Oliver Haffner über "Wackersdorf"

"Die Geburtsstunde der Zivilgesellschaft in Bayern"

Szene aus dem Spielfilm "Wackersdorf" von Oliver Haffner, Kinostart: 20.09.2018
Szene aus dem Spielfilm "Wackersdorf", der vom Protest gegen die Wiederaufbereitungsanlage erzählt. © Erik Mosoni Photography
Oliver Haffner im Gespräch mit Patrick Wellinski · 15.09.2018
Regisseur Oliver Haffner hat mit "Wackersdorf" ein Dokument des zivilen Ungehorsams geschaffen. Er erzählt, welchen Eindruck die Ereignisse um die geplante Wiederaufbereitungsanlage als Kind auf ihn machten - und warum Ken Loach sein großes Vorbild ist.
Patrick Wellinski: Im bayrischen Wackersdorf starten 1985 die Bauarbeiten für eine Wiederaufbereitungsanlage. Abgebrannte Kernreaktorbrennstäbe aus ganz Deutschland sollen dort aufgearbeitet werden. Für die Region zunächst tolle Aussichten auf Arbeitsplätze – so sehen es jedenfalls die Politiker –, doch die Proteste der Bevölkerung sind heftig. Man traut den Folgen der Atomenergie gar nicht. Die Wiederaufbereitungsanlage wird niemals fertiggestellt. 1989 enden die Bauarbeiten. Über diese Zeit hat Oliver Haffner einen eindrucksvollen Spielfilm gedreht: "Wackersdorf" kommt Donnerstag in die Kinos und zeigt im Grunde den Gesinnungswandel des oberpfälzischen SPD-Landrats Hans Schuierer. Erst Befürworter, wird er später zum Gegner des Projekts.
Einspieler
Ein Ausschnitt aus dem Spielfilm "Wackersdorf", und ich konnte mit dem Regisseur Oliver Haffner gestern, also vor der Sendung, sprechen. Guten Tag, Herr Haffner!
Oliver Haffner: Hallo!
Wellinski: Finden Sie es nicht auch zurzeit beeindruckend, wie aktuell Wackersdorf scheint, also, wenn ich mich an die Nachrichten, Bilder aus dem Hambacher Forst erinnere, da schwingt doch auch ein bisschen aus Ihrem Film mit, nicht wahr?
Haffner: Ja, total. Also wir sind eigentlich auch überrascht, wie aktuell der Zeitpunkt ist, in dem wir mit dem Film jetzt ins Kino kommen. Also das eine natürlich die Auseinandersetzung im Hambacher Forst, das andere aber natürlich auch die innenpolitische Situation in Bayern. Die großen Demonstrationen, die dort stattgefunden haben gegen das Polizeiaufgabengesetz und auch die sogenannte "Ausgehetzt"-Großdemonstration vor einigen Wochen. Ja, also es ist schön, wenn ein Film zur rechten Zeit kommt, und dann weiß man auch, warum man vielleicht sieben Jahre lang gebrauch hat, dass der Film so weit war.
Wellinski: Was trifft denn der Film gerade heute? Also es ist bestimmt nichts aus dem Textbuch im Sinne von history repeating, oder?
Haffner: Nein. Wir wollten keine historische Chronik erzählen, sondern wir beschränken uns ja in diesem Film eigentlich auf die Anfangsjahre, auf die politischen Hintergründe, also die Planung dieses Projekts in der Oberpfalz, die, wie sage ich mal, die Verwirrspiele der Industrie und der bayrischen Staatsregierung gegenüber der lokalen Bevölkerung.

"In Wackersdorf sind viele Gruppen zusammengekommen"

Wir haben uns ein bisschen auf diesen Aspekt konzentriert und praktisch das Entstehen eines Bürgerprotestes beleuchtet. Ich finde daran interessant, dass in Wackersdorf so viele Gruppen zusammengekommen sind, die sonst nichts miteinander zu tun gehabt hätten. Also ein christlicher Widerstand, klare ökologische Bewegungen bis linksautonome Bewegungen, und man hat sich sozusagen für eine bestimmte Sache verständigt, und deshalb ist es ein Ereignis, das mich auch so demokratisch inspiriert, also dass man sich zusammenfindet und Gräben überwindet für ein wichtiges zivilgesellschaftlich-politisches Ziel.
Der Muenchner Regisseur Oliver Haffner
Der Münchner Regisseur Oliver Haffner© imago stock&people
Wellinski: War das auch der Auslöser für das Projekt? Ich meine, Ihre ersten beiden Spielfilme, "Mein Leben im Off" und "Ein Geschenk der Götter", das waren ja sehr gegenwärtige Stoffe, jetzt also einen Schritt zurück in die bundesrepublikanische Zeitgeschichte. Was war denn der Auslöser für "Wackersdorf"?
Haffner: Also der Auslöser war eigentlich die Katastrophe in Fukushima. Ich habe mich dadurch wieder an meine Kindheit erinnert. Ich bin in München groß geworden, in dem Bayern der 80er Jahre. Ich bin ja ein bisschen zu jung gewesen, um in Wackersdorf zu protestieren. Ich war so um die elf Jahre, aber meine ältere Schwester, die ist am Wochenende von München aus immer mit Bussen hingefahren, und bei uns war zu Hause auch viel Diskussion darüber, auch wenn es ein liberales Elternhaus war, aber es war große Sorge.

Der ehemalige SPD-Landrat als Recherchequelle

Ich empfand immer so das 80er-Jahre-Bayern als Kind doch sehr, wie sage ich, angstbelastet. Also das Thema Atom, sowohl durch die militärische Bedrohung als auch durch die zivile Nutzung, war ja so allgegenwärtig, auch in der Jugendliteratur und so, und durch Fukushima habe ich mich an dieses Gefühl wiedererinnert, meine eigene Kindheit, und dachte mir, da war doch Wackersdorf.
Das ist so für mich Geburtsstunde von Zivilgesellschaft in Bayern, im Nachkriegsbayern, gibt es denn da schon was, und dann habe ich herausgefunden, dass es noch keinen fiktionalen Film gibt und habe mich auf den Weg gemacht mit dem Produzenten Ingo Fliess, der aus der Oberpfalz kommt, und der war natürlich auch begeistert davon.
Wellinski: Muss man sich denn auch dann die Recherchen so vorstellen, wie Sie sie gerade so angerissen haben, also zum Teil auch persönliche biografische Erinnerungen, oder wie viel ist jetzt noch externe Recherche dazugekommen?
Haffner: Also wir haben uns ja dann für einen... das war die erste Entscheidung, die wir getroffen haben: Wenn wir eben nicht eine historische allumfassende Chronik erzählen wollen, wer ist unser Held, und wir sind schnell auf den damaligen Landrat Hans Schuierer gekommen, der ja vom Befürworter dann zum Gegner des Projekts wurde, als er erkannt hat, dass man ihm nicht die Wahrheit sagt und vor allem, als er erkannt hat, dass demokratische Grundrechte für dieses Projekt außer Kraft gesetzt werden.

Ken Loach als Vorbild

Darum war natürlich für die Recherche der Hans Schuierer, der immer noch lebt – er ist mittlerweile 88 Jahre alt –, natürlich unser Hauptansprechpartner, und wir haben über die Jahre immer den Austausch zu ihm und seiner Familie gehalten, und er hat uns dann auch viele, sage ich mal, Wege in der Oberpfalz geöffnet von damaligen Mitstreitern. Also es war wirklich im persönlichen Gespräch, weniger ein Quellenstudium – das kann man ja ganz schnell erledigen –, sondern wie war die Haltung damals, was macht die Region vor allem auch aus. Das war mir ganz wichtig, weil ich so eine regionale Authentizität … Das schätze ich im Film, das lieben wir ja am amerikanischen Film zum Beispiel immer sehr.
Wellinski: Oder am britischen.
Haffner: Genau. Also, britische Filme haben eine starke Anziehungskraft auf mich.
Wellinski: Ja, das ist ja das Interessante. Also, gerade in der Ruhe, in der Sie das erzählen, diese Gewissensbisse von Hans Schuierer, aber auch das, was in der Politik passiert und in der Bevölkerung passiert. Das erinnert im Rückgriff natürlich auch an die Kostümfilme eines Ken Loachs zum Beispiel. Der ist ja auch sehr gegenwärtig, so wie Sie mit Ihren vorherigen Filmen sind, aber dann macht er ja auch immer wieder Exkurse in die Geschichte seines Landes, in die Ausbeutung der Arbeiterbewegung von damals. Ist das auch vielleicht für Sie als Regisseur so ein Anziehungspunkt, das britische Kino des Ken Loach, das ja auch von etwas Aktuellem erzählt, aber eben in dem Fall auch aus der Perspektive der Vergangenheit?

Die Spannung starker Konflikte

Haffner: Ja, also mit Ken Loach, da nennen Sie natürlich ein großes Vorbild von mir, und ich glaube, dass der historische Exkurs manchmal auch den Blick freimachen kann auf Zusammenhänge, die man so nicht betrachten kann, wenn man solche Thematiken vielleicht in der Gegenwart anschaut. Also die historische Distanz, glaube ich, schafft schon manchmal noch mal … schärft den Blick. Ich glaube auch, dass Ken Loach, wie ja nicht nur aus einer Lust am Kostümfilm, bestimmt nicht, sondern gerade aufgrund dieses Umstands, zum Beispiel irischen Freiheitskampf und so, sich auch immer für historische Themen entscheidet, aber viel entscheidender finde ich, und das das, was mich bei ihm beeindruckt, und eigentlich empfinde ich meine filmische Arbeit auch so, dass sie doch immer eine starke Haltung widerspiegelt.
Wellinski: Wirklich spannend in "Wackersdorf" sind die starken Konflikte, die der Landrat mit der Politik im Hintergrund, also mit der Landespolitik hat. Die CSU sieht seine Einwände als reine Sabotage. Ich glaube, das kann man so gut fassen. Dann bekommt das Handeln in den Hinterzimmern etwas unglaublich auch Brutales, fast schon Radikales. Bayrische Landespolitik, wie man sie eher aus dem Weißen Haus kennt. Woher kam denn diese damalige so negative Energie?
Haffner: Die negative Energie, glaube ich, kam vor allem aus dem Umstand, dass die bayrische Staatsregierung die Oberpfälzer absolut unterschätzt haben. Das war ja die strukturschwachste Region, und in einer Form von Überheblichkeit hat man ja auch juristisch ganz schlecht vorbereitet, muss man sagen. Also alle Teilerrichtungsgenehmigungen wurden später von Gerichten kassiert, hat man versucht, da was hinzusetzen.
Die Grundhaltung war eigentlich erst mal: Wir nehmen die Oberpfälzer nicht ernst, und das haben die Oberpfälzer und der Hans Schuierer gemerkt, und daraus entstand der Konflikt. Und letztendlich muss man schon auch sagen, dass es auch ein ganz persönliches Ziel des damaligen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß war, Bayern in ein technologisches Zeitalter zu überführen, und das ist, glaube ich, auch wirklich ein persönlicher Kampf gewesen. Und der Staatssekretär bei uns im Film sagt ja, ich führe einen Krieg. Also waren einfach sehr viele, ganz konkrete Karrieren damit verbunden. Beim Hans Schuierer auch, muss man sagen. Er hat seine Karriere riskiert. Er bekam ein Disziplinarverfahren. Wären die Disziplinarverfahren erfolgreich gewesen, hätte er ja seine gesamte Alterssicherung und seinen Job, alles verloren.

Ein Held wider Willen

Wellinski: Sie erzählen in "Wackersdorf" auch von einer Art Kulturclash. Es gibt ja die Demonstranten – Sie haben schon erzählt, was das für unterschiedliche Strömungen waren –, und dann ist ja Hans Schuierer unsere Hauptfigur, der Mann, mit dem wir durch diese Geschichte wandern, der ja eher am Anfang noch zu so einer Art gesitteten Protest aufruft. Da sind natürlich die Gegner wesentlich radikaler, und sie erzählen von dem Aufeinanderprallen. Warum war Ihnen das so wichtig?
Haffner: Der Hans Schuierer ist eigentlich ein Held wider Willen. Man muss ja wissen, der Vater von Hans Schuierer war im Konzentrationslager Flossenbürg interniert als Gewerkschaftler. Also er ist sozusagen, er ist mit der Erfahrung auch das Nationalsozialismus noch großgeworden und ist ein glühender Verfechter der Demokratie, und er hat eigentlich an das Funktionieren des Systems geglaubt. Dass das System aber ausgehöhlt wurde, das hat ihn so erschüttert, dass er seine Haltung geändert hat. Und damit hat er aber auch alle politischen Weggefährten verloren und musste sich neue Verbündete suchen. Und diese Fähigkeit, dass man mit Leuten ins Gespräch kommt, mit denen man vielleicht sonst gar nichts teilt, aber trotzdem den Diskurs sucht und sich damit auseinandersetzt und auch Vorurteile überwindet, das macht für mich die Essenz auch unserer Gesellschaft aus.
Also das ist ja gerade, was im Moment nicht passiert. Wir verschärfen und vertiefen nur die Gräben, und der Kompromiss ist ein Schimpfwort geworden. Aber das Wesen der Demokratie ist der Kompromiss, damit wir in einer friedlichen Gesellschaft leben können, und deshalb ist eigentlich der Film für mich auch ein starkes Plädoyer für Demokratie und dass man auch an die Politik glaubt, weil ein Politiker, wie der Hans Schuierer das war, der einen Fehler eingesteht und dann seine Meinung ändert, das ist auch schon sehr inspirierend.

Ein Idealist unter Zynikern

Wellinski: Also quasi ein Idealist in einer Zeit, wo wir eher von Zynikern letztendlich regiert werden.
Haffner: Genau, und ich finde auch, es ist eine Zeit, wo auch im Film oder im filmischen Erzählen die Erzählung, vielleicht auch die lineare Erzählung, wieder eine größere Bedeutung bekommt. Ich glaube, das Zeitalter der Dekonstruktion ist ein bisschen vorbei, weil da hat uns die Realität überholt, also von Donald Trump, über Erdogan und sonstiges. Das ist ja so dekonstruiert, da kommt man ja fiktional gar nicht mehr ran, aber Orientierung wieder zu schaffen und einen empathischen Blick beim Zuschauer zu schärfen, also ich glaube an so eine empathische Kraft des Kinos.
Wellinski: Oliver Haffner, Regisseur des sehr schönen Spielfilms "Wackersdorf", der ab Donnerstag in unseren Kinos zu sehen sein wird, und am Dienstag hören Sie bei uns im Programm im "Studio 9" am Morgen ein Interview mit dem echten ehemaligen Landrat Hans Schuierer. Hans Haffner, vielen Dank für das Gespräch!
Haffner: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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