Opern-Geschichte

Liebe unter Männern, vor dem Großen Berg

Von Holger Noltze  · 28.01.2014
Aus Annie Proulxs Geschichte vom "Brokeback Mountain" ist ein Zweistundenwerk der neueren Musik geworden, in dem zwei Cowboys Liebesduette singen und Schattensex im Zelt haben. Madrid feiert Werk und Darsteller.
Schwer atmet der Berg, wie aus "Rheingold"-Urtiefen tönen Bassklarinette, Kontrafagott, Charles Wuorinen mischt dunkelste Bläser- und Streicherfarben zu einem Naturbild, das weit bedrohlicher klingt als alle Cinemascope-Panoramen, die 2005 Ang Lee zum Hintergrund seines Hollywood-Dramas über die schwulen Cowboys Jack und Ennis machte. "Brokeback Mountain", das war schon im Kino eine Oper, und es war eine alte Lieblingsidee Gerard Mortiers, die Geschichte von Annie Proulx nun wirklich zur Oper kommen zu lassen.
Um zu hören, wie der Berg klingt, war so viel internationale Presse nach Madrid gereist, dass "El Mundo" am nächsten Morgen posaunte, Madrid sei nun die Hauptstadt der Oper. Was war geschehen? Es war geschehen, dass der Skandal nicht eingetreten war; dass ein Zweistundenwerk der neueren Musik, in dem zwei Cowboys Liebesduette singen und Schattensex im Zelt haben, nicht niedergebuht, sondern ziemlich freundlich aufgenommen worden war.
Böse Ironie ist es, dass sich Mortier mit dieser zweifachen Herausforderung an das konservative Stammpublikum des Real zu einem Zeitpunkt durchsetzt, als er von einer tief provinziellen Kulturpolitik bereits vom Intendanten zum "künstlerischen Berater" degradiert worden ist.
Annie Proulx hat das Libretto selbst geschrieben, sie hat die Einsilbigkeit der Männer von Wyoming in einen klugen Operntext verwandelt, auch wenn man "Jack" ja fast gar nicht singen kann. Das Scheitern der Eheversuche der Cowboys, die Zeitraffer-Episoden dieser Liebenden, die nur am Rand der Welt, nicht aber in ihr zueinander kommen können, all das wird elegant, schnell erzählt und von Ivo van Houwes der Deutlichkeit dienender Regie gut gezeigt. Was die Oper nicht zeigt, ist, wie Jack wirklich stirbt: Im Film ist zu sehen, wie homophobe Sittensherriffs einen Schwulen erschlagen, die Oper macht es besser und lässt es offen.
Der Musik fehlt der rechte Flow
Das alles ist anrührend und kein bisschen provokant inszeniert und dies bestimmt nicht, um vor der Homophobie, die in Spanien sehr wohl noch ein Thema ist, in Deckung zu gehen. Denn größer, groß wie der "Brokeback Mountain", ist das Thema von der Liebe, die nicht sein kann, hier ist die Oper zuständig; und vielleicht deshalb sah sich der Komponist umgeben von Abgründen, verlockenden Gefahren: am Ende eine Puccini-Oper daraus zu machen, oder ein Musical, oder Filmmusik, oder Tristan und Isolde im mittleren Westen.
All das tut Charles Wuorinen ganz und gar nicht, ein erfahrener Mann der amerikanischen Musik einer gemäßigten Moderne, Jahrgang `38, Pulitzerpreisträger wie Proulx. Doch zwischen der eindrucksvollen Musik des Berges am Anfang und der großen Klageszene des überlebenden Ennis am Schluss will seine Musik vor lauter Gekonntheit und Diskretion den rechten Flow nicht finden, lässt zuviel Erwartbares, raffiniert Kommentierendes, aber wenig von der Magie hören, die Opern haben, die große Berge nicht allein zeigen, sondern sind.
Daniel Okulitch ist Ennis, der anfangs kaum den Mund aufbekommt und dann doch das meiste zu singen hat, ein bestens besetzter Cowboy-Bariton; Tom Randle hätte dem Jack noch etwas mehr Tenorschmelz mitgeben können, der Oskar für die beste Nebenpartie geht an Jane Henschel als Jacks Mutter, nein: als Menschendarstellerin.
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