Olivier Assayas über "Personal Shopper"

Wenn eine einsame Frau in ihre Geisterwelt flüchtet

Eine einsame Proletarierin der Modeindustrie: Kristen Stewart als Maureen im Film "Personal Shopper" von Olivier Assayas
Eine Proletarierin der Modeindustrie: Kristen Stewart als Maureen im Film "Personal Shopper" von Olivier Assayas © Weltkino Filmverleih
Regisseur Olivier Assayas im Gespräch mit Patrick Wellinski · 14.01.2017
Was bedeutet es, in einer vernetzten Welt alleine zu sein? Diese Frage stehe hinter seiner Hauptfigur Maureen in "Personal Shopper", sagt Olivier Assayas: Ihr Job ist so frustrierend und sie selbst so einsam, dass sie beginnt, mit anderen Welten zu kommunizieren.
"Do you believe in ghosts?"
"Yes, I think we all believe in ghosts"
Patrick Wellinski: Der, der da so überzeugt an Geister glaubt, das ist der französische Regisseur Olivier Assayas. Er gilt Jahren als einer der besten Filmemacher Europas. Zuletzt drehte er mit Juliette Binoche und Kristen Stewart "Die Wolken von Sils Maria". Ein Film über eine alternde Diva und ihre Assistentin, die fast zu einer Person verschmelzen. Sein neuster Film heißt "Personal Shopper". Und Kirsten Stewart spielt hier wieder eine Assistentin. Maureen, eine junge Frau, die in Paris als "Personal Shopper" Einkäufe für Reiche macht, aber innerlich leidet sich unter dem Verlust ihres Zwillingsbruders. Doch dann bekommt sie SMS von einem Unbekannten
(O-Ton Film)
Was uns wieder zu den Geistern bringt. Denn "Personal Shopper" ist eine sehr moderne Geistergeschichte geworden. Und genau darüber wollte ich mit Oliver Assayas sprechen, als wir uns im Dezember getroffen haben. Also wieder auf Anfang. Glauben Sie an Geister, Herr Assayas?
Der französische Regisseur Olivier Assayas freut sich am 22.5.2016 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes über die Auszeichnung als "Best Director" für seinen Film "Personal Shopper".
Olivier Assayas freut sich bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes über die Auszeichnung als "Best Director" für "Personal Shopper.© picture alliance / dpa / Julien Warnand

"Unsere inneren Konversationen enthalten oft eine Menge Geister"

Assayas: Ich denke, wir glauben alle an Geister. Das Wort "Geist" ist letztlich sehr vage. Aber ich glaube, wir leben mit all den geliebten Menschen, die wir verloren haben, wir leben mit Filmfiguren, mit literarischen Figuren, die einen Eindruck hinterlassen haben. Ich glaube, dass unsere inneren Konversationen extrem komplex sind und sie enthalten oft eine Menge Geister.
Wellinski: Wir im Westen denken ja immer, wir sind ja so rational und es gibt keine Geister.
Assayas: Ich denke, es gibt Geister. Es ist schwer, vollkommen rational zu sein, weil es so viele Dinge in der Welt um uns herum gibt, die wir nicht wissen oder nicht verstehen. Ein Mensch zu sein wird auch dadurch definiert, dass wir uns irgendwo in der Mitte zwischen der realen und unserer inneren Welt, unseren Fantasien, befinden. In der echten Welt gibt es Dinge, die in unserer Nähe sind, die wir verstehen, und dann gibt es Dinge, die sehr weit weg sind, die wir kaum verstehen, die mysteriös bleiben. Auch in uns selbst gibt es diesen Unterschied zwischen unserer bewussten Seite und der unbewussten oder unterbewussten, die wir nicht wirklich vollkommen verstehen. Es ist also ziemlich schwierig angesichts von Bereichen, über die wir gar nichts wissen, komplett rational zu sein. In diesem Sinne glaube ich nicht, dass ich eine rationale Person bin.
Wellinski: In gewisser Weise ist "Personal Shopper" eine sehr gradlinige Geschichte über die Einsamkeit. Was stand am Anfang für Sie? Die Idee, einen Film über die Einsamkeit zu machen, oder eher das Gefühl, dass es für Olivier Assayas nun mal Zeit für eine Geistergeschichte ist?

"Ich mochte diese Figur, die auf sich gestellt war"

Assayas: Es geht schon sehr stark um die Einsamkeit. Das Geister-Element kam erst später dazu. Es ging von Anfang an darum, wie die Einsamkeit unserer Zeit von verschiedenen Anwesenheiten beeinflusst wird, was es bedeutet, in einer vernetzten Welt alleine zu sein. Mir gefiel die Idee einer Person, die einen frustrierenden Job hat, der sie von sich selbst entfremdet. Einer Person, die mit jemandem arbeitet, den sie kaum kennt und fast nie persönlich trifft. Ihr Freund ist auch nie anwesend, sondern befindet sich an einem anderen Ort der Welt, sie kommunizieren nur per Skype. Ich mochte diese Figur, die auf sich gestellt war, eine Fremde in einer fremden Welt, die versucht, sich selbst durch Gedankenprozesse und durch Kunst zu rekonstruieren. Letzten Endes in gewisser Weise auch durch Spiritualität. Diese Figur entwickelte sich dann Stück für Stück zu jemandem, der mit irgendwelchen anderen Welten kommuniziert.
Wellinski: Ich mochte diesen Personal-Shopper-Job. Ich wusste - ehrlich gesagt - vor dem Film nicht, dass es überhaupt so etwas gibt. Sie sprachen von Entfremdung und es stimmt, dieser Job entfremdet Maureen: nicht nur von sich selbst. Sie ist ja auch eine Art Phantom für ihre Klientin, für die sie permanent einkauft. Es gibt eine Szene, als Maureen die Lederhosen kaufen will. Da klopft sie an die Tür und wird einfach ignoriert, als sei sie schon selber zum Geist geworden.

"Die Realität ist, dass das nun mal ein ziemlich dummer Job ist"

Assayas: Sie ist wie wir alle. Sie versucht, ihren Job so gut zu machen, wie sie kann, aber die Realität ist, dass das nun mal ein ziemlich dummer Job ist. Sie arbeitet also hart, aber gleichzeitig ist es frustrierend, weil sie nie richtig mit ihrer Chefin in Verbindung tritt. Sie arbeitet für diese Prominente, die für jeden roten Teppich neue Klamotten braucht. Und sie versucht so sehr, sich dafür zu interessieren, was sie macht, aber sie schafft es nicht wirklich.
Wellinski: Im Zentrum von "Personal Shopper" Films steht also diese Frau mit einer Identitätskrise. Da gibt es ja schon eine starke Verbindung zu "Die Wolken von Sils Maria", ihrem letzten Film, wo es ja auch diesen Moment der Identitätskrise gab. War das Absicht?
Assayas: Mich interessiert, wie die Figur den Prozess der Rekonstruktion ihrer Selbst durchläuft. In diesem Fall rekonstruiert sie sich durch den Prozess des Trauerns. Sie hat nicht nur einfach ihren Bruder verloren, sondern einen Zwillingsbruder, also praktisch eine Hälfte von sich. Sie hat sich nie als jemand gesehen, der alleine ist, und plötzlich sieht sie sich mit der Einsamkeit konfrontiert. Sie muss jetzt herausfinden, wer sie ist und was sie tut, all dem einen Sinn geben, außerhalb der Verbindung, die sie mit ihrem Bruder hatte. Und irgendwie braucht sie es, dass ihr Bruder ihr sagt, dass alles in Ordnung ist.
In Wirklichkeit muss sie sich natürlich selber sagen, dass alles in Ordnung ist. Sie muss akzeptieren, dass die Antwort in ihr selbst liegt. Mir gefällt auch die Idee, dass sie ihre eigene Identität neu definieren muss, ihr Geschlecht. Sie ist diese sportlich-jungenhafte Frau, die sich auch vom Femininen angezogen fühlt. Ich ziele nie wirklich auf etwas Bestimmtes ab, diese Filme passieren mir einfach so. Ich fange mit den Charakteren an, mit ganz grundlegenden Dingen und die Filme wachsen und erreichen eine Art Autonomie. Für mich ist der Prozess des Schreibens immer auch ein Prozess des Entdeckens, worum es in dem Film geht.
Wellinski: Welche Rolle spielt das Internet dahingehend für die Konflikte in ihrem Film? Das ist ja eine Form, um mit anderen in Verbindung zu treten – aber es ist keine wirkliche Verbindung – oder doch?

"Das Internet ist so etwas wie eine schlechte Parallelwelt"

Assayas: Es ist eine Art von Verbindung. Muss es sein. Ich denke, das Internet ist so etwas wie eine schlechte Parallelwelt, in der wir reisen können, in der unser Geist und unsere Ideen sich frei bewegen können. Es ist bemerkenswert, wie das Smartphone zu einer Art Erweiterung unseres Hirns und unseres Gedächtnisses geworden ist. Wie oft gucken wir etwas nach? Mich interessiert weniger die Technologie, als wie sie die Menschen verändert. Und ich glaube schon, dass Smartphones die Art und Weise verändern, in der wir uns selber und unsere Verbindung mit der Welt und anderen Menschen wie Eltern, Freunden oder Unbekannten wahrnehmen. Das geht sehr tief und diese Entwicklung verläuft seit über 20 Jahren, fast ein Vierteljahrhundert. Und ich glaube sie hat eine starke Auswirkung auf die Menschheit, die bisher noch nicht sehr gründlich erforscht worden ist.
Wellinski: Wie bezieht sich das eigentlich auf ihre Hauptfigur Maureen selber? Ich hatte den Eindruck, sie möchte fühlen, sie möchte berühren. Das hat ja durchaus etwas Romantisches, jedenfalls schwingt dieser Anklang in ihren Bildern mit?
Assayas: Ich denke, sie braucht das, ich denke, wir alle brauchen das. Wegen der großen Bedeutung, die das Virtuelle in unserem Leben eingenommen hat, müssen wir unsere Verbindung zur Realität überdenken. Dadurch lernen wir auch, wie kostbar und greifbar die Realität ist, wie wichtig es ist, mit einem anderen Menschen direkt zu sprechen im Gegensatz zum Kommunizieren über E-Mail oder Skype. Wie leben in einer Welt, in der die abstrakte Kommunikation gewissermaßen die Oberhand gewonnen hat und uns nach menschlichen Verbindungen sehnen lässt.
Wellinski: Ein Regisseur eines Geisterfilms stellt sich irgendwann während des Drehs immer die Frage: Zeige ich den Geist oder nicht? War das schwierig für Sie?

"Für mich sind Geister Projektionen unserer inneren Ängste"

Assayas: Einerseits war es schwierig, andererseits nicht. Die Frage hat sich auf jeden Fall gestellt, aber ich habe ihr nicht allzu viel Beachtung geschenkt, weil relativ schnell klar wurde, dass ich den Geist zeigen musste: In dem Sinne, dass wenn man in Filmen über etwas spricht, man das auch zeigen muss, sich damit auseinandersetzen muss. Es ist auch wichtig unter dem Blickwinkel, wie ich Geister sehe. Für mich sind Geister Projektionen unserer inneren Ängste, von dem, was in uns vorgeht. Was wir eigentlich in einem Spukhaus fürchten, ist nicht was draußen passiert, sondern was in uns vorgeht. Die Frage war also eher, wie man das darstellen soll.
Ich habe mich dann gleich für das entschieden, was mir als die echteste Form der Kommunikation mit einem Geist erschien – die spiritistische Fotografie. Im späten 19. Jahrhundert machte so manches Medium Fotos, die heute oft ganz einfach als sehr grobe Doppelbelichtungen erscheinen, aber damals glaubten die Leute daran, dass plötzlich Geister erschienen waren. Sie sehen schon aus wie Fälschungen, aber sie sind trotzdem irgendwie gruselig. Und sie sind auch treffsicher in dem Sinne, dass sie das zeigen, von dem das Medium fühlte, dass es das während einer Séance sah oder erfuhr. Ich habe also Bilder benutzt, aber auch Beschreibungen. Es gibt ja Beschreibungen von Séancen, in denen gesagt wird, was der Geist alles gemacht habe. Ich habe diese Informationen genutzt um etwas zu kreieren, was sich für jemanden passend angefühlt hätte, der den Film im 19. Jahrhundert sehen würde.
Filmfestspiele in Cannes 2016: Die Schauspielerin Kristen Stewart bei der Pressekonferenz zum Film "Personal Shopper" von Olivier Assayas
Cannes 2016: Kristen Stewart bei der Pressekonferenz zum Film "Personal Shopper"© picture alliance / dpa
Wellinski: Auch sehr interessant ist, wie Sie in Personal Shopper die Modewelt zeigen. Sie ist nicht neurotisch wie in Robert Altmans "Pret-à-Porter". Sie ist aber auch nicht zynisch wie in "Der Teufel trägt Prada". War es Ihnen wichtig, den Bereich der Mode, diese Welt beinahe dokumentarisch zu zeigen?
Assayas: Bei all diesem Zeug geht es doch vor allem um Arbeit, es ist ein Job, also beschreibt man es auch so. Da sind Leute, die ihren Job machen. Man kann dann seine eigene Meinung über diese Arbeit haben, aber wenn man es im Kino zeigt, müssen das arbeitende Menschen sein. Maureen ist daher eher am Rande angesiedelt. Sie ist für mich eher eine Proletarierin der Mode-Industrie, die weit weg vom eigentlichen Geschehen agiert, im äußersten Bereich. Ich habe eine bestimmte Seite der Modewelt als Hintergrund für diese Geschichte ausgewählt, weil sie so ambivalent ist: Einerseits repräsentiert sie die materialistische Welt – was gibt es Oberflächlicheres als die Mode? Das ist die Seite, die der Figur der Maureen missfällt. Andererseits ist es auch eine Kunstform: Modedesigner sind Künstler, in dem Sinne, dass sie zum Beispiel den Zeitgeist einfangen. Ich sehe also bestimmt nicht auf die Modewelt herab. Gleichermaßen kann ich mich zum Beispiel für zeitgenössische Kunst interessieren, obwohl ich weiß, dass es auf dem Kunstmarkt unschön zugeht. Das ist sich in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich. Außerdem war meine Mutter Modedesignerin, die Modewelt war also immer Teil meiner Kultur, und ich weiß ungefähr wie sie funktioniert.
Das Interview wurde von Marei Ahmia übersetzt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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