"Candide" an der Komischen Oper Berlin

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Leonard Bernstein Candide Musical in zwei Akten [1956/1999] Auf dem Bild: Allan Clayton (Candide) und Mitglieder des Tanzensembles
Szenenbild der Oper "Candide" von Leonard Bernstein in der Inszenierung von Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin. © Monika Rittershaus
Von Jürgen Liebing · 24.11.2018
Mit einem Festival würdigt die Komische Oper Berlin den 100. Geburtstag Leonard Bernsteins. Am Sonnabend feierte das Musical "Candide" in der Inszenierung von Barrie Kosky Premiere. Für Kritiker Jürgen Liebing ein zwiespältiger Abend.
Wir leben in der besten aller Welten, behauptete der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz im 17. Jahrhundert. Sein französischer Kollege Voltaire konterte diese Behauptung 1759 mit der satirischen Novelle "Candide", in der er einen etwas tumben und begriffsstutzigen Jungen aus Westfalen um die Welt schickt und dabei alle nur erdenklichen Schrecknisse erleben lässt: Krieg in Bulgarien, Erdbeben in Lissabon, Inquisition in Spanien, Vergewaltigungen allerorten, Ausbeutung, Menschenhandel und vieles mehr. Stets wird Candide von seinem Lehrer Dr. Pangloss, alias Leibniz, begleitet, der stur bei seiner Behauptung bleibt. Erst am Ende muss auch er eingestehen: Die Welt ist, wie sie ist.
Tanzszene aus "Candide" von Leonard Berstein in der Inszenierung von Barrie Kosky mit Anne Sofie von Otter als Die alte Dame vorne in der Mitte zwischen den Tänzern des Ensembles.
Anne Sofie von Otter überzeugte wie auch die anderen großen Stars gesanglich. © Monika Rittershaus
Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper, hat vor ein paar Jahren Bernsteins "West Side Story" inszeniert, ein riesiger Erfolg, und nun wollte er schließlich "Candide" ins Rampenlicht holen. Ist es eine Operette, ein Musical oder gar eine Oper? "Candide" ist von allem etwas, auf alle Fälle eine temporeiche Revue, in der blitzschnell Ort und Zeit wechseln. Koskys Trick, das zu ermöglichen, ist die leere, schwarze Bühne, auf die nur ab und an ein paar Requisiten geschoben werden (Ausstattung: Rebecca Ringst). Pangloss, der zugleich eine Art Conférencier ist, erklärt wortgewandt und witzig, wo wir bzw. die Protagonisten, gerade sind.

Eine rasante und pralle Inszenierung

Diese Inszenierung ist ein typischer Kosky, was heißt, rasant und prall. Und natürlich wird viel getanzt (Choreografie: Otto Pichler). Da hüpfen etliche Showgirls, die wie bei Kosky und Pichler meistens, Showboys sind, über die Bühne. Da füllt viel Volk den leeren Bühnenraum. Über 800 Kostüme wurden von Klaus Bruns entworfen und in den Werkstätten geschneidert. Hinter der Bühne dürfte noch mehr los gewesen sein als auf ihr, denn der Kostümwechsel erfolgt meistens blitzschnell. Mal sind es bulgarische Soldaten, dann wieder Sombrero schwingende Südamerikaner, oder harlekineske Venezianer beim Karneval.
Es wird viel gelacht, zu viel, denn eigentlich müsste einem das Lachen im Halse stecken bleiben. Aber hier gilt wohl die Devise: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Nicole Chevalier ist zurück an der Komischen Oper

Der Kanadier Jordan de Souza, seit der letzten Spielzeit Kapellmeister der Komischen Oper, trifft den Ton der Bernstein’schen Musik, allerdings geriet der manchmal etwas zu bieder. Broadway ist anders. Der Bayer Franz Hawlata ist Dr. Pangloss und zu Beginn Voltaire mit einer riesigen Perücke. Auch ein Bassbariton kann spielen, mal mit mal ohne Perücke, mal im Rollstuhl sitzend, weil an Syphilis erkrankt, mal bedeutungsschwer deklamierend, mal mit zynischem Kommentar. Anne Sofie von Otter ist die "alte Frau", sehr überzeugend.
Nicole Chevalier, die für diese Produktion an die Komische Oper zurückgekehrt ist, gibt Kunigunde, die geliebte Candides. Sie verlieren sich und finden sich doch immer wieder. Der Engländer Allan Clayton füllt die Rolle des Titelhelden vollkommen aus, ein etwas pummeliger Junge, der seinem Lehrer so gern glauben möchte, dass diese Welt die beste aller Welten ist, und der lange braucht, bis er begreift: Sie ist, wie sie ist.
Mehr zum Thema