch lange nicht gesichert. Aber, immerhin, der Anfang mit umfangreichen Rechnungen und Planungen ist gemacht.
Endlich, stöhnen Beschäftigte, Publikum und Kommunalpolitiker, denn debattiert wird seit Jahren. Im Frühjahr, auf der nächsten Sitzung des zuständigen Verwaltungsrats, könnten endgültige Entscheidungen fallen. Dazu, wo der Spielbetrieb während der mehrjährigen Sanierungsphase stattfinden soll. Und zum lieben Geld. Dem Klischee zufolge ist das den sparsamen Schwaben besonders teuer. Die Zahl, die auf dem Tisch liegt, hat neun Nullen und deshalb das Zeug, erst recht für viel Aufregung zu sorgen in und um Stuttgart.
Eine Milliarde Euro, nur um eine Oper zu sanieren? Staatssekretärin Gisela Splett aus dem grün geführten Finanzministerium: "Wir haben uns jetzt bei den württembergischen Staatstheatern darum bemüht, sehr seriös dran zu gehen. Mit dem heutigen Stand auf Grund der Flächenanforderungen, die da ist, eine raumscharfe Studie zu erstellen, damit Kosten zu ermitteln, einen Risikozuschlag draufzulegen, weil wir eben noch am Anfang der Planung stehen und dann auch noch die Baukostensteigerung einzurechnen."

Ein finanzielles Debakel soll vermieden werden

Es hängt nun davon ab, ob die Träger der Staatstheater – die Stadt Stuttgart auf der einen Seite und das Land Baden-Württemberg auf der anderen – ihre neue "optimierte Kostensteuerung" glaubhaft vermitteln können. Ziel ist es, ein finanzielles Debakel wie beim Bau der Hamburger Elbphilharmonie oder aktuell rund um die Kölner Oper zu vermeiden.
Nur wenige Meter vom Theater entfernt klafft die Baulücke des Bahnprojekts Stuttgart 21. Bei der Sanierung der Theater will man von Anfang an alles richtig machen.
"Ich glaube, da haben wir schon noch einiges vor uns. Es ist ja so, dass wir auch für verschiedene Gremien brauchen, Stadt und Land, wo wir Mehrheiten brauchen, die das Projekt unterstützen. Und es ist offensichtlich doch ein eher ungewöhnliches Verfahren, dass man versucht, am Anfang wirklich ehrlich mit der großen Zahl in die Debatte zu gehen und sich eben nicht mit einer kleinen Anfangszahl reinzuschleichen in so ein Projekt", sagt Splett.
Vor dem Verwaltungsrat müssen Gemeinderat und Landtag ihre Zustimmung für die hochfliegenden Pläne. Stuttgarts grüner Oberbürgermeister Fritz Kuhn traut sich zu, eine Mehrheit zu zimmern, obwohl 2020 die nächste OB-Wahl ansteht in Deutschlands sechstgrößer Stadt. Er sagt: "Gerade im Wahlkampfjahr, wo die OB-Wahl ist und ein Jahr später die Landtagswahl, wird es um die Frage gehen, wer stellt sich der Verantwortung oder wer schlägt sich vor lauter Verantwortung in die Büsche und darüber wird man natürlich heftig streiten."

Eine Verantwortung der Gesellschaft

Petra Olschowski, die parteilose Kunststaatssekretärin der grün-schwarzen Landesregierung, zeigt schon einmal die Argumentationslinie auf: "Ich bin schon der Meinung, dass in unserer Gesellschaft und in unserer Demokratie die Kultur dann frei und unabhängig agieren kann, wenn der Staat als Vertreter der Gesellschaft die Kultur finanziert, zumindestens in weiten Teilen. Und ich glaube, dass wir in diesem Sinne auch Verantwortung tragen für eine Institution: zum einen nämlich die württembergischen Staatstheater, aber auch für ein Gebäude, nämlich den Littmann-Bau im Herzen der Stadt als kulturelles Zentrum, direkt neben dem Landtag, als historisches Gebäude mit Geschichte. Und das beides zusammen, würde ich sagen, ist Aufgabe der Gesellschaft und damit stellvertretend Aufgabe des Landes Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart."
Auch im Land wird gewählt. 2021 soll aus CDU-Sicht der letzte Vorhang für den grünen Publikumslieblings Winfried Kretschmann fallen. Das ist zwar äußerst unwahrscheinlich, macht einen entscheidenden Akt der Sanierungsgeschichte aber noch zum Prestigeduell. Susanne Eisenmann, Kultusministerin und CDU-Chefin im Land, tritt als Spitzenkandidatin gegen Kretschmann an:
"Wir haben jetzt eine realistische Kostenschätzung, eine ehrliche Kostenschätzung auf dem Tisch liegen, die von einer Größenordnung von letztendlich einer Milliarde Euro ausgeht. Es muss man sich natürlich angucken, da geht es um sehr viel Geld. Da geht es um sehr viel Geld, das wir in den Kulturstandort Stuttgart, Baden Württemberg investieren wollen. Und deshalb werden wir uns die Zeit nehmen. Aber dass eine Notwendigkeit da ist, ist unbestritten. Aber Planungen, Abläufe, Umsetzung wird man sich sicher noch mal angesichts dieser Summen anschauen müssen. Und das werden wir als CDU konstruktiv auch tun."

Hören Sie auch folgenden Beitrag von Uschi Götz, in dem unsere Autorin auf die Geschichte der Staatsoper Stuttgart blickt:
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