Oper "Leonore 40/45" in Bonn

In der Vergangenheit fürs Heute geschrieben

06:47 Minuten
Die Opernsänger Barbara Senator und Santiago Sanchez in Kostümen auf der Bühne am Theater Bonn. Hinter ihnen sind Porträts von Adolf Hitler und Winston Churchill als Figuren mit Klappmaul zu sehen.
Feindesliebe und Völkerverständigung: Barbara Senator und Santiago Sanchez mit Pappfiguren von Hitler und Churchill in "Leonore 40/45". © Theater Bonn / Thilo Beu
Stefan Keim im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 10.10.2021
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Mehr als 60 Jahre lang wurde die Oper "Leonore 40/45" von Rolf Liebermann nicht mehr aufgeführt. Fast überall stieß das Werk damals auf Proteste. Der Komponist war seiner Zeit einfach voraus, sagt Kritiker Stefan Keim.
Als Rolf Liebermanns Oper "Leonore 40/45" in den 1950er-Jahren auf die Bühnen kam, stieß sie vielerorts auf Ablehnung. Mit der Geschichte über eine junge Französin, die sich im Zweiten Weltkrieg in einen deutschen Wehrmachtssoldaten verliebt, wollte der Weltbürger Liebermann eine Oper der Völkerverständigung schreiben. Stattdessen gab es Proteste und sogar Vorwürfe der Fraternisierung mit dem Feind.
Bei der Premiere der Neuinszenierung am Theater Bonn habe es dagegen großen und langen Publikumsjubel gegeben, sagt Opernkritiker Stefan Keim. "Sogar als das Licht wieder anging, wurde noch weiter geklatscht, Bravo gerufen und das Ensemble noch einmal nach vorne geholt. Ich glaube, da hat Rolf Liebermann wirklich in den 50er-Jahren ein Stück für unsere Zeit geschrieben."

Süffige und melodische Musiksprache

Regisseur Jürgen R. Weber habe das Werk in seinem historischen Kontext gelassen, sagt Keim. "Das muss auch sein, denn die Brisanz dieser Oper wird nur dadurch deutlich." Er habe aber auch "durch Animationsfilme à la Monty Python's Flying Circus" eine zweite Ebene eingebaut, in denen man Adolf Hitler und Churchill als Klappmaulfiguren und respektlose Karikaturen sehe.
Das Ensemble mit Pavel Kudinov, Santiago Sanchez, Barbara Senator und Susanne Blattert (vorn v.li.) in Kostümen auf der Bühne am Theater Bonn. Über ihnen hängt ein riesiger Bilderrahmen, in dem eine Collage mit Beethoven, der Jungfrau von Orléans und Adolf Hitler zu sehen ist.
Pavel Kudinov, Santiago Sanchez, Barbara Senator und Susanne Blattert (vorn v.li.) in Leonore "40/45" am Theater Bonn.© Theater Bonn / Thilo Beu
Der Titel der Oper spiele auf die Hauptfigur in Beethovens Oper "Fidelio" an. Als Variante der humanistischen Ideale von Beethoven könne man sie auch betrachten, sagt Keim. Am Anfang sei auch eine Aufführung von "Fidelio" im Radio zu hören.
"Leonore heißt hier aber Yvette und wird von Barbara Senator ganz wunderbar lyrisch gesungen. Es ist vor allen Dingen eine Musiksprache, die die Zwölftontechnik und die damals aktuelle zeitgenössische Musik aufgreift, aber extrem süffig und melodisch klingt."

Intelligentes Spiel mit verschiedenen Ebenen

Regisseur Weber arbeite sehr intelligent mit unterschiedlichen Ebenen, sagt Keim. "Das Orchester sitzt auf der Hinterbühne und wir sehen es nur über das Video, in einem riesigen, klassischen und sehr fetten Bilderrahmen, den wir so vom Museum bei klassischen Gemälden kennen."
Hochinteressant sei auch die Figur des Monsieur Emile. "Das ist der rettende Engel, der ist wie aus dem Theater von Bertolt Brecht, eine Art Conférencier, ein Deus ex Machina, der die Handlung sowohl auslöst, durch sie führt und sie kommentiert."
Der herausragende Joachim Goltz schaffe es dabei, "kabarettistische Leichtigkeit mit wotanesken Wagner-Zitaten zu unterfüttern". Es wäre extrem schade, wenn diese Oper wieder in der Versenkung verschwände, sagt Keim. Die Themen Feindesliebe und Bereitschaft, über den eigenen Schatten zu springen, würden komödiantisch und unterhaltsam aufbereitet. "Das ist eine Oper, die ich gerne öfter sehen möchte."

Leonore 40/45
Oper von Rolf Liebermann
Regie: Jürgen R. Weber
Theater Bonn
bis 22. Oktober 2021

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