Oper

Empört stammelt die Sängerin

Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main
Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main © picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Von Natascha Pflaumbaum · 14.09.2014
In Rolf Riehms Oper krachen die Künste lustvoll aufeinander: Mit Musik, Akrobatik, Gesang und Video hat er einen klassischen Stoff in eine kunstvolle Performance umgewandelt. Die Tragödie ist an manchen Stellen sogar witzig geworden.
Es ist eine alte Geschichte, die Rolf Riehm in seiner neuesten Oper "Sirenen – Bilder des Begehrens und Vernichtens", die nun an der Oper Frankfurt uraufgeführt wurde, erzählt: die Liebesgeschichte von Kirke und Odysseus – und damit verbunden die Geschichte der Sirenen, deren Gesang betörend und vernichtend zugleich ist. Nach einer kurzen Affäre mit Kirke verlässt Odysseus seine Freundin. Kirke lässt ihn ziehen und gibt ihm ein Geheimnis mit auf den Weg: Er solle sich an den Mast seines Schiffes binden und sich Wachs in die Ohren stopfen – nur so könne er dem Gesang der Sirenen entgehen. Kirke weiß: Nur mit diesem Trick hat Odysseus überhaupt die Chance, je wieder zur ihr zurückzukommen. Aber er kommt nicht.
Und jetzt jammert sie: Mit einem atemberaubenden Lamento der Kirke (Tanja Ariane Baumgartner) beginnt diese neue Riehm-Oper. Mit einem empörten "Wir" stammelt sich die Sängerin in eine herzzerreißende Melodie hinein, aus staccatohafter Empörung erwächst schöner Gesang, den der Komponist Rolf Riehm der Frankfurter Sängerin exakt in die Kehle geschrieben hat. Baumgartner singt die anspruchsvolle Arie leichtfüßig – fast wie aus dem Stegreif: unangestrengt, selbstbewusst, als handelte es sich um ein Repertoirestück. Und einige Zeit später sind es dann die Sirenen, die mit cleveren Melodien Odysseus bezirzen wollen. "Come here", kreischen sie ihn an – wie eine Girl-Group aus der Pop-Branche.
Peitschenhiebe als Rhythmus
Um Melodie dreht sich alles in Rolf Riehms neuer Oper, darum heißt sie auch "Sirenen" und nicht "Kirke und Odysseus", denn nur wer die Melodie kennt, hat die Macht. Diese Melodie wird allerdings schon von Anfang an unterminiert durch einen nervösen Rhythmus, der selbst besonders klingen will, der also nicht bloß durchmetrisiert, sondern der der Melodie Konkurrenz macht: durch Klopfen, Pochen, Trommeln – in allen Variationen. Dieses Pochen, Trommeln, Klopfen zieht sich durch die ganze Oper, ziemlich trickreich: erst ganz konventionell mit Trommeln, auch mit Pauken auf der Bühne, mit Glockenspiel, mit Kuhglocken, mit Klanghölzern, Kastagnetten gespielt. Dann greift Riehm zu exotischeren Utensilien: zu Kartons, vier Holzbohlen, zu einer kleinen Metallwanne, einem leeren Blecheimer ("Gurkeneimer"), einer Peitsche. Alles das interveniert beim Singen der schönen Melodie.
Riehm wählt dazu eine besondere Interventionsstrategie: den dynamischen Kontrast, das heißt, er lässt es ziemlich laut und oft krachen. Er komponiert keine musikalischen Übergänge, sondern arbeitet fast ausschließlich mit Brüchen, mit Kontrasten, heftet und flickt aneinander, wo es nur geht. So entsteht ein brüchiger Klang, etwas Widerborstiges, als Abbild für die inneren Welten von Kirke und Odysseus. Rolf Riehm selbst spricht hinsichtlich der Konstruktionsweise dieser Oper von Samples, mit denen er arbeitet. Diese Samples werden zu Plaques zusammengefügt, die wiederum bilden Plateaus. Wie auch immer diese musikalische Molekularbildung zu verstehen ist: das Additive, das Zusammenfügen von Elementen, das hört man der Musik sofort an, die größeren Einheiten ergeben sich erst in der Rückschau.
Ein Spektakel, das alle Sinne ansprechen soll
So disparat die Musik ist, so disparat ist die Geschichte erzählt. Es gibt keine lineare Erzählung, sondern acht Bilder, die assoziativ wie in einem Film zusammengeschnitten sind. Das Libretto mag beim bloßen Lesen holzschnittartig erscheinen, überraschend geradlinig und leicht verständlich erzählt sich die Geschichte dann aber doch auf der Bühne weg. Riehms Odysseus-Adaption ist klar und einfach in der Sprache, der Regisseur Tobias Heyder wählt zudem eine klare und einfache Umsetzung: Er schafft auf der großen, dunklen, weiträumigen Bühne von Tilo Steffens große Tableaus, in denen sich die Sänger wie in einem schönen Bild arrangieren. Allein Michael Mendl als Odysseus-Darsteller bewegt sich viel, allerdings endet auch jede seiner Bewegung in der schönen Pose.
Rolf Riehms "Sirenen"-Partitur ist im Prinzip angelegt wie ein großes Drehbuch: Er komponiert nicht nur eine Oper, sondern arrangiert eine komplexe Performance aus Musik, Schauspiel, Gesang, Video und Akrobatik. Eine der Sirenen (Antje Mertens) macht Kunststücke an einem Vertikalseil, klettert zum Schnurboden rauf und gleitet am Seil wieder herunter. Das ist schick, aber eher dekorativ, so wie auch der Kontrabassist, der auf der Bühne eine singende Säge spielt, so wie auch die Filmprojektionen im Technicolor-Stil der 50er-Jahre oder die Audiozuspielungen im Zuschauerraum. Die Partitur gibt akribisch Anweisungen zu diesem komplexen Sirenen-Spektakel, das alle Sinne ansprechen soll.
Der Dirigent vollbringt eine Meisterleistung
Der Dirigent Martyn Brabbins muss also nicht nur ein Orchester dirigieren, sondern er muss diese verschiedenen Levels so in Einklang bringen, dass sie harmonisch ineinandergreifen. Die Musik kontrolliert Brabbins bestens, was eine Meisterleistung ist, da viel Musik auf die Bühne schwappt: Musiker treten spielend als Teil des Bühnengeschehens auf, trommeln dort auf Holzbalken herum, hämmern brachial mit den Unterarmen auf ein Klavier ein oder spielen vorzüglich Akkordeon. Und Brabbins muss diese musikalische Performance auf der Bühne und im Orchestergraben zu einem großen Klangereignis mischen. Zum Glück hat er da so routinierte Sänger wie Tanja Baumgartner (Kirke) und den Countertenor Lawrence Zazzo (Odysseus) zur Hand, die die Partie, vor allem aber die Haltung zu dieser Musik so verinnerlicht haben, dass man sie nicht durch diese Uraufführung führen muss.
Am Ende treffen sich Odysseus und Kirke in dem Land, wo die Lebenden zu den Toten reden. Sie haben beide nicht bekommen, was sie wollen: Kirke die Liebe nicht und Odysseus nicht die Wahrheit. Und so schauen sie sich nicht einmal mehr an und bleiben desillusioniert zurück. Wie auch das Frankfurter Publikum, das sich im Applaus wenig enthusiastisch und verunsichert zeigt. Dabei ist Riehms Oper gut gemacht. Ein Fest für die Sinne und ein Spiel für den Intellekt. Riehm erzählt die Sirenen-Geschichte mit seinen sehr persönlichen Mitteln, und allein das ist kunstvoll, anregend, ja mitunter sogar sehr unterhaltsam und witzig. Er ist ein fantastischer Erzähler, das zeigt diese neue Oper aufs Beste. Allein die Frage bleibt, warum er uns diese Geschichte heute erzählt.
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