Oliver Meiler über die "Agromafia"

Wie viel Mafia steckt in unserem Essen?

10:59 Minuten
Eine Person legt in einem Supermarkt Tomaten auf eine Waage.
"Die Agromafia ist ein Phänomen, das alle italienischen großen Kartelle des organisierten Verbrechens betrifft", sagt Oliver Meiler. © imago-images/Nomad Soul/Panthermedia
Moderation: Christian Rabhansl · 13.03.2021
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Ob Tomaten oder Oliven – bei vielen Ernährungsprodukten aus Italien könnte auch die Mafia mitverdienen, sagt Oliver Meiler. In „Agromafia“ beschreibt der Autor, wie die Organisierte Kriminalität fast unbemerkt im Lebensmittelgeschäft mitmischt.
Christian Rabhansl: Unser Sachbuchmagazin, heute mit Büchern rund ums Essen – aber keine kulinarischen Kochbücher, sondern Bücher über die Schattenseiten der Lebensmittelindustrie. Als Erster ist jetzt Oliver Meiler bei mir. Der Journalist lebt und arbeitet in Italien, und er hat ein Buch geschrieben über die Agromafia, also darüber, wie die Mafia die italienische Lebensmittelproduktion beherrscht und was dann bei uns auf den Teller kommt. Guten Tag nach Rom, Herr Meiler!
Oliver Meiler: Ja, hallo, guten Tag!
Rabhansl: Fangen wir ganz konkret an: Wenn ich in den Supermarkt gehe und dann will ich da kaufen Tomaten aus Italien, Nudeln aus Italien, Olivenöl aus Italien, wo kann da die Mafia drinstecken?

"Die Mafia panscht Olivenöl, sie macht Mozzarella"

Meiler: Eigentlich kann die Mafia überall drinstecken, sie hat sich in die gesamten Produktions- und Lieferketten im Lebensmittelbereich gefressen. Sie bestellt die Äcker im Süden, sie stellt dafür Plantagenarbeiter an, die sie unerhört schlecht bezahlt und auch behandelt. Sie entsorgt Sondermüll auf fruchtbarem Land, sie besorgt auch den Transport von Früchten und Gemüse – bis auf die Regale der Supermärkte bis in die Küchen der Restaurants, von denen sie selber viele auch besitzt.
Die Mafia panscht Olivenöl, sie macht Mozzarella, aber hinter welcher Marke genau und hinter welchem Produkt die Mafia steht, das lässt sich so leicht natürlich nicht sagen. Fliegt mal eine Marke auf, dann wird sie natürlich ausrangiert. Aber wie viele fliegen auf? Die Mafia arbeitet schließlich mit Strohfirmen, das Geflecht ist sehr dicht, genau weiß man das nie.

Rabhansl: Wenn wir noch mal in dem Supermarkt bleiben: Ich nehme jetzt also eine Tomate in die Hand, und wenn die wie die weltbesten Tomaten, wie ich bei Ihnen lerne, aus Pachino kommen, so ganz im Süden von Sizilien, dann verfolgen Sie in Ihrem Buch den Weg von der Spitze Italiens ganz im Süden Richtung Norden über Rom, über die Agrarmärkte bis nach Österreich und Deutschland. Sie nennen das so eine mafiöse Seidenstraße. Auf diesem Weg, wo hat da überall die Mafia noch ihre Finger drin, haben Sie da ein Beispiel?
Meiler: Zunächst muss man dazu sagen, dass man sehr lange dachte, dass diese Ecke, wie Sie sagen, da unten im Süden Siziliens, so ein bisschen ein Paradies war. Man nahm auch an, dass die Mafia da gar nicht wirklich existiert, und dann kam ein junger Journalist aus der Gegend, der heißt Paolo Borrometi, und der hat die Machenschaften der Clans aufgedeckt. Die beherrschen wirklich alles, also vom Feld über den Markt in Vittoria, dem größten im Süden Italiens. Sie beherrschen auch das Geschäft mit den Düngemitteln, mit den Transportpaletten, mit den Plastikplanen für die Treibhäuser – alles, alles war in ihren Händen.
Vor allem im Markt von Vittoria bestimmten sie dann auch den Preis der Tomate, und damit der in der Folge noch etwas anstieg und damit der auch genug abwarf für alle, die irgendwie involviert waren, wurde die Tomate manchmal auf völlig grotesk lange, völlig unnötige Reisen quer durch Italien geschickt und wieder zurück nach Vittoria, damit am Ende der Reise die kleinen Tomaten aus Pachino, die süßliche, wirklich sehr gute Tomate aus Pachino, auf den Märkten in Berlin, London, New York oder wo auch immer ein halbes Vermögen kosteten.

Der "Seidenstraße der Agromafia" folgen

Rabhansl: Jetzt beschreiben Sie das schon mit diesen Umwegen, die diese Tomate dann unterwegs ist, um möglichst viel Geld zu generieren. Jetzt könnte man meinen, dass Sie dann, wenn Sie so ein Buch schreiben, das aufbauen nach zum Beispiel "die Tomate" oder "der Müll auf den Äckern", nach irgendwie so thematischen Clustern. Sie haben sich aber entschieden, dass Sie das Buch nach Regionen aufbauen. Warum haben Sie das so gemacht?
Meiler: Das hat mehrere Gründe – einerseits einen dramaturgischen Grund, weil das die Möglichkeit bietet, wirklich der Seidenstraße der Agromafia, wie ich sie nenne, zu folgen, eben vom Süden, vom äußersten Süden bis in den Norden und von dort weiter in den Norden Europas. Andererseits hat es auch damit zu tun, dass die Agromafia ein Phänomen ist, das alle italienischen großen Kartelle des organisierten Verbrechens betrifft.
Damit sind wir wieder in Sizilien für Cosa Nostra, dann sind wir in Kalabrien für die 'Ndrangheta, und dann sind wir in Neapel und Kampanien für die Camorra und die Casalesi. Darum dachte ich mir, dass es vielleicht mehr Sinn ergibt, wenn ich den Lesern auf dem Weg erkläre, wer diese Clans sind, woher sie kommen, wie sie aufgebaut sind, wie sie operieren – mittlerweile natürlich längst global.


Rabhansl: Das ist ja der Punkt. Sie schreiben, besonders gefährlich seien die kalabrische Mafia und deren Arm, der reiche längst bis nach Deutschland. Dass es ja vor ein paar Jahren auch Morde in Deutschland gab, die da aufgeflogen sind. Ist es mittlerweile so, dass die deutschen Behörden das ernst genug nehmen oder immer noch nicht?
Buchcover: "Agromafia: Wie Ndrangheta & Co. die italienische Lebensmittelproduktion beherrschen" von Oliver Meiler
"Nicola Gratteri, der Oberstaatsanwalt aus Kalabrien, sagt immer, Deutschland sei das zweite Zuhause der 'Ndrangheta, nach Italien", so der Autor Oliver Meiler.© Deutschlandradio / dtv Verlagsgesellschaft
Meiler: Nein, ich glaube nicht, dass sie das genug ernst nehmen, das sagen auch die Ermittler in Italien, die oft in Zusammenarbeit mit den deutschen Ermittlern arbeiten. Auf Ermittlerbasis läuft das mittlerweile ziemlich gut, aber in der Politik und auf Staatsebene sind wir da noch weit davon entfernt. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass man in Deutschland immer noch denkt, dass die Mafia am Ende doch etwas rein Italienisches ist, das sich auf Italien beschränkt, obschon sie eben wie gesagt längst international und global operiert.
Nicola Gratteri, der Oberstaatsanwalt aus Kalabrien, sagt immer, Deutschland sei das zweite Zuhause der 'Ndrangheta, nach Italien. Nirgendwo in der Welt habe die kalabrische Mafia mehr Mitglieder als in Deutschland. Selbst das Massaker vor der Pizzeria Da Bruno in Duisburg im August 2007, das Sie da ansprechen mit den sechs Toten, das änderte eigentlich überhaupt nichts daran, das war schnell vergessen. Spätestens als der Prozess nach Kalabrien verlegt wurde, dachte man wieder, ja, Italien eben, die Mafia ist etwas Italienisches.

"Je weniger die Mafia tötet, desto besser geht es ihr"

Rabhansl: Gleichzeitig hatte ich auch den Eindruck, ich höre immer weniger von Mafiamorden und hab dann so eine leichte Bestätigung in Ihrem Buch gelesen, dass Sie auch schreiben, die Mafia, die tötet heute kaum noch, die geht ganz anders vor. Da dachte ich erst, ist eine gute Nachricht, Sie behaupten aber in Ihrem Buch, ausgerechnet das sei ein Grund zu großer Besorgnis. Warum soll das ein Grund für Besorgnis sein, dass die weniger mordet?
Meiler: Der Punkt ist der: Wenn die Mafia nicht töten muss, dann tötet sie nicht, weil töten bringt sie in die Schlagzeilen, das stört die Geschäfte, das unterbricht den ganzen Sog ihres kriminellen Tuns. Darum kann man immer davon ausgehen – und das ist die Maxime, das ist so eine Weisheit der Geschichte –, dass je weniger die Mafia tötet, desto besser geht es ihr. Dann hat sie das Klima, das sie braucht, den Humus, den sie braucht, um zu gedeihen, und in einer solchen Phase sind wir im Moment.
Rabhansl: Der Mafia geht es natürlich darum, möglichst wenig aufzufallen und sich möglichst schön überall reinzuschleichen, und das ist ja eine zweite Frage, die sich mir stellt: Ich denke bei Mafia sonst natürlich auch an Schutzgelder, an Drogenhandel, an Waffenhandel und eigentlich nicht unbedingt an Essen. Ist auch das quasi Mafiastrategie, das ist so ein harmlos wirkender Bereich?
Meiler: Ja, wie Sie sagen, das ist unsere grundsätzliche Wahrnehmung der Mafia. Die hat immer mit Gewalt zu tun und mit der Ausübung von Gewalt und mit Prostitution, Waffen- und Drogenhandel, aber das ist längst nicht mehr so, allein so. Das haben sie natürlich alles immer noch, aber die Mafia hat es geschafft, sich immer stärker in die legale Wirtschaft einzugraben. Ich würde sagen, dass bei der Agromafia, bei der Mafia der Lebensmittelproduktion, ist sie uns so nahegekommen und so weit vorgedrungen in die legale und saubere Wirtschaft wie nie zuvor. Sie kommt bis auf den Teller, und das ist schon sehr besorgniserregend.


Rabhansl: Können Sie die Bedeutung klarmachen, wie wichtig ist diese Lebensmittelindustrie für die Mafia, und umgekehrt, welcher Anteil der italienischen Lebensmittelindustrie ist denn tatsächlich mafiös?
Ein Mann mit kurzen Haaren steht vor einer Wand und schaut in die Kamera.
Oliver Meiler: "Mir ging es mehr darum zu zeigen, dass die Mafia ganz massiv in die legale Wirtschaft investiert."© privat
Meiler: Das ist eine kulturelle Frage eigentlich, weil die Mafia, die kommt vom Land. Die Mafiosi waren einst Bauern, Hirten, Käser oder Handlanger von Großgrundbesitzern – so wurden sie groß. Als sie dann irgendwann einmal mächtig genug waren, haben sie sich das Land der Großgrundbesitzer genommen, und über das Land können sie ihre Macht deklinieren. Interessanterweise hat der Boom des italienischen Essens dazu beigetragen, dass sie dieses Geschäftsfeld neu entdeckt haben, also sie finden gewissermaßen zu ihrer Berufung zurück und finden im Essen und in den Lebensmitteln eine perfekte Ergänzung ihres Portfolios – und das in der legalen Welt.
Sie kennen sich darin auch bestens aus, eben weil sie da herkommen, sie kennen also den Alltag und die Kultur der Landwirtschaft, da sind sie völlig zu Hause. Für die Landwirtschaft Italiens umgekehrt ist es eine mittlere Katastrophe natürlich, weil die Mafia schöpft Zuschüsse aus der EU ab, zum Beispiel die für die redlichen Bauern gedacht wären. In manchen Regionen setzt sie die Bauern so arg unter Druck – mit Viehdiebstählen, Einschüchterungen, mit Landklau und über den Preis der Ware vor allem –, dass die fast verzweifeln.
Rabhansl: Wenn ich am Ende jetzt wieder im Supermarkt stehe, ich will also mein Olivenöl, meine Nudeln, meine Tomaten aus Italien haben, ich möchte aber nicht, dass das Geld bei der Mafia landet, sondern bei diesen ehrlichen Bauern, haben Sie irgendeine Empfehlung für mich, wie kann ich das vermeiden?
Meiler: Ja, ich glaube nicht, dass Sie das vermeiden können. In diesem Buch geht es ja ganz ausdrücklich nicht darum, einen Schatten zu werfen auf die vielen tollen und leidenschaftlichen Produzenten all dieser italienischen Köstlichkeiten, die wir in unseren Läden und in den Restaurants kaufen und essen. Mir ging es mehr darum zu zeigen, dass die Mafia ganz massiv in die legale Wirtschaft investiert und eben auch auf diesem Gebiet und dass wir uns dessen einfach bewusst sind und wissen, dass Früchte und Gemüse aus dem Süden sehr oft auf eine Art und Weise geerntet und geliefert und transportiert wurden, die nicht dem entsprechen, was wir uns eigentlich erwarten für faires Miteinander in der Gesellschaft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Oliver Meiler: "Agromafia: Wie Ndrangheta & Co. die italienische Lebensmittelproduktion beherrschen – und was auf unsere Teller kommt"
dtv Verlagsgesellschaft, 2012
352 Seiten, 20 Euro

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