Opern-Intendant Barrie Kosky

„Manchmal muss man Mamas Busen geben“

33:58 Minuten
Barrie Kosky im Zuschauerraum der Komischen Oper Berlin
Eine patriarchische Intendantenrolle? "Das ist nichts für mich", sagt Barrie Kosky. © Jan Windszus Photography
Barrie Kosky im Gespräch mit Britta Bürger · 30.11.2018
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Barrie Kosky ist ein Macher. Was der Theater- und Opernregisseur anpackt, wird zum Erfolg: ob in New York, Edinburgh oder Wien. Seit 2012 leitet Kosky die Komische Oper Berlin – und wird von seinen Mitarbeitern ebenso geliebt wie vom Publikum.
Der "herzvolle" Patriarch und die liebevolle Mutter – zwischen diesen beiden Polen wandelt Barrie Kosky als Intendant der Komischen Oper Berlin jeden Tag aufs Neue. Es gelte, die Mischung zu finden zwischen harten Entscheidungen und mütterlichem Beistand.
"Ich habe andere Kollegen gesehen, die diese sehr patriarchische Intendantenrolle spielen. Das ist nichts für mich. Ich muss manchmal meine andere Seite bringen und das kommt durch die Kunst. Ich glaube, Kunst ist fast eine feminine Form. Das Schaffen kommt von der femininen Seite der Männer. Und manchmal muss man auch Mamas Busen geben, um zu sagen: Alles wird okay!"

"Ein komplizierter Diaspora-Cocktail"

Seit vielen Jahren wohnt und arbeitet Barrie Kosky nun schon in Berlin, geboren und aufgewachsen ist er allerdings Down Under. "Ich habe einen sehr komplizierten Diaspora-Cocktail", sagt der 51-Jährige über seine Familiengeschichte. Seine Großeltern kamen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als jüdische Migranten aus Belarus, Polen und Ungarn nach Australien. Er selbst habe mit seiner Heimat – trotz des reichen Kulturangebots – als Jugendlicher immer etwas gefremdelt.
"Ich habe das Gefühl gehabt, dass etwas mit meiner Beziehung zu Australien nicht stimmt: Der strahlende Sonnenschein, der Strand und die Sportbesessenheit. Ich hasse Sport. Das war für einen jungen Australier ungewöhnlich."
Seine Passion für Kunst und Bühne hat er dagegen früh gefunden. Schon als Dreijähriger nahmen ihn seine Eltern mit ins Theater. "Meine erste Erinnerung war, dort in der Dunkelheit zu sitzen und vorne aus der Dunkelheit kommen Licht und Farben und Bewegungen. Das hat mich wirklich beeinflusst." Auch seine Großeltern eröffneten ihm schon als Kind die Chance, das ganze Spektrum der Kunst zu erfahren. Sie nahmen ihn mit in die Oper, in Symphoniekonzerte, zu Tanz- und Theaterveranstaltungen, in Ausstellungen und ins Musical.

Offenheit als Erfolgsrezept

Mit seiner ersten Regiearbeit als 15-Jähriger an der Schule stand für ihn fest, was er für den Rest seines Lebens machen wollte. Seit 2012 ist der Theater- und Opernregisseur nun an der Komischen Oper Berlin zuhause. In dieser Zeit ist dort um Kosky herum eine Familie gewachsen, seine Opern-Familie. Regelmäßig spielen sie vor ausverkauftem Haus. Das Geheimnis liege in der Offenheit der Komischen Oper, die von "großer ernsthafter Oper, Operette, Musical und Kinderoper" alles im Programm habe.
Die Vielfalt des Publikums findet er besonders bemerkenswert – auch im internationalen Vergleich.
"Alle meine Freunde aus anderen Ländern kommen, sitzen da und sind sprachlos: Was für ein Publikum ist das? Zwei tätowierte queere Berliner Männer sitzen neben 80er-Jahre-DDR-ehemalige-Abonnement-Menschen und dann noch die 18-Jährige – ich meine, das ist eine fantastische Mischung."

Neuer Zugang zu "Anatevka"

Gerade hat Kosky zum 100. Geburtstag von Leonard Bernstein dessen "Candide" inszeniert. Auch mit "Anatevka", dem Musical über ein Schtetl polnischer Juden Anfang des 20. Jahrhunderts, das seit den 60er-Jahren wieder und wieder aufgeführt wurde, findet Barrie Kosky einen neuen Zugang. Er selbst sieht darin Parallelen zur eigenen Familiengeschichte – jeder im Zuschauerraum finde aber seine eigene Aktualität.
"Es wurde in Neu Delhi gespielt, in Russland, in Afrika und Südamerika. Die Geschichte von einer Gemeinschaft, von Regeln, von Kindern, die weggehen möchten gegen den Willen ihrer Eltern, das ist zeitlos und hat nicht nur etwas mit dem Judentum zu tun. Ich glaube, der Erfolg liegt darin, dass die Leute im Zuschauerraum sitzen und ihre persönliche Verbindung mit diesem Stoff machen."
(er)
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